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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Wie unnütz!“ fiel die Generalin ein – „ich bitte Sie, Doctor!“

„Das zerstörte ja alles Malerische und Romantische des Baues,“ meinte Sergius.

„Ich bin Arzt,“ erwiderte lächelnd Leonhard. „Ich sehe in dem halb Zerstörten nur das Kranke – der Heilung Bedürftige.“

„So müßten Sie halt auch das Heidelberger Schloß wieder aufbauen,“ warf Frau von Ramsfeld spöttisch ein.

„Weshalb nicht? Ruinen, welche die Zeit geschaffen, die Wandlungen der Jahrhunderte zerstörten, muß man ungeflickt lassen, wie alles, was einer abgethanen und nicht wieder zu erweckenden Idee angehört. Aber das Heidelberger Schloß – Sie haben in Heidelberg studirt, Baron?“

„In der That – es waren meine schönsten Lebensjahre!“

„Nun denn – ist in Ihnen nie der Wunsch entstanden, das, was nicht die Zeit zerstört hat, was durchaus nicht einer abgethanen Epoche der Cultur angehört, hier erhalten, ergänzt – in all seinem Glanz wiederhergestellt zu sehen?“

Der Baron zögerte mit seiner Antwort, und Leonhard fuhr fort: „Wir sollten dieses hohe Werk unserer heiligen Renaissance neu erbauen zur Schulung und Ausbildung unserer Kunst, zum Beweise, daß wir die alten Scharten, welche fremde Mordbrenner ungestraft in das deutsche Schwert hauen durften, auszuwetzen wissen, und zum Wahrzeichen auch, daß wir Kinder einer neuen Zeit der Renaissance sind und in der Strömung derselben Gedanken stehen, deren Quellen auf dieser Humanisten- und Reformatorenburg sprudelten.“

„Und dann?“ warf Sergius ein.

„Dann mag die neue Prachtburg als Sommerschloß dem deutschen Kaiser geschenkt werden, eine Gabe der Nation, welcher er den Kaiser wiedergab.“

„Das,“ sagte hier lächelnd Frau von Ramsfeld, „könnt’ mir schon gefallen. Wär’ halt gar nicht so übel, wenn der Kaiser aus dem Berlin weg käme und sich mehr an den Süden hielte, wo’s doch auch noch Leute giebt.“

„Bitte, liebe Cousine,“ entgegnete mit einem mitleidigen Blicke auf die wohlgenährte kleine Frau die Generalin; „ich möchte wissen, wie Sie sich das denken. Sie glauben doch nicht, daß man die Reichsregierung verlegen könne, etwa nach Rottenburg, das ja noch sehr alterthümlich ausschauen soll.“

Der alte Herr hatte längst die Ungeduld zu verstehen gegeben, mit welcher er dieser Unterhaltung folgte. Jetzt sagte er:

„Lassen wir denn unser Spiel und bitten wir Dora, daß sie uns etwas auf dem Clavier … aber wo ist sie?“

Man sah nach der ein wenig dämmerigen Fensternische, in welcher Dora vorher neben Damian gesessen, aber man erblickte nur noch Damian darin, der, schlaff auf einem Tabouret gekauert, eben furchtbar stark gähnte und dann mit seinem ödesten Gesichte die nach ihm umschauende Gesellschaft anstierte.

„Der alte Professor Florhuber,“ sagte er jetzt mit seiner hohlen Grabesstimme, „ließ uns immer den Witz hören: als der liebe Gott die Welt abmaß, war Berlin der Punkt, wo er den Cirkel einsetzte …“

„Wer fragt Dich nach Deinem alten Professor,“ rief ihm scheltend Frau von Ramsfeld zu. „Wo Dora ist, wirst Du gefragt.“

„Dora ist gegangen – es wurde ihr zu lang, bis der Doctor das Heidelberger Schloß fertig hatte …“

Der alte Herr erklärte nach einer Weile, daß er ermüdet sei, und gab der Gesellschaft dadurch das Zeichen, sich zurückzuziehen. Nur Leonhard blieb noch eine Weile bei ihm, verordnete noch Einiges und überließ ihn dann der Fürsorge des treuen Andreas.

In sein Zimmer zurückgekehrt, schritt er gedankenvoll eine Weile auf und ab; dann öffnete er das Fenster und blickte auf die vom hellen Sternenhimmel dämmerig erleuchteten Wipfel und Gebüsche der Gartenanlagen unter ihm hinaus. Es war eine friedlich stille Nacht, und obwohl die Luft von einer wohlthätigen Frische war, zog doch kein Hauch eines Windes durch die Aeste. „Ueber allen Wipfeln ist Ruh,“ sagte sich Leonhard – „welch unvergleichliche Existenz könnten die Menschen haben, die nichts wollten, als solch eine festgesicherte Friedenszuflucht wie dieses Dortenbach, und sich damit beschieden, von ihm aus nur den engsten Kreis derer, die auf sie angewiesen sind, beglücken zu wollen, statt mit ihrer leidenschaftlichen Eitelkeit nur athmen zu können in der Welt, die … aber was ist das – schlägt denn die Nachtigall noch?“

