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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Die Cultur und Verarbeitung der Weiden in Deutschland.

Von Robert Berge.

Die ästhetischen Eigenschaften und noch mehr die Nutzbarkeit der Weiden treten auf den ersten Blick so deutlich hervor, daß diese Pflanzen bereits in der grauesten, sagenumwobenen Vorzeit die Aufmerksamkeit der Menschen erregt haben und die Geschicke derselben als stumme Zeugen zu begleiten des öftern berufen waren. Schon der Psalmist, welcher die verzweiflungsvolle Stimmung der gefangenen Juden in Babylon schildert, führt, indem er an den üppigen und farbenprächtigen Gewächsen jener Gegend vorübergeht, mit seiner Meisterschaft in seine knappe Darstellung die Weiden ein, an welche das thränenreiche Volk seine verstummten Harfen hing,[WS 1] und von dem „göttlichen Dulder Odysseus“ berichtet Homer, daß er das Nothschiff, auf welchem er die Göttin Kalypso verließ, zum Schutze gegen die Meereswogen mit Weidengeflecht umgeben habe.

Es war natürlich, daß sich sehr früh das Bedürfniß der Anpflanzung von Weiden geltend machte, sei es zur Zierde oder zur Befestigung von Ufern, sei es zur Verwendung in der Industrie. Cato der Aeltere (gestorben 149 v. Chr.) hält bereits die Weidencultur für einen der wichtigsten Zweige der Landwirthschaft, und im ersten Jahrhundert n. Chr. fand sich Columella bewogen, in sein Werk über die Landwirthschaft auch eine Anleitung über den Anbau der Weiden aufzunehmen.

In Deutschland genügten bis in die neuere Zeit herein die an Gewässern, Zäunen, Brüchen etc. wild vorkommenden Weiden, um den Bedarf der heimischen Industriellen vollständig zu decken. Daher wissen auch die zahlreichen deutschen „Kräuterbücher“ des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts, welche den Inbegriff der damaligen Kunde über die Pflanzenwelt enthalten, nichts von einer Cultur der Weiden. Nichtsdestoweniger waren schon in jener Zeit obrigkeitliche Verfügungen nöthig, welche gegen das unbefugte Abschneiden von Flechtweiden auf fremdem Grund und Boden einschritten. Eine derartige Verordnung erließ z. B. Kurfürst Johann Georg der Erste von Sachsen im Jahre 1621 für einige Ortschaften des Muldenthales bei Zwickau, in welcher den dasigen Korbmachern der Weidendiebstahl auf’s Strengste untersagt wurde.

In dem Maße aber, wie die moderne Korbindustrie sich ausbreitete und veredelte, wurde das wildaufwachsende Weidenmaterial in quantitativer Hinsicht unzureichend, wie auch qualitativ vielfach ungenügend. Welche Unmassen von Weidenholz gehören nicht zu den tausenderlei Sachen und Sächelchen, die man heutzutage aus demselben hergestellt sieht, und welche Regelmäßigkeit des Wachsthums ist erforderlich, um die Ruthen jener Pflanze in die langen, dünnen Stäbchen, oder die biegsamen, bandartigen Streifen zu spalten, aus denen unsere feinen Weidengeflechte kunstvoll gearbeitet sind! Damit war die Veranlassung geboten, den Weiden einerseits mehr Flächenraum zu gewähren und sie andererseits in geregelte Cultur zu nehmen. Die ersten Versuche hierzu fallen bei uns allem Anschein nach in das vorige Jahrhundert. 1777 erschien eine Schrift von Weismantel über den verbesserten Weidenbau, welcher Arbeiten ähnlichen Inhaltes aus den Jahren 1786, 1796, 1800 etc. folgten. In Frankreich, Belgien und England befand sich indessen die Cultivirung der Weide auf einer ungleich höheren Entwickelungsstufe, und die deutsche Korbindustrie sah sich daher seit Jahren genöthigt, einen bedeutenden Theil ihres Bedarfs an Flechtmaterial, nämlich gerade die edelsten und theuersten Weiden, aus dem Auslande zu beziehen. Noch im Jahre 1875 erhielt ein einziger Korb- und Weidenhändler in Lichtenfels, laut einem amtlichen Berichte des „Landwirtschaftlichen Kreiscomités für Oberfranken“, fünfundvierzig Eisenbahnwagenladungen an Weiden im Werthe von 125,000 Mark aus Belgien und Frankreich. Diese bildeten jedoch nur den sechsten Theil derjenigen Weiden, welche 1875 allein in den Kreis Oberfranken eingeführt worden sind, einen Kreis, dessen Korbindustrie allerdings nach demselben Berichte etwa 25,000 Arbeiter beschäftigt.

