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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Würde dagegen die Maschine eines anderen frei im Strome schwimmenden Schleppdampfers einmal stoppen oder nachlassen, ohne sofort Anker zu werfen, so würde der ganze Zug unaufhaltsam stromabwärts treiben.

So läßt also der Umstand, daß das Schiff an der Kette einen festen Widerstand findet, die von der Maschine abgegebene Kraft möglichst voll zur Ausnutzung gelangen.

Die Kette reicht also, wie wir gesehen haben, vom Grunde aufwärts und wird durch geeignete Leitung über die ganze Länge des Schiffes geführt, wobei sie in Windungen um die beiden Trommeln geht; alsdann verläßt sie das Hintertheil des Schiffes und geht wieder schräg abwärts bis auf den Grund. Hieraus erhellt schon, daß die Kette nicht gespannt, sondern nur lose auf der Flußsohle aufliegt. Die aufgehobene Länge der Kette gestattet dem Schiffe mittelst der Steuer nach rechts und links eine zwar

Die Bömätscher auf dem Treidelsteg.
Nach einer Skizze.

begrenzte, aber genügende Beweglichkeit zum Ausweichen, die bei Krümmungen des Flußlaufs von besonderer Wichtigkeit ist. Hieraus sieht man aber auch, daß das Schiff eine gewisse Länge der Kette zu tragen hat, und daß es aus diesem Grunde auch tiefer eintauchen muß, als wenn es sich ohne Kette bewegte.

Natürlich ist es nicht gleichgültig, wie groß die Last der Kette ist, und deshalb darf die Tiefe des Gewässers ein bestimmtes Maß nicht überschreiten. Man würde beispielsweise in einem Wasser, das etwa dreißig bis fünfzig Fuß tief ist, die Kettenschifffahrt nicht mehr mit Vortheil betreiben können, weil das Schiff eine zu große Last zu heben hätte. Als zweckmäßige Grenze in Bezug auf die Verwendbarkeit der Kettenschifffahrt hat sich eine Tiefe von acht Metern ergeben.

Der wesentliche Vortheil der Kettenschifffahrt besteht also darin, daß sie bei sehr starken Gefällen zu Berg zu fahren auch dort ermöglicht, wo die frei schwimmenden Dampfer mit ihren Schleppzügen nicht mehr vorwärts kommen. So finden beispielsweise Raddampfer bedeutende Schwierigkeiten bei Gefällen, wie sie etwa der Rhein von St. Goar bis Bingen oder von Philippsburg bis Lauterburg[WS 1] und wie sie die Elbe von Niedergrund[WS 2] bis Aussig[WS 3] besitzt; sie müssen sogar auf das Schleppen der Lastkähne vollständig verzichten in Gefällen, wie sie von Lauterburg bis Straßburg auf dem Rhein, oder von Mannheim bis Heilbronn auf dem Neckar vorkommen.

Selbstverständlich muß die Stärke der Kette stets den gegebenen Verhältnissen, der Tiefe und der Stromgeschwindigkeit des Flusses angepaßt werden. So sind z. B. die einzelnen Glieder der in die Elbe gelegten Kette etwa so groß wie ein Handteller und haben eine Eisenstärke von zweiundeinhalb Centimeter, während das Gewicht jedes einzelnen Gliedes etwas mehr als ein Kilogramm beträgt. Dies ergiebt für die bis jetzt mit Kette belegte Strecke der Elbe ein Gewicht von mehr als zehn Millionen Kilogramm. Auch der Bau der Kettendampfer muß unter den oben erwähnten Umständen von dem unserer gewöhnlichen Flußdampfer abweichen.

Sie sind, da sie sich zumeist nur an der Kette stromauf und -abwärts bewegen, vorn und hinten symmetrisch gebaut, führen auch der höheren Manövrirfähigkeit wegen vorn und hinten je ein Steuer. Ihre Dampfmaschine besitzt in der Regel 100 bis 150 Pferdestärken und bewegt die beiden Trommeln auf Deck gemeinschaftlich nach einer Richtung. Je stärker die Gefälle und je größer der Schleppzug ist, um so energischer legt sich die vordere Trommel in die stark gespannte knirschende Kette, mit zornigem Ruck Glied auf Glied mit ihrer stahlharten Oberfläche erfassend und sich und den ganzen Schleppzug an ihr stromaufwärts windend.

Der nunmehr von Wind und Wetter und anderen Zufälligkeiten unabhängige Schleppdienst auf der Elbe wird so gehandhabt, daß jeder Kettendampfer die von ihm gezogenen zehn oder zwölf Schiffe, die, durch Taue mit einander verbunden, einen stattlichen Schleppzug bilden, so lange stromaufwärts fährt, bis ihm ein anderer entgegenkommender Kettendampfer diese Last abnimmt. Dann wird Station gemacht, was an jedem beliebigen Punkte der Kette geschehen kann, und der frei gewordene Motor kehrt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. fr: Lauterbourg
  2. cs: Dolní Žleb, ein Ortsteil der Stadt Děčín
  3. cs: Ústí nad Labem
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_252.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)