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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 15.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Recht und Liebe.

Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Ueber die Verhältnisse der Tischgesellschaft war Leonhard nicht erst heute von seinem Vater orientirt. Der Baron von Dortenbach hatte keine Erben. Nur entfernte, gleich nahe Verwandte – die Kinder und Enkel zweier Großtanten, von denen eine nach Frankenland, eine nach Pommern verheirathet war. Und, rücksichtsvoll, wie solche sich heiliger Pflichten stets, wenn es Zeit ist, erinnernde Verwandte sind, waren sie zu ihm auf sein Gut in Westdeutschland gekommen, um sich seiner in der Verlassenheit anzunehmen. Zuerst war eines schönen Tages die Frau Generalin bei ihm aufgetaucht, um in rührender Beflissenheit sich selber seiner Pflege zu unterziehen, und nun war bald darauf auch aus dem schönen Frankenlande die andere Dame ankutschirt gekommen und hatte in noch rührenderer Beflissenheit zur Unterstützung ihres Pflege-Eifers gleich einen Sohn und eine Tochter mitgebracht; einige Zeit darauf war dann, um Süddeutschland nichts voraus zu lassen, auch der Generalin Sohn, Sergius von Sander, angelangt – die Tochter Dora mußte man den Ramsfeld’schen freilich voraus lassen; denn die zwei Töchter der Generalin hatten daheim bleiben müssen, um „dem Vater das Haus zu führen“, in Wahrheit jedoch nur, um nicht störend in die Aussichten einzugreifen, welche sich für Louise, die jüngste, durch die Bevorzugung boten, deren Gegenstand sie daheim unverkennbar von Seiten eines vermögenden Regierungsassessors war.

Die Tischunterhaltung wurde von der Generalin eröffnet; sich stark aufrichtend und Leonhard durch ein Pince-nez fixirend, sagte sie:

„Wo haben Sie studirt, Herr Doctor?“

„In Bonn, Leipzig und Halle, Frau Generalin,“ antwortete Leonhard mit einem Blick, der seltsamer Weise für das Pince-nez etwas Unbehagliches haben mußte; es glitt nämlich leise an der langen Nase nieder und zog sich in den Schooß der Dame zurück.

„Und Berlin? Ist das heutzutage nicht zur vollendeten Ausbildung eines jungen Mannes durchaus erforderlich?“ fragte die Generalin mit dem Tone entschiedenen Nichtbefriedigtseins.

„Ach gengen’s!“ fiel hier die Frau von Ramsfeld ein, „ich denk’, Würzburg thut’s auch. Wir haben halt Aerzt’ so gut, wie Sie nur verlangen können, und die sind über Würzburg und höchstens München nie hinausgekommen –“

„Aber ich bitte Sie – ‚Minchen‘, wie Sie es nennen, liebe Cousine – und Berlin! Die Entwickelung des wissenschaftlichen Lebens nach allen Seiten und Richtungen hin, welche Berlin aufweist –“

„Ich muß,“ bemerkte hier, um den Streit zu unterbrechen, der alte Herr, „von meinem politischen Standpunkte aus wünschen, es entwickelte ein wenig mehr Sinn für die großen europäischen Fragen, statt den großen und weit aufgeblähten Sack Reichshauptstadt mit einem Knäuel von Partei-, Fractionen- und Fractiönchen-Hader und einer miserablen Persönlichkeits-Interessen-Hetze zu erfüllen.“

„Da machen Sie sich doch eine ganz falsche Vorstellung von den Dingen bei uns, lieber Onkel,“ entgegnete ihm jetzt lebhaft Sergius von Sander und begann eine lange redselige Berichtigung dieser Vorstellung, bis ihn mit einem wehmüthigen Blick und einer zitternden Bewegung des Kopfes der alte Herr durch die an Leonhard gerichtete Frage unterbrach:

„Soll ich jetzt trinken, Klingholt?“

Leonhard war mit einem satirischen Vergnügen den Reden des jungen Mannes gefolgt, der, die Augen auf ihn gerichtet, offenbar den Effect der Geistreichigkeit auf ihn beobachtete, mit der er dem Doctor von vornherein gründlich imponiren zu wollen schien. Jetzt winkte Leonhard Andreas und ließ dem Baron Sect einschenken.

„Sie trinken Wein?“ fragte die Generalin mit einem ebenso erstaunten wie verweisenden Tone.

„Ein Recipe meines lieben Doctors hier,“ versetzte der alte Herr, indem er mit größtem Behagen den ihm lange untersagten Stoff schlürfte.

„Aber, Herr Doctor – bei dem tiefverstimmten Nervensystem meines Cousins! Die Aufregung, die Erhitzung – bedenken Sie –!“

„Sie können unter allen Umständen annehmen, meine gnädige Frau, daß ich, ehe ich etwas verordne, es bedacht habe,“ antwortete Leonhard mit einem Tone außerordentlich kühler Ueberlegenheit.

Frau von Ramsfeld lachte. Ihr Gesicht strahlte vor Vergnügen über die Abfertigung, welche die Generalin erhielt. In ihrer Schadenfreude ging sie sogar zu der kühnen Behauptung über, Wein, guter Wein, schade nie, besonders der Steinwein nicht, den Andreas leider nicht im Keller habe. Der aus dem Hofkeller zu Würzburg, oder der aus dem Julius-Spital sei der beste, aber man kenne ihn ja hier gar nicht.

„Der Steinwein ist ein durchaus nicht zu empfehlender Wein, wegen seines Alkoholgehalts,“ sagte Sergius, sich strafend zu Frau von Ramsfeld wendend und ihr schnöde beweisend, daß man ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_241.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2021)