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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


wurde und seinen Auftrag zurückzog. Nun that es dem guten Magister leid um das viele Geld, das Jener umsonst daran gesetzt – und schnell entschlossen spielte er das Loos weiter, ohne daß der Freund davon wußte. Aber siehe da – eines Tages klopft es an der Thür der Thurmstube, und der Postbote bringt eine glückliche Botschaft, den Gewinn von 10,000 Thalern. Und was that der plötzlich wohlhabend gewordene Einsiedler der Pleißenburg? Er packte das Geld zusammen und schickte es seinem Freunde – das war so selbstverständlich nach seiner geraden Auffassung.

„Mir würde kein Bissen wieder geschmeckt haben, wenn ich Jahre lang das Loos für einen Anderen gespielt und dann den Gewinn für mich behalten hätte,“ sagte er in seiner einfachen Weise zu seinen Freunden.

Unverdrossen las er nach wie vor seine Correcturen und verdiente sich mühsam, aber fröhlich sein ehrliches Brod. Er war eben ein Charakter und eine vornehme Natur dazu.

Alter Freund, ich kann Dich nie vergessen. Nun setzest Du Dich zu Deinem Frühstücke und verzehrst den selbst gekochten Trank; das freundliche alte Gesicht zeigt ein inniges Behagen; Du rückst die hohe Tuchmütze weiter über die breite Stirn hinaus und wirfst Deinen Lieblingen, den Tauben, die durch’s Fenster aus- und einfliegen, Semmelkrümchen zu. Das geflügelte Volk gurrt und zankt, und nun redest Du polternd dazwischen:

„Das macht’s wie die Menschen; keins will dem anderen den größern Bissen gönnen; ’s ist doch traurig, daß überall die leidige Selbstsucht waltet. Die Leute da unten nennen’s den Kampf um’s Dasein.“

Jetzt überlegt der alte Herr, ob er heute einmal einen Spaziergang machen soll, und überzählt die Wochen, während welcher er den Hof der Pleißenburg nicht betreten hat.

Seit er älter geworden ist und besonders seit seine Stimme ihr Metall verloren, hat er sich mehr und mehr eingesponnen auf seinem Thurme, und seine Freunde sehen ihn recht selten, wenn sie nicht die fünf Treppen nach seinem Horste heraufsteigen wollen. Es paßt ihm nicht, seinen langen, gefütterten Hausrock und seine hohe Mütze abzulegen und eine besondere Toilette zu machen, wie es nun einmal die Gesellschaft verlangt; auch fühlt er sich unter der jüngeren Generation nicht sonderlich behaglich.

Aber er hat sich in seiner Einsiedelei ein warmes Herz und ein kluges Verständniß für alle Vorgänge der Welt erhalten, die da unten an seinem Thurme ihre Wellen schlägt. So eine und die andere kleine Schrulle hat sich freilich wohl auch bei ihm eingenistet – aber wer hätte die nicht?

Eben tritt seine alte Dienstmagd ein; sie hat ihm Papier und Tinte besorgt und legt ihm nun einige Kupfer- und Silbermünzen in die Hand. Er wirft das Geld auf den Tisch, als ob ihn ein böses Insect gestochen, und über sein gutes Gesicht geht wirklich etwas wie ein kleiner ärgerlicher Zug:

„Muß ich denn jeden Tag wiederholen, daß mich ekelt vor diesen schmutzigen Groschen und Pfennigen? Kann Sie denn nicht den Leuten sagen, daß ich sauberes, blankes Geld haben will? – Hier sieht man ja kaum mehr, ob das auf dem Gelde da Kopf oder Schrift ist.“

„Aber, Herr Magister, die Leute haben’s eben nicht anders; es kann sich doch nicht Jeder jeden Tag die frische Prägung aus der Münze holen.“

„Das weiß ich, aber säubern, waschen kann man das Kupfer und Silber.“

Und das ist der pure Ernst des alten, wackeren Herrn; er veranstaltet wirklich ab und zu eine Geldwäsche und freut sich wie ein Geizhals, wenn die Münzen so recht glänzen und flimmern. Nun ist ihm freilich für heute die Lust am Spaziergange wieder vergangen; er hat zu thun: dies widerwärtig schmutzige Geld muß sauber werden. Er tritt an den Waschtisch; er wäscht und reibt; es schimmert und glänzt; nun geht er an’s Fenster und läßt die Silberstücke im Sonnenglanz flimmern; da kommt ihm ein neuer Gedanke: er will das Silber vergleichen mit anderem, und so begiebt er sich an sein Pult und zieht Kasten um Kasten heraus: hier liegt sein Reichthum, sein Schatz. In Reih und Glied, geordnet nach chronologischen und historischen Regeln, hat er hier Münze an Münze aufgehäuft, von den massigen Goldstücken mit den altrömischen Kaiserköpfen bis zum geprägten Metall vom neuesten Datum. Er liebte sie sehr, seine Münzen, fast noch mehr als seine Bücher, seine Tauben und Blumen, aber der Inbegriff all dieser stillen Leidenschaften des guten Alten, gewissermaßen deren Lebensbedingung, war doch die Einsamkeit seiner stillen Thurmwohnung, das hohe Nest, wo er den blauen Himmel so nahe hatte und wo seine Tauben ihm den Morgenbesuch abstatteten. Und ach! er sollte dieses trauliche Heim verlassen, sollte die fünf Stiegen auf immer herabsteigen müssen zu dem lauten Treiben da unten auf Märkten und Gassen. Das war der Schmerz seines Alters. Fremde Leute sollten hausen, wo er so lange gewohnt.

