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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ist wirklich eine wunderbare Geschichte, eine seltsame Schicksalsfügung, daß just sie es that und meine Gedanken zwang, bei dem Bilde zu haften; wenn man alt ist, Klingholt, nehmen die Dinge …“

Leonhard, der gespannt bei alledem aufgehorcht hatte, brachte den alten Herrn zum Schluß des langen Satzes, indem er unterbrechend fragte:

„Und mein Auftrag?“

„Ihr Auftrag, Klingholt, soll sein, ihr zu sagen: daß ich ihr den Weg zu ihrem Glücke bahnen will. Sagt’ ich Ihnen nicht schon, daß es immer mein Gedanke, mein Wunsch gewesen, Jemand adoptiren zu können? Ja, richtig, ich sagte es Ihnen schon einmal, und nun hören Sie, Doctor: ich will sie adoptiren. Dann erhält sie einen Namen und ein Wappenschild, das sich neben das jedes Grafen oder Barons im Reiche stellen kann. Fehlt es ihr alsdann noch an Geld, um ihren Baron zu heirathen, so soll sie es auch haben. Ich werde meiner Adoptivtochter eine Rente zahlen lassen – so viel sie bedarf. Sagen Sie ihr das – aber verlassen soll sie mich nicht … sie ist mir in den wenigen Tagen nothwendig geworden … in meiner Nähe muß sie bleiben; ihr Baron wird sich’s schon gefallen lassen, in Dortenbach zu hausen, wenn er weiß, am Ende wird Dortenbach sein.“

Leonhard sah ihn mit Augen, welche sich um ein Merkliches vergrößert hatten, überrascht an. Die Ueberraschung schien ihm die Worte geraubt zu haben.

„Nun,“ sagte der alte Herr, „weshalb schauen Sie mich so stumm an? Weshalb sagen Sie nichts zu meinem Vorhaben? Sind Sie nicht damit einverstanden? Wollen Sie etwa den Advocaten meiner lieben Anverwandten machen? Die lieben Anverwandten haben mich genug geärgert. Die lieben Anverwandten mögen sehen, wo sie bleiben! Die lieben Anverwandten sollen Legate haben … gute, ausreichende Legate …“

„Ich bin nicht hier, den Advocaten Ihrer Verwandtschaft zu spielen; höchstens den Ihrigen, Baron …“

„Und was sagen Sie denn als mein Advocat zur Sache? Sprechen Sie doch!“

„Ich ehre Ihren Entschluß. Er ist rasch gefaßt, sehr rasch, und ich begreife, daß Fräulein Regine Ihnen unentbehrlich geworden …“

„Wahrhaftig – das ist sie.“

„Nur das Eine muß ich Ihnen einwerfen: Sie wissen nicht, ob … der fragliche ‚Baron‘, den Ihnen Fräulein Regine vielleicht als Adoptiv-Schwiegersohn zuführen würde, ebenso Ihre Sympathien gewönne.“

„Darin haben Sie Recht, Klingholt – sehr Recht; ich habe selbst daran gedacht, aber wissen Sie, wer ein Mädchen wie Regine liebt, der muß ein braver und tüchtiger Mensch sein … denken Sie nicht auch?“

„Wer weiß?“ entgegnete lächelnd Leonhard. „Je besser ein Mensch, desto schwächer seine Menschenkenntniß, und Amor’s Binde, wissen Sie …“

Der alte Herr zuckte die Achseln.

„Wir müssen’s darauf wagen,“ erwiderte er. „Gehen Sie hinüber zu ihr! Machen Sie ihr die nöthigen Eröffnungen! Finden Sie irgend Schwierigkeiten, so ebenen Sie dieselben … wollen Sie, Klingholt? Sie wissen, was mich angeht, ich weiß Schwierigkeiten gegenüber nicht viel anzufangen. Es ist das nun einmal meine schwache Seite. Planiren Sie alles, was im Wege sein sollte! Und dann kommen Sie zurück und sagen Sie mir, daß wir es so einrichten – uns zusammen so einrichten auf Haus Dortenbach!“

Der alte Herr war offenbar von seinem Plan ganz erfüllt. Ein leidenschaftlicher Eifer für denselben war über ihn gekommen; ein Wunsch hatte ihn mit einer Heftigkeit erfaßt, deren er sich wohl selbst nicht mehr für fähig gehalten. Es war so lange, lange Zeit verflossen, seit er überhaupt keinen Plan mehr gemacht, keinen Wunsch mehr gefaßt hatte: wie hätte dieser plötzlich in ihm erweckte nicht desto stärker sein, nicht mit einer Art fieberhaften Verlangens nach der Erfüllung verbunden sein sollen?

„Sie wollen, daß ich augenblicklich zu Fräulein Regine gehen und mit ihr reden soll?“ fragte Leonhard.

„Sehen Sie einen Grund zum Aufschub?“

„Nein,“ versetzte Leonhard nach einer Pause Nachdenkens; „ich will Fräulein Bertram Ihr Anerbieten kund thun.“

Und damit ging Leonhard, um sich zu Regine hinüberzubegeben.




