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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

er scherzend dabei – und dann berichtete er, um seines Vaters Spannung zu enden.

„Die Leiden des Barons sind durchaus nicht schlimmer, am wenigsten gefährlicher Natur,“ sagte er. „Sie sind zum Theil die ganz gewöhnlichen Leiden des Alters, zum Theil bedingt durch eine Nervenzärtlichkeit und Empfindsamkeit, wie ich sie bei einem Manne noch nicht gefunden habe. Das übt einen Druck auf seine Seele, unter welchem der Wille, gesund zu sein, geschwunden ist. Dieser Wille, der Wille zum Leben, muß neu in ihm erweckt, und zu dem Ende zuerst das, was seine empfindsamen Nerven reizt und krankhaft schwingen macht, beseitigt werden. Haben wir dann seinem Willen zum Leben die nöthige Energie gegeben, so werden seine körperlichen Leiden sich mildern und vertreiben lassen, wie alle Leiden, welche von durchaus keiner organischen Störung verursacht sind.“

„Siehst Du, Mutter,“ sagte erfreut und lebhaft mit dem Kopfe nickend der Förster, „siehst Du, hab’ ich nicht gesagt, daß der Leonhard uns ein ganz anderes Licht aufstecken würde, wenn er sich der Sache annähme?“

„Daran habe ich ja nicht gezweifelt,“ entgegnete Frau Klingholt, „daß er’s besser versteht, als unser alter Doctor Fellmeyer mit seinen Schröpfköpfen und Blutegeln. Aber diesem schwachseligen Herrn, der so gutherzig ist, erst den Leuten das Holz, das sie ihm gestohlen haben, zu schenken, und dann wieder nicht die Courage hat, dies dem Vater zu gestehen – dem einen Willen einzuflößen –“

„Das ist schwer, denkst Du, Mutter?“ fiel Leonhard ein.

„Aus der Apotheke wenigstens wirst Du’s ihm nicht verschreiben können.“

„Nein, Mütterchen. Aber hast Du je von der neuen Cur durch Transfusion des Blutes gehört?“

„Ach, ich bitte Dich, Leonhard, wohl habe ich davon gehört, und nichts ist mir grauslicher gewesen als eben das; Ihr seid schreckliche Leute, Ihr Mediciner.“

„Beruhige Dich, ich wollte Dir nur durch ein Beispiel klar machen, wie ich unserem guten Baron zu einem verjüngten frischen Willen zu verhelfen gedenke. Es soll kein Blut dabei fließen – es soll eine ganz unsichtbare geistige Transfusion des Willens aus einer starken, energischen Seele in die seine, die durch ihre weibliche Empfänglichkeit einer solchen Behandlung entgegenkommt, bewerkstelligt werden.“

„Und eine solche starke, energische Seele, die ihren Willen dazu hergiebt, wo wirst Du sie finden?“

„Da ist ja gleich die Frau Generalin in der Nähe,“ fiel hier spöttisch Edwin ein. „Energisch ist sie genug, und hergeben wird sie, was man von ihr verlangt, wenn sie später bei der Theilung dafür einige Thaler mehr bekommt.“

„Als ob die Ramsfeld’schen viel besser wären – Dein Freund Damian zum Beispiel!“ rief der Förster.

„Doch, doch, Vater,“ entgegnete Edwin lebhaft, „Damian zum Beispiel ist ein ganz vorzüglicher Bursche, der nichts dawider kann, daß sich Alles gegen ihn verschworen hat, ihn nicht aufkommen zu lassen. Was kann er dafür, wenn sie ihm in seinem Examen immer die Fragen stellten, die er just nicht beantworten konnte, und sich heimtückischer Weise nie nach den Dingen bei ihm erkundigten, die er wußte? Und wenn ihm dann, als er endlich Jagdjunker geworden war, bei der ersten Hofjagd ein boshafter Prinz in den Weg lief, um sich von ihm anschießen zu lassen? Harte Schicksale, mußt Du einräumen, Vater –“

„Laßt doch des hohlköpfigen Damian Schicksale!“ unterbrach ihn die Mutter. „Laßt Leonhard weiter reden!“

„Nun wohl, Mütterchen,“ nahm dieser wieder das Wort. „Ich kenne in der Stadt eine solche Seele, wie ich ihrer hier, um meine Cur auszuführen, bedarf. Eine sehr ernste, sehr vielseitig gebildete junge Dame, welche ich als Krankenpflegerin habe kennen lernen – ich werde mich an sie wenden, und ich hoffe, es gelingt mir, sie für die Uebernahme der Pflege unseres Patienten zu gewinnen. Hat sie sie übernommen, so bin ich beruhigt; sie wird die Cur dann mit all der strengen Gewissenhaftigkeit, die ich an ihr erprobt habe, durchführen.“

„Und wer ist, wie heißt Dein Muster von einer Krankenpflegerin?“ fragte die Mutter.

„Sie heißt Regine – Bertram,“ antwortete nach einem augenblicklichen Stocken und mit einem leichten Erröthen Leonhard.

