Seite:Die Gartenlaube (1882) 235.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und fünf wagerechte Linien in sechsunddreißig kleine Quadrate, schreibt in die ersten fünf oberen Quadrate die fünf Vocale a e i o u und in die von links an gerechneten ersten fünf senkrechten Quadrate dieselben Vocale in umgekehrter Reihenfolge. Die noch leeren fünfundzwanzig Quadrate werden dann ohne jegliche Reihenfolge durch die fünfundzwanzig Buchstaben unseres Alphabets ausgefüllt.

* a e i o u
u c h u b o
o n v i f r
i t a m x g
e k w p d z
a e s q y l

Soll nun in Geheimschrift geschrieben werden: „Der heimliche Gast“, so suche man den ersten Buchstaben der Klarschrift, das heißt der ursprünglichen Schrift, die in die geheime umgeändert werden soll, also den Buchstaben D in den fünfundzwanzig kleinen, durch die feinen Linien begrenzten Quadrate auf (in dieser Tabelle in der vorletzten Reihe der vorletzte Buchstabe) und setze statt desselben als Chiffres die zwei Vocale, welche in der nämlichen Horizontal- und Verticalreihe ganz nach links und nach oben hinter den dicken Strichen stehen, hier also eo. Der zweite Buchstabe der Klarschrift, das e, wird auf dieselbe Art gefunden und chiffrirt durch aa. Ebenso verfährt man mit den übrigen Buchstaben, sodaß also die Geheimschrift von „Der heimliche Gast“ lauten würde:

eoaaouueaaoiiiauoiuaueaaiuieaeia.

Um nun diesen bestimmten Charakter der Geheimschrift nicht sogleich zu verrathen, kann man beliebige Consonanten dazwischen setzen oder auch Wörter bilden, die mehr oder weniger Sinn und Zusammenhang haben, z. B. „Der Vocal hat noch um uns“ etc., oder: „Geograph anno Unruh der Anna oft ihr Irrlicht aus“ etc.

Bei dem Dechiffriren streicht der Empfänger zuerst alle Consonanten fort, schreibt dann je zwei und zwei Vocale zusammen und findet auf der Schlüsseltabelle, indem er jedesmal vom ersten Vocal nach rechts, vom zweiten nach unten geht, an dem Kreuzungspunkte die einzelnen Buchstaben der Klarschrift.

Eine Geheimschrift, die sehr schwer zu dechiffriren ist, ist die Kartenschrift. Um sie herzustellen, nimmt man ein Spiel Karten mit weißem Rande, legt die Karten nach einer vorher vereinbarten Ordnung, bringt sie dann in die Kartenpresse und schreibt die Depesche auf den Rand aller Karten. Werden diese dann gehörig gemischt, so kann der Empfänger nur dann die Depesche lesen, wenn er zuvor alle Karten in die nur ihm und dem Absender bekannte Reihenfolge gelegt hat. Soll der Rand der Karten durchaus undeutlich erscheinen, so bedient man sich der sogenannten sympathetischen Tinte, einer Flüssigkeit, mit der man schreiben kann, ohne daß die Buchstaben sichtbar hervortreten. Erst ein bestimmtes, für die verschiedenen Flüssigkeiten verschiedenes Mittel zaubert die Schrift hervor. Auch die Anwendung solcher Tinten für geheime Mittheilungen reicht in das Alterthum hinauf. Der römische Dichter Ovid räth schon, Briefe an die Geliebte mit Milch zu schreiben. Die unsichtbare Schrift tritt erst durch Aufstreuen von Kohlenstaub oder Ruß hervor, und die Fettkügelchen der Milch lassen den Kohlenstaub an den beschriebenen Stellen gerade so haften, wie wenn mit einem Streichhölzchen und Zuckerwasser auf dem Handrücken geschrieben und dann, nachdem die Schrift getrocknet, jene Stelle mit verkohltem Papier gerieben wird.

Der Major Kasiski theilt in seinem Schriftchen über die Dechiffrirkunst die Recepte zu sechs verschiedenen sympathetischen Tinten mit und beschreibt die Anfertigung eines magischen Streusandes. Auch Stöckhardt erwähnt in seiner „Schule der Chemie“, daß, wenn man mit einer schwachen Lösung von Kobaltchlorür auf Papier schreibt, die getrocknete, schwarz-röthliche Schrift nicht zu erkennen ist, sie kommt aber mit blauer Farbe zum Vorschein, wenn man das Papier behutsam erwärmt, und verschwindet wieder nach dem Erkalten (durch Anziehen von Feuchtigkeit). Nimmt man zum Schreiben aber eine verdünnte Lösung von Kupferchlorid, so tritt nach dem Erwärmen die Schrift mit gelber Farbe hervor.