8.

An der dem Wohnzimmer des Barons gegenüberliegenden Seite des melancholischen großen Festsaals – denn ein Festsaal war dieser in der Mitte des Gebäudes angelegte Raum doch, obwohl er so verblichen und verschossen aussah – an der gegenüberliegenden Seite führte die entsprechende Thür in ein Zimmer, welches sich Regine, um dem Baron nahe zu sein, zu ihrem Aufenthalte ausgewählt hatte. Es mochte früher, in den lustigeren Zeiten, welche Dortenbach ohne Zweifel erlebt hatte, als Spielzimmer gedient haben, während in dem nahestehenden Saale vielleicht eine heitere Jugend im Tanz umherwirbelte; das Möbel, welches Regine sich als ihren Arbeitstisch an das Fenster stellen lassen, war wenigstens ein alter Spieltisch, und den Kaminsims zierte eine Reihe kunstreich aus Elfenbein geschnitzter Schachfiguren, während auf zierlichen Consolen an den Wänden japanische und indische Kästchen angebracht waren.

Regine hatte nicht viel gethan, den Raum zu einem traulichen Damenboudoir umzugestalten; nur einige Frauenarbeiten, die auf dem Tische am Fenster lagen, deuteten auf die Besitznahme des Zimmers durch eine Dame. Sie saß eben, eine Stickerei in den Händen, aber sehr oft von dieser auf- und gedankenvoll durch das Fenster auf die Tannengruppe draußen blickend, an diesem Tische, als Leonhard leise anklopfte.

„Regine,“ sagte er eintretend, offenbar höchst bewegt, mit freudig gerötheten Zügen, „welche Wendung der Dinge! Sie ahnen nicht, mit welcher Botschaft ich zu Ihnen komme – Sie Böse haben mir nicht den Gefallen thun wollen, sich in den guten alten Herrn zu verlieben, und nun, zur Beschämung für Sie, hat er sich dafür sterblich in Sie verliebt. Er will Sie nicht wieder missen, Sie nicht wieder scheiden sehn – und deshalb – doch nein, ganz im Ernste, nicht blos deshalb, sondern zunächst um Ihretwillen, um Ihres Lebensglückes willen, will er Sie an Kindesstatt annehmen, adoptiren, ausstatten …“

Regine, welche ihm entgegengetreten war und seine Hand erfaßt hatte, ließ diese fahren und wich einen Schritt zurück; sie war auffallend bleich geworden.

Leonhard, aus dessen Zügen die helle Freude leuchtete, schien zu erregt, um dies zu bemerken – er fuhr lebhaft fort:

„Das wendet und endet ja nun Alles – das schlichtet unsern Hader auf’s Gründlichste und Unerwartetste – das ist ein Gedanke, so unendlich gescheut, so glücklich … aber was ist Ihnen, Regine? – Sehen Sie das nicht ein – nicht ein, daß nun Alles gut – daß Sie durchaus nicht wider Ihrer armen Mutter Andenken sündigen, nicht Ihrer Eltern Gesinnung Lügen strafen, wenn Sie hier die Herrin werden? Wenn Sie von einem guten, weichherzigen Manne sich adoptiren lassen und als Adoptivtochter annehmen, was er aus freien Stücken Ihnen vermacht, er, der fremde Mann, Ihnen, die Sie ihm nichts sind als Regine Bertram ….“

Regine zuckte unmerklich die Schultern und, zurücktretend, ließ sie sich wieder in ihrem Sessel am Fenster nieder, um stumm hinaus auf die dunklen Tannen zu blicken.

„Aber ich bitte Sie, Regine – Sie müssen doch einsehen … um Gotteswillen, sprechen Sie doch …“

„Sind Sie ein Kind geworden, Leonhard – oder ein Sophist?“ fragte sie mit schmerzlich zuckender Lippe und unsäglicher Bitterkeit.

„Sophist? Sie nennen mich Sophist, weil ich das ausspreche, was in solcher Lage jeder unbefangene, mit richtigem Gefühl begabte Mensch empfinden würde?“

„Was geht mich der Menschen Empfinden an,“ versetzte sie heftig erregt; „ich folge meinem Empfinden, ich thue, was mir mein Herz sagt, und was es mir sagt, das wissen Sie ja …“

„Ich weiß es, aber ich wußte nicht, daß Ihr Herz unerbittlich wie das der Parze sei,“ antwortete Leonhard tonlos und wie schwer getroffen, indem er sich auf den Stuhl neben der Thür niederließ und mit untergeschlagenen Armen den Boden anstarrte.

„Man hat,“ fuhr Regine fort, „meinen Vater mit Verachtung und Haß aus diesem Hause gestoßen; man hat ihn verleumdet und beschimpft und meine Mutter, die von dem geliebten Manne nicht lassen wollte, dahin getrieben, freiwillig den Tod zu suchen; als Gottes Hand ihr aber eine Rettung sandte, hat man das wohl nur beklagt, und als man sie endlich hat ziehen lassen müssen, da wurde sie mit schimpflichem Lärm und Hohn gezwungen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_275.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)