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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zurück, bis er stromabwärts den nächsten Schleppzug trifft, den er dann wieder stromaufwärts fährt. So reichen sich die Dampfer die Lasten einander zu und schaffen sie an den Ort ihrer Bestimmung.

Wenn es einmal erwünscht ist, daß ein Dampfer ganz frei von der Kette fahre, zu welchem Zwecke die Mehrzahl der Dampfer auch noch mit einer Schraube versehen ist, so wird einfach ein Kettenschloß gelöst, wie man auf jedem halben Kilometer ein solches antrifft, oder es wird nöthigenfalls ein Glied der Kette mit einem Meißel zerschlagen und nachdem man die Kette von den Trommeln genommen, vereinigt man ihre beiden Enden wieder durch ein einfaches Kettenschloß.

Die Idee dieser Kettenschifffahrt ist viel älteren Datums als die Dampfschifffahrt. Wir können sie bis zum Jahre 1723 zurück verfolgen. Damals gab der in Dresden lebende Mathematiker Marperger ein Werk heraus, betitelt: „Wasserfahrt auf Flüssen und Canälen“, und in demselben findet sich folgende Stelle:

„Wir können nicht umbhin, der von dem berühmten Mechanico, und Math. Prof. Herrn Nicolaus Molwitz zu Magdeburg zwar angegebenen, aber nicht zum Gebrauch gekommenen Maschine, vermittelst welcher die schwer beladenen, die Elb hinaufkommenden Schiffe durch etwan fünf bis sechs Mann, da dermalen wohl fünfzig nöthig seyn, über den schnellen Wasserfall unter der Magdeburgischen Brücken hatten heraus gezogen werden sollen, noch einmal zu gedenken. Es besteht aber solche Maschine in zwei liegenden Wellen, worauff die Taue oder funes Tractorii gewickelt werden, und zwar vermittelst sechs abwechselnder Vectium-Homorodromorum, oder gleich aufflauffender Hebel, wobey denn dieser Umbstand, daß die Tauen, wie sie umb die vordere Welle umbgeschlagen werden, sich immer wieder von derselben ab und auff die hintere auffwickeln, die ganze Maschine aber auf einen Ponton oder Prahm gar füglich kann angebracht werden.“

Mit dieser Beschreibung ist das Princip unserer heutigen Kettenschifffahrt vollkommen dargestellt.

Die ersten Versuche der Kettenschifffahrt sollen in Dresden gemacht worden sein; späterhin, im Jahre 1732, ließ Marschall Moritz von Sachsen bei Straßburg im Elsaß ähnliche Versuche anstellen, welche nachher in Frankreich Fortsetzung fanden. Die Franzosen waren es auch, welche diese unzweifelhaft deutsche Erfindung praktisch vervollkommnet haben. Der erste Ingenieur, welcher vor etwa sechszig Jahren die Dampfkraft auf ein Kettenschiff zu übertragen suchte und die Grundzüge der heutigen Kettenschifffahrt entwarf, war Tourasse; sein System fand jedoch damals wenig Anerkennung, sodaß erst im Jahre 1839 der erste Erfolg bringende Kettendampfer gebaut und im Innern von Paris in Dienst gestellt wurde. Späterhin dann, seit den fünfziger Jahren bis zum Jahre 1873, wurden in Frankreich noch etwa 500 Kilometer Wasserstraßen mit der Kette belegt.

In Deutschland hatten indessen die beiden Elbstädte Magdeburg und Dresden ihr altes Prioritätsrecht auf die Kettenschifffahrt nicht vergessen. Das erste deutsche Versuchsschiff dieser Art wurde 1866 vom Director der Vereinigten Hamburg-Magdeburger Dampfschifffahrtscompagnie Herrn Graff für den Localdienst durch die Magdeburger Brücken in Dienst gestellt. In den darauf folgenden Jahren fand in der Einrichtung der Kettenschleppschifffahrt der Oberelbe die erste Ausdehnung derselben auf eine größere Strecke des nicht canalisirten Elbstromes statt. Der kühne und unternehmende Schöpfer dieser Anlage ist der noch heute an der Spitze der gesammten deutschen Kettenschifffahrt der Elbe stehende Ingenieur General-Director E. Bellingrath in Dresden, der neuerdings in den weitesten Kreisen bekannt geworden ist durch die von ihm gemachte wichtige Erfindung des hydrostatischen Wagens, mit welchem beladene Schiffe beliebiger Form und Größe auf besonders dazu eingerichteten Eisenbahnen, selbst bei wechselnden Steigungsverhältnissen, sicher und ohne Schaden zu nehmen, bergauf und -ab transportirt werden können.