Wer kann ermessen, was damals in der Brust des alten Mannes vorging, als er mit dem letzten wehmüthigen Blicke Abschied nahm von dem lieben Heim, das ihn mehr als ein halbes Jahrhundert beherbergt hatte. In diesen verräucherten Wänden lag seine ganze stille, arme und doch so reiche Vergangenheit. Das hat ihm ein Stück von seinem Herzen gekostet. Lange aber hat er nicht in der neuen Wohnung gehaust, in welcher seine Freunde ihn untergebracht. Eine freundliche Parze schnitt ihm den Lebensfaden ab; er starb ohne Schmerzen schnell und plötzlich, ein Lächeln auf den Lippen. Nun mußte er, der fünfzig Jahre so hoch über der Erde gewohnt, so tief herab und unter die Erde ziehen.

Das war das Leben meines alten Freundes, und wahrlich es war reicher und reiner als das tausend Anderer. Nicht an welchem Platze man steht, sondern wie man denselben ausfüllt, darauf kommt es an. Der alte Magister von der Pleißenburg hat seines Herzens Meinung nie verrathen, seine Hände nie geschwärzt mit dem unsauberen Solde einer käuflichen Gesinnung. Sein Leben war redliche Arbeit in Verborgenheit – wenn er auch nur ein Corrector war.

Du fragst: Und hat ihn niemals der sanfte Flügelschlag jenes Engels berührt, den die Menschen Liebe nennen? – Ich weiß es nicht. Ob ihm ein Frauenauge jemals milder geleuchtet, eine weiche Hand die seine verständnißinnig gedrückt – wer mag es sagen? Wenn es geschah, dann ist es sein Geheimniß geblieben, und er hat es mit hinüber genommen zum ewigen Schlaf. Sein Herz war reich genug, um ein anderes Wesen liebend zu umfassen, und wer weiß, ob er nicht in seinen jungen Tagen den bitteren Kampf der Entsagung gekämpft hat, und wenn er ihn kämpfte, dann wußte er auch, warum.

Schlaf wohl, ehrlicher, alter Magister! Um Deinen Hügel weht es wie Hauch des Friedens. Kein Weib und Kind weint an Deinem Grabe, aber da und dort denkt wohl Einer, der Dich gekannt hat, Deiner in Liebe und spricht in Wehmuth und Achtung zugleich: Er war ehrlich und gut – er war ein Charakter, der alte Junggeselle.




Blätter und Blüthen.


Die Warteräume in Gerichtslocalen haben schon Unzähligen schwere Seufzer ausgepreßt, und zwar nicht blos den Sträflingen, sondern auch den Rechtsuchenden, den Zeugen und anderen Unschuldigen. Wenn es in alten Gebäuden, in welchen man hier und da aus Sparsamkeitsrücksichten der Gerechtigkeit ihre Sitze anwies, die Regel ist, daß ohne Ausnahme Alle, welche auf den Beginn einer Amtshandlung zu warten haben, oft stundenlang in wahrhaft erbärmlichen Räumlichkeiten ausharren müssen, so sollte das doch nicht auch in manchen Justizhäusern jüngeren Datums vorkommen. Bald benutzt man dazu so beschränkte Zimmer, daß sie leicht überfüllt sind; bald sind es nur Durchgangsräume, zugige Gänge oder Vorplätze, welche als Wartelocale dienen, und nirgends wird Rücksicht auf die Wartenden genommen, ja nicht einmal auf alte und schwache Personen. Wohl entgeht der Zustand solcher Warteräume der Aufmerksamkeit des großen Publicums, weil immer nur ein sehr geringer Bruchtheil desselben vor den Schranken der Justiz zu thun hat, aber selbst diesem Bruchtheile gegenüber dürfte wohl daran erinnert werden, wie viel besser, selbst auf der kleinsten Station, die Wartelocale der Eisenbahnen eingerichtet sind, Locale, in welchen man für gewöhnlich sich nicht stunden-, sondern oft nur minutenlang auszuhalten braucht.

Es ist nöthig, daß solche Uebelstände besprochen werden, und zwar um so lauter, je länger darüber geschwiegen worden und je gewisser es ist, daß solche Wartelocalzustände nicht blos Aergerniß, sondern sogar schon Nachtheil an der Gesundheit der Wartenden verursacht haben. Wären all die Fäuste in den Taschen, die aus solchen Amtshäusern herausgetragen wurden, gezählt worden – es hätte eine imponirende Ziffer gegeben, vor welcher vielleicht längst schon das beklagte Uebel geschwunden wäre.



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