Die Zahlenchiffre ist diejenige Art von Geheimschrift, in der alle Buchstaben, Interpunctionen, auch wohl Worte und ganze Sätze der Klarschrift durch Ziffern ausgedrückt werden. Sie ist jetzt die gebräuchlichste, weil Zahlen zur telegraphischen Mittheilung sich besser eignen als Buchstaben außer Zusammenhang. Die einfachste Art, jeden der 26 Buchstaben mit den Zahlen von 1 bis 26 zu bezeichnen, ist aber als Geheimschrift völlig unbrauchbar; bedient man sich jedoch der Zahlen von 27 bis 99 zur Bezeichnung der Interpunction, der Ziffern, der Wechsel-, Sprachen- und anderer Zeichen, einiger auch als Nieten, die keine Bedeutung haben und Uneingeweihte beim Dechiffriren irre führen sollen, so erhält man eine zwar einfache, aber doch sehr verwendbare Geheimschrift. Vortheilhaft ist es, diese Art so zu bilden, daß jeder Buchstabe, jedes Zeichen durch eine gleichstellige Zahl bezeichnet wird, weil dann alle Zahlen ohne Trennung geschrieben werden können. Bezeichnet man z. B. die 26 Buchstaben durch 01, 02 … 10, 11, 12 etc. bis 26, Punkt, Komma, Fragezeichen, Ausrufungszeichen durch 27, 28, 29, 30, die Zahlen von 0 bis 9 durch 31 bis 40, Nieten durch 81, 85, 90, 96 etc., so würde: „Die ‚Gartenlaube‘, 1882. Begründet von Ernst Keil 1853.“ lauten:

85990409040780011820041412012102042831383832270204900718211404052022151404181419201104099912313835332796.

Beim Dechiffriren werden zuerst die Nieten fortgestrichen, sodann aus der Tabelle die Buchstaben etc. für die übrigen Ziffern gesetzt. Eine Unsicherheit wegen Zusammengehörigkeit der Ziffern kann hier nicht eintreten, weil der Dechiffreur weiß, daß alle Zahlen zweistellig sind.

In neuerer Zeit verwendet die Diplomatie fast aller Staaten bei ihren Depeschen Chiffrirsysteme, die aus eigens zu diesem Zwecke angefertigten Wörterbüchern bestehen.

Schon im Jahre 1856 ließ der preußische Minister für die auswärtigen Angelegenheiten eine entsprechend große Anzahl Bände durch Buchdruck herstellen, in denen die Wörter wie in einem Wörterbuche folgen und ebenso die Ziffern in natürlicher Reihe bei jedem Worte, doch gab von diesen letzteren nur die am Colonnenkopf stehende die volle Zahl durch Zehntausende, Tausende und Hunderte hindurch, während von der zweiten Stelle der Colonnen an bis nach deren Ende nur die Zehner und Einer aufgeführt waren.

Diese Exemplare, „Chiffres“ genannt, stimmten zu zwei und zwei in ihren Zifferwerthen für ein und dieselben Wörter überein, jede Gruppe von zweien unterschied sich aber von der folgenden durch stetes Fortschreiten um eine gewisse Zahl. Ein Exemplar jeder Gruppe blieb im auswärtigen Ministerium, das andere der Gruppe A aber erhielt z. B. der Botschafter in Paris, das zweite Exemplar der Gruppe B der Gesandte in Madrid etc. So konnten die einzelnen preußischen Gesandschaften zwar mit der Centralstelle, aber nicht unter sich mit Hülfe dieser Wörterbücher chiffriren. Als jedoch in Folge der Veröffentlichung jener bekannten geheimen preußischen Staatsdepesche durch das vom österreichischen Generalstabe 1869 herausgegebene Werk über den Feldzug von 1866 das preußische Ministerium andere Verbesserungsvorschläge „für den amtlichen Gebrauch“ prüfen mußte, entschied es sich endlich, statt der früheren vielen Bände nur ein einziges Buch mit fingirten Ziffern zu verwenden, das an allen Orten, zu allen Zwecken und für alle Correspondenten mit gleicher Sicherheit zu verwerthen wäre.

Der Buchdruckereibesitzer M. Niethe in Berlin, der das Studium der Kryptographie zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, gab 1874 ein solches Werk heraus, das dann bei der Chiffrirabtheilung des deutschen Reichskanzleramtes „als telegraphisches Chiffrirsystem für den allgemein praktischen Gebrauch und mit besonderer Berücksichtigung der diplomatischen, militärischen und Börsen-Depeschen“ eingeführt wurde. Dieses Buch wurde auch von England prämiirt mit der durch Parlamentsacte für Leistungen im Gebiete der „neuen wissenschaftlichen Erfindungen“ ausgesetzten Medaille. Das Buch ist von der Größe eines gewöhnlichen französischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_235.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2023)