Er lauschte, indem er den Kopf nach der Richtung wandte, von woher eben der süße Gesang Philomelens zu ihm herüber drang. Dieser schien von der Seite einer dichten Gebüschpartie zu kommen, auf welche ein Streifen Licht hinüberzitterte, der aus einem erleuchteten Fenster an der gegenüberliegenden Ecke des Gebäudes schimmern mußte. Die Jahreszeit war vorgerückt; die Nachtigallen waren bereits verstummt; nur noch eine späte Nachzüglerin konnte ihren Gesang so klangreich und so anhaltend hören lassen, wie er eine Weile lang schmelzend durch die stille Nachtluft schwamm. Leonhard horchte entzückt auf die Sängerin, deren ernst schwermüthige Laute so harmonisch in seine Gedanken hineinklangen – als ihm plötzlich die störende Erinnerung kam, daß ja Edwin, sein Bruder, eine wahre Schelmenkunst darin besaß, alle Vogelstimmen und ganz besonders täuschend die der Nachtigall nachzuahmen. Wurde er von dem dummen Burschen wirklich getäuscht?

Er lauschte länger – schärfer, und war bald im Klaren. So ununterbrochen sang keine Nachtigall; so methodisch tönte keine der willkürlichen, ungeregelten Stimmen der Natur. Und nun schwieg sie plötzlich; das Concert war zu Ende. Dann wurden die Lichter gelöscht; denn im gleichen Augenblicke war auch der matte Lichtschimmer von den Zweigen und Blättern der Gebüschpartie verschwunden.

Leonhard konnte nicht annehmen, daß sein Bruder ihm habe ein Abendständchen bringen wollen. So viel brüderliche Zärtlichkeit war von dem Herrn Forsteleven, dem „wilden Jungen“, wie die Mutter ihn nannte, nicht vorauszusetzen. Sein Nachtigallenflöten mußte also Jemand anders gelten – und Leonhard’s Gedanken hatten nicht lange zu suchen – nicht erst sich Edwin’s Schutzrede für Dora’s Bruder Damian in’s Gedächtniß zurückzurufen, um bestimmte Gedanken darüber zu hegen, wer aus dem Herzen des jungen Grünrockes diese nächtlichen Liebestöne locke. Dieses verstohlene Concert war eine hübsche, zartgedachte und poesievolle kleine Huldigung vor dem Schlafengehen – aber Leonhard beschloß doch, mit der Mutter sehr ernst darüber zu reden. Es empfahl sich, Edwin’s Abreise in’s Examen zu beschleunigen, wo man andere Dinge von ihm verlangte, als schmelzende Nachtigallenweisen in weichen Sommerabendstunden.




6.

Leonhard fand am andern Morgen die Bewohner von Dortenbach im Eßzimmer zum Frühstück versammelt; nur der Baron fehlte; er pflegte sich erst in sehr vorgerückter Stunde zu erheben und befand sich dann „in seiner Morgenstimmung“, wie die Generalin es heute spöttisch nannte; „angegriffen von seinen schlechten Nächten“, corrigirte Frau von Ramsfeld. Er lehnte in solchen Stimmungen sogar die Sträuße ab, die Dora mehrmals versucht hatte, ihm zu bringen – er sei ganz menschenfeindlich in den Morgenstunden, sagte die Generalin.

„Menschenfeindlich ist er nie,“ fiel Frau von Ramsfeld ein; „er ist krank, der alte Mann; er ist nur zu gut – zu gut, da fehlt’s ihm.“

Frau von Ramsfeld legte in dieses „zu gut“ eine Betonung, die das Bewußtsein einer speciellen Berechtigung zu diesem Ausspruche verrieth; vielleicht mochte auch die Generalin ahnen, daß ein solcher Hintergedanke, wenn er von ihrer Cousine gehegt wurde, mit einer schadenfrohen Vorstellung von ihrer, der Generalin, beschleunigten Heimreise in einer ziemlich nahen Verbindung stehe.

„Zu gut?“ antwortete sie spitz und gedehnt. Und da sie den Ausdruck ähnlicher Gefühle nicht laut werden lassen durfte, setzte sie hinzu: „Er ist ein Egoist, wie die Männer alle sind – sonst wäre er ja auch mit seiner Gutmüthigkeit gar zu sehr aus der Art geschlagen; denn die Dortenbach sind immer ein leidenschaftliches, hartes und hochmüthiges Geschlecht gewesen – unser Eins, der selbst dazu gehört, darf das schon sagen.“

„Da muß ich denn doch bitten, liebe Cousine – wie man so etwas aussprechen mag über sein eigenes Blut“ – fiel Frau von Ramsfeld ein.

„Weshalb nicht die Wahrheit sagen, wenn man unter sich ist? Doctor Klingholt gehört ja so halb und halb auch mit zur Familie und wird schon wissen, daß ich vollauf berechtigt bin, so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_258.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)