So wanderten viele Millionen in’s Ausland, bis sich vor nicht zu langer Zeit umsichtige Landwirthe angelegen sein ließen, die Möglichkeit einer Concurrenzfähigkeit der deutschen Weiden mit den französischen und belgischen allgemeiner begreiflich zu machen, und man erinnert sich der mannigfachen Anregungen in Zeitungen, Flugschriften und Vereinen, welche seit Jahren das öffentliche Interesse auf diesen Gegenstand zu lenken versuchten. Verschiedene Regierungen unterstützten jene Bestrebungen zur Hebung der deutschen Weidencultur, so die preußische, die sächsische, die baierische und die österreichische, welch letztere neuerdings sogar Preise für mustergültige Weidenplantagen auswarf.

Gegenwärtig ist die deutsche Weidencultur der ausländischen vollkommen ebenbürtig geworden; unsere Weidenzüchter erzielen von ihren Grundstücken dieselben hohen Gelderträge, wie die französischen und belgischen; wir finden heute umfangreiche, wohlgepflegte Weidenanlagen in Nord und Süd, in West und Ost unseres Vaterlandes, und eine kürze Beschreibung derselben dürfte wohl ein allgemeines Interesse beanspruchen.

Die Weide kommt bekanntlich entweder in Baum- oder in Strauchform vor. Die erstere zeichnet sich besonders durch ihre ästhetisch wirkungsvolle Gestalt aus, welche zahlreiche Landschaftsmaler benutzt haben, um ihren Compositionen ein eigenthümliches, stimmungsvolles Colorit zu geben; als Trauerweide schmückt sie unsere Kirchhöfe und unterbricht melancholisch die Ruhe der Gräber durch das Geflüster ihrer zahllosen leichtbeweglichen Blätter; sie hat auch als Anknüpfungspunkt für eine Reihe von Sagen gedient. Die Strauchform dagegen ist die für die Landwirthschaft und Industrie werthvollere, weil unter Anwendung dieser Form große Massen von Flechtmaterial erzeugt werden können.

Die Anschauungen über die Bodenflächen, welche zur Weidencultur geeignet sind, haben sich im Laufe der Zeit geändert. Ihrem besonderen Wasserbedarf entsprechend, wurden die Weidensträucher ursprünglich besonders längs der Uferböschungen gehegt. Bei zunehmender Nachfrage aber verbreiterte man hier und da die Weidenbestände bis in die das Ufer begrenzenden Wiesen hinein. Der Ufercultur folgte also die Wiesencultur der Weiden, welcher sich noch eine dritte und zwar die Feldcultur anschloß. Die wenigste Mühe verursacht der Anbau der Weide an Ufern; die höchsten Erträge können derselben unter günstigen Verhältnissen auf Feldern abgewonnen werden, während der Anbau auf Wiesen eine Mischcultur ist, insofern zwischen den Weiden mehr oder weniger breite Streifen der Grasnutzung überlassen bleiben.

Die Feldcultur, als die jüngste, erfordert die meiste Ueberlegung. Das hierzu bestimmte Feldgrundstück wird sorgfältig bearbeitet, bevor die Anpflanzung beginnt. Die Weidenstecklinge werden sodann eng genug gesetzt, damit die sich entwickelnden Sträucher dicht und lückenlos neben einander stehen. Ein lückenloser Bestand ist so wichtig, daß jede zufällig in demselben entstandene Lichtung vermittelst Nachpflanzung wieder geschlossen zu werden pflegt. Denn jede Lücke dient in der Regel als Brutstätte für das sich rasch ansiedelnde Unkraut, welches von hier aus leicht in die umgebenden Sträucher eindringt und mit diesen ohne Weiteres den Kampf um’s Dasein eröffnet.

Man erreicht den nun erforderlichen Zusammenschluß der einzelnen Sträucher, indem man die Weidensetzlinge reihenweise und etwa in Entfernungen von zwanzig Centimeter in den Boden steckt, während man zwischen den einzelnen Reihen einen freien Raum von etwa fünfzig Centimeter läßt. Dicht und schlank, wie die Halme eines Getreidefeldes, steigen in solchen Anpflanzungen die Weidenruthen senkrecht vom Boden auf und erheben sich bis zu einer Höhe von mehreren Metern, zahlreichen Insecten, Singvögeln, Rebhühnern und Hasen willkommene Schlupfwinkel bietend.

Jeder Knabe weiß, daß frische Weidenruthen, welche man zu geeigneter Zeit in den Erdboden steckt, sehr bald Wurzeln schlagen und weiter wachsen. Diese Erfahrung verwendet der Weidenzüchter, indem er Weidenruthen in Stücke von etwas mehr als 20 Centimeter Länge zerschneidet und diese ohne weiteres als Stecklinge benutzt. Nach Ablauf jeder Vegetationsperiode, also Jahr für Jahr, wird der gesammte Weidenbestand tief an der Erdoberfläche abgeschnitten, und jedes Jahr ergänzt er sich von Neuem. Es ist fast zu verwundern, daß diese lebenskräftige Unverwüstlichkeit der Weiden noch nicht sprüchwörtlich geworden ist.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Weidenzüchters besteht in der Auswahl der für sein Klima und seinen Grund und Boden am besten passenden Arten. Und hier ist seinen Wünschen ein so

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Psalm 137,2
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_255.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2023)