Die Mutter sah flüchtig, wie forschend, in seine Züge, aber sie schwieg. Vater Klingholt aber fiel laut ein:

„Das Beste wäre, wenn sie die Energie hätte, dem Baron die ganze Sippschaft, die ihn umgiebt und ihn nur ärgert, vom Halse zu schaffen!“

„Darum, Vater,“ versetzte Leonhard, „würde es sich allerdings zunächst handeln. Aergern darf sich unser guter Baron nicht mehr; das muß ein Ende haben, und eine Gesellschaft, welche ihn fortwährend an seine Hinfälligkeit erinnert, während es vor Allem darauf ankommt, ihm das Gefühl derselben zu nehmen, ist für ihn die verkehrteste von allen.“

„Wird aber schwer durchzusetzen sein, schwer!“ meinte der Förster sich erhebend. Er schlug jetzt Leonhard eine Wanderung durch die nächsten Waldpartien vor, um ihm zu zeigen, wie seine Anpflanzungen in den letzten Jahren gediehen. Leonhard war mit Vergnügen bereit, wenn die Mutter sich anschließe, und diese hing sich gern an den Arm ihres Sohnes, auf den sie so stolz war. Edwin verschwand in sein Giebelzimmer zu seinen Büchern; so ging Leonhard bald zwischen Vater und Mutter unter den hohen Tannen und Buchen dahin, und während der Vater sprach und erklärte und Geschichten aus seinem Waldleben erzählte, überkam Leonhard ein weiches Gefühl, eine innere Rührung mit einem sehnsüchtigen Durchfühlen solch einer Existenz, wie sie hier zwei Menschen führten, an denen sein ganzes Herz hing. Es ist nicht wahr, dachte er, das Leben ist kein „Kampf um’s Dasein“ – das Leben ist heutzutage zunächst ein Kampf wider alle die Vorurtheile und alle die falschen Maximen, welche die moderne Bildung wie eine boshafte Fee dem jungen Menschen von heute in seine erste Geisteswiege, in seine Schulung, legt. Der „Wille zum Leben“ ist nicht Urquell alles Schöpfungjammers, sondern der Keim jeder großen und göttlichen Thätigkeit des Menschengeistes, der mit seinen letzten Zielen, nach welchen Himmelsgegenden er auch schaue, immer doch das Ideale sucht, und dem es gelungen ist, einzelne Strahlen des Idealen und Göttlichen in seinen Werken abzuspiegeln und festzuhalten. Und der Menschenseele eigentliches Element ist der Friede, der identisch ist mit Gesundheit; der Kampf ist die Ungesundheit, ist das Fieber, ist der Schmerz. Und nicht gleich sind die Menschen, nicht gleichen Werths, nicht unterschiedloses Korn in der Mühle des Weltenschicksals – zwischen dem starken Geist, der die Menschheit weiter reißt auf der Bahn zu ihren Zielen, und den Millionen insectenhaften Gethiers, das ihn hemmt und lähmt, ist ein Werthunterschied, groß wie das Meer. Mit einem tiefen Aufathmen den würzigen Duft der Tannen einsaugend und den Arm, der im seinen lag, drückend, sagte Leonhard:

„Ich fühle hier so recht aus Herzensgrunde wieder, wie glücklich ich sein könnte, wenn ich zwischen Euch Euer Leben führen dürfte. Ihr wißt nicht, Mütterchen, wie glücklich Ihr seid, und welch schwere Lebensaufgabe das ist, ein vielbeschäftigter Arzt in einer großen Stadt zu sein.“

„Keine Ruh bei Tag noch Nacht!“ unterbrach ihn der Förster.

„Ach, das drückt weniger … das Schwere sind die Verantwortlichkeiten, wenn die Hand des Operateurs schwankend nach dem Messer greift, wenn man nicht weiß, ist der Augenblick es einzusetzen nun wirklich gekommen oder nicht. Das Schwere sind die Stunden, verlebt im Kreise verzweifelnder Familien, für welche unser Wissen und Können keinen Trost mehr hat.“

„Freilich, freilich – kann mir’s denken,“ sagte kopfnickend der Förster; „muß oft ein hartes Amt sein, Eures. Aber auch Unsereins hat seinen Kummer, seine Sorgen.“

„Wir wollen nicht undankbar sein, Curt; wir wollen uns nicht versündigen,“ fiel hier die Mutter ein; „wenn wir nur die Gewißheit hätten, daß unser guter alter Herr nicht zu früh die Augen schließt – wenn nur diese dunkle Wolke, die über uns hängt, dahin gezogen wäre … denn siehst Du, Leonhard, wenn Alles anders hier würde, wenn wir hinaus müßten aus dem friedlichen Waldhause, in dem Dein Vater wie sein Vater groß geworden, in dem ich Euch gewiegt und groß gezogen habe, Dich, Leonhard, zuerst, und dann die arme süße Ulrike, Dein Schwesterchen, das blonde fröhliche Kind, das sie als wachsbleiches Engelchen uns hinaustrugen … und dann den Edwin, den wilden leichtsinnigen Menschen, der uns doch auch noch immer ein guter Sohn gewesen ist und mit Gottes Hülfe ein braver Mann werden wird – wenn wir das alte Heim verlassen müßten – der Vater seine treuen alten Hunde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_244.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)