Damals, im Jahre 1869, als die erste Probefahrt auf der Strecke von Riesa nach Dresden unter seiner Leitung stattfand, war die Herrschaft der Bomätscher noch in voller Blüthe, und sie waren sich derselben so wohl bewußt, daß sie nicht im Mindesten die Concurrenz des Kettendampfers fürchteten. Im Gegentheil, sie bemitleideten ihn sogar, da sie jeden Augenblick erwarteten, daß er an einer der vielen gefährlichen Stromschnellen zu Grunde gehen würde. Als aber das Fahrzeug mit dem von ihm geschleppten Zuge elegant und sicher die berüchtigte scharfe Ecke der Meißener Fuhrt passirt hatte, da wurden die Gesichter merklich länger, und nachdem zum Schluß sogar noch der Schrecken aller Schrecken für die damalige Schifffahrt, die gefährliche Passage unter der den Strom verengenden Augustus-Brücke in Dresden, ohne die geringste Beschädigung des Schleppzuges zurückgelegt war, da überkam die Bomätscher das Gefühl der Wuth und Feindschaft, und mehr als ein Stein flog, aus ihrer Mitte geschleudert, auf das Fahrzeug.

Bis zum Jahre 1871 war die Elbe von Magdeburg bis zur böhmischen Grenze, bis 1872 von der böhmischen Grenze bis Aussig und von 1870 bis 1874 von Magdeburg bis Hamburg durch drei verschiedene Gesellschaften auf eine Gesammtlänge von 668 Kilometer mit der Kette belegt worden, und es wurde durch 28 Kettenschiffe der Dienst versehen. Gegenwärtig nun, seit wenigen Monaten, ist durch eine Fusion verschiedener Gesellschaften die Deutsche Elbschifffahrts-Gesellschaft „Kette“ mit dem Sitze in Dresden entstanden, in deren Händen der gesammte auf 630 Kilometer sich erstreckende deutsche Elbkettenbetrieb vereinigt ist.

Freilich begründet die Einlegung einer Kette oder eines aus Metalldrähten bestehenden Seiles in das dem Staate gehörige Strombett ein, wenn auch nicht gesetzlich ausgesprochenes, doch aus technischen Gründen als thatsächlich vorhanden zu betrachtendes Monopol; denn zwei oder mehrere Ketten oder Seile verschiedener Unternehmer können neben einander nicht bestehen. Die Kette liegt nämlich durchaus nicht immer an derselben Stecke des Flußbettes, sondern schlängelt sich auf dem Grunde hin und her und wird fast von jedem Schleppzuge seitlich verlegt. Es würden deshalb mehrere Ketten sehr bald sich gegenseitig verwickeln und in Unordnung gerathen. Aber weil nur eine Kette liegen darf, und das Monopol vom Staate nur durch besondere Concession verliehen werden kann, so ist der Staat auch berechtigt, daran alle die Bedingungen zu knüpfen, welche eine einseitige Ausbeutung des Monopols verhindert. Diese Bedingungen machen die Ketten- oder Seilschifffahrt zu einem außerordentlich gemeinnützigen Unternehmen, wodurch sie sich sehr wesentlich von den übrigen Schleppschifffahrts-Unternehmungen unterscheidet. Letztere können ihre Kundschaft nämlich nach Belieben wählen und die Preise ganz nach Wunsch ändern; sie können dem Einen billige, dem Anderen hohe Schlepplöhne anrechnen, einem Dritten sogar die Mitnahme verweigern; sie dürfen auch zu beliebiger Zeit ihren Betrieb unterbrechen oder ganz einstellen. Alles dies kann und wird die Behörde bei Concessionirung von Kettenschleppschifffahrtgesellschaften vermeiden und letzteren aufgeben, zu jeder beliebigen Zeit jedem Schifffahrttreibenden nach einem festen, von der Regierung genehmigten Tarife die nothwendige Schleppkraft zu liefern. Hierdurch verliert die „Bergfahrt“ eines mit der Kette belegten Stromes alle ihre Schrecknisse und unangenehmen Zufälle. Aus Monaten und Wochen früherer Fahrten werden jetzt genau zu berechnende Tage; die Hin- und Rückreise kürzt sich so sehr ab, daß das Fahrzeug im Vergleich mit den früheren Zuständen jetzt während eines Jahres fast die doppelte Anzahl Touren unternehmen kann.

Man erhält einen Begriff von der Leistungsfähigkeit der Kettenschifffahrt wenn man bedenkt, daß ein einziger Kettendampfer im Stande ist, die Last von mindestens einem halben Dutzend unserer gewöhnlichen Güterzüge selbst gegen den schärfsten Strom mit solcher Schnelligkeit zu ziehen, daß er zu dem Wege von Hamburg nach Dresden kaum mehr als eine Woche braucht. Es sind auch gegenwärtig auf der Elbe vielfach an Stelle der kleineren Segelfahrzeuge von zweitausend bis viertausend Centner Tragkraft große Schleppkähne von achttausend bis zehntausend Centner Tragkraft getreten.

So ist die Kettenschifffahrt das vorzüglichste Mittel, regelmäßig große Lasten auf schnellströmenden Flüssen zu befördern, und bei der großen Bedeutung unserer Wasserwege für den Handel und Wandel wird sie auch fernerhin ohne Zweifel an Ausbreitung gewinnen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)