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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Jahren war ich ein großer Jäger, und als mein Vater starb, tödtete ich Büffel und ernährte mein Volk. Mit vierzehn Jahren erschlug ich den ersten Feind; ich wurde Häuptling, und mein Volk nannte mich ‚Tatanka-iyotanka‘, den ‚Sitzenden Büffel‘. Ich schlug die Mandanen, die Arikarees und Shoshonen; die Krähen vertrieb ich aus ihrem Gebiet; der Name des ‚Sitzenden Büffels‘ war gefürchtet überall. Jetzt ist die Zahl meiner Tapferen dahingeschmolzen, wie der Schnee vor der Sonne; Pferde und Waffen sind uns genommen; unsere Arme hängen herab, wie die der Todten; es bleibt uns nur übrig, zu sterben auf dem Boden, wo unsere Väter jagten und begraben liegen.“

Als ich Sitting Bull mit den Historien bekannt machte, die bezüglich seiner „militärischen Erziehung“ verbreitet gewesen, entgegnete er ernst:

„Ich fürchtete mich niemals vor meinen Feinden und that mein Bestes, aber meine Erfolge habe ich dem ‚Großen Geiste‘ zu verdanken.“

„‚Eisenauge‘,“[1] fuhr er fort, „wenn Du zum ‚Großen Vater‘ (d. h. zum Präsidenten der Vereinigten Staaten) gehest, so sage ihm, daß ich zu leben wünsche wie ein Weißer, sage ihm, daß ich im nächsten Frühlinge Heerden und eine Farm zu haben wünsche, die mich ernähren können; denn ich mag nicht von den Rationen leben, die uns täglich zugetheilt werden; ich wünsche mir selbst zu helfen. Ich möchte am Cannon Ball River leben; dort ist gutes Land, Wasser und Holz, dort ist der Platz, wo ich geboren wurde. Ich wünsche, daß Lehrer dort in der Nähe seien, die meine und meiner Krieger Kinder lehren; ich wünsche, daß dort Schmiede und Handelsleute wohnen, mit denen wir in Verbindung treten können. Sage dem ‚Großen Vater‘, daß ich nicht rede, um zu reden; mein Herz ist gerade und will, was ich sage.“

Uebrigens ist Sitting Bull auch schon selbst als sein eigener Biograph thätig gewesen. Im Museum zu Washington befindet sich nämlich seine in Bildern ausgedrückte Lebensbeschreibung, im echten Stile der indianischen Malerei von ihm selbst gefertigt. Sie enthält eine große Zahl von Darstellungen aus der Geschichte seines eigenen Lebens bis zum Jahre 1870. Jede Skizze ist roh mit Blei oder Tinte entworfen, die Bilder der Männer und Pferde manchmal roth und blau angemalt mit Buntstiften.

Das erste Blatt stellt ihn als jungen Mann dar, der, noch ohne Ruf und ohne Federschmuck, einen Krähenindianer niederreitet, welcher mit dem Bogen auf ihn zielt. Sitting Bull’s Symbol oder Namenszeichen, ein kauernder Büffel, ist an einer aus seinem Munde gehenden Linie über ihm gezeichnet, während auf dem Schilde das Bild eines Adlers sich befindet. Das vorletzte Bild zeigt ihn, wie er als Häuptling der starken Herzen mit seiner Bande in ein Lager der Crows einbricht und dreißig derselben tödtet.

Der letzte Krieg, welcher Sitting Bull und seinen Getreuen den Untergang brachte, entspann sich in eben dem Jahre, in welchem die ersten Gerüchte über den angeblichen Goldreichthum der „schwarzen Berge“ sich verbreiteten, deren ungestörter Besitz mit allem Lande am oberen Missouri bis zu den Quellflüssen des Yellowstone den Dacotahs durch einen von den Generalen Harney und Terry abgeschlossenen Vertrag gewährleistet worden war. Die Geschichte dieser Kämpfe ist schon früher (vergl. Jahrg. 1876, Nr. 33) in der „Gartenlaube“ ausführlich besprochen worden.

Der Krieg war ein Kampf bis auf’s Messer und fand seinen Höhepunkt in der am 26. Mai 1876 stattgefundenen Schlacht am Little Horn River, in welcher General Custer mit seiner ganzen etwa 300 Mann zählenden Abtheilung von den Dacotahs umzingelt und niedergemetzelt wurde. Nicht ein Weißer entrann; nur ein indianischer Läufer war der Ueberbringer der Kunde, die am grünen Tische zu Washington und in den ganzen Vereinigten Staaten namenloses Entsetzen erregte. Man befürchtete das Schlimmste und sandte darum in aller Eile drei Armeecorps nach dem Yellowstone, um den kühnen Indianerfürsten zu strafen. Doch dieser wich mit vollendetem Geschicke der Uebermacht aus, brachte den Truppenmassen große Verluste bei und überschritt nach langen Kämpfen im September 1877 die canadische Grenze, wo er an den Wood Mountains ein Lager bezog.

Vier Jahre verbrachte er unter dem milden Scepter der Königin Victoria, als es aber keine Büffel mehr zu jagen gab, die Hungersnoth mit all ihren Schrecken ihm und den Seinen in das Antlitz starrte, fast alle seine Krieger von ihm wichen, da ward allmählich sein stolzer Sinn gebrochen, und er versammelte am 19. Juli des Jahres 1881 die Letzten seiner Getreuen um sich, um in Fort Bufford sich seinen verhaßten Feinden zu ergeben. Angesichts des dort Commandirenden verharrte der stolze, durch die Noth bezwungene Mann einige Minuten in tiefem Schweigen; dann befahl er seinem kleinen Sohne, dem amerikanischen Officier seine Flinte zu übergeben, und als dies geschehen, sagte er:

„Ich überreiche Ihnen dieses Gewehr durch meinen Sohn. Er ist ein Freund der Amerikaner geworden. Ich wünsche, daß er die Gebräuche der Weißen kennen lerne und daß er erzogen werde gleich den Söhnen dieser. Ich wünsche, daß man des Umstandes eingedenk bleibe, daß ich der Letzte meines Stammes war, der sein Gewehr übergab. Ich gab es Ihnen, und jetzt möchte ich wissen, wie wir uns nähren sollen. Was Sie zu geben und zu sagen haben, möchte ich jetzt empfangen und hören; denn ich will nicht länger im Dunkeln gehalten werden. Von den Boten, welche ich von Zeit zu Zeit hierher gesandt, ist keiner mit Nachrichten zurückgekehrt. ‚Krähenkönig‘ und ‚Gall‘ wollten nicht, daß ich komme, und niemals habe ich gute Nachrichten von denselben erhalten. Dies ist mein Land, und ich will nicht genöthigt werden, dasselbe aufzugeben. Als ich das Land der ‚Großen Mutter‘ (Königin Victoria) verlassen mußte, war mein Herz sehr traurig. Sie war mir eine Freundin, jedoch ich will, daß meine Kinder in meinem Heimathslande aufwachsen, und ich wünsche, daß alle Krieger unseres Stammes aus einer uns gehörigen Reservation am kleinen Missouri zusammen wohnen möchten.“

Am 29. Juli wurde der „Sitzende Büffel“ mit seinem Gefolge auf dem Dampfer „Sherman“ nach Fort Yates gesendet. Dort verblieb er nur kurze Zeit; die Bleichgesichter fürchteten den entwaffneten Löwen und seine gewaltige Redekunst, und so ward er am 10. September 1881 mit seinen ihm in den Tagen des Unglücks treu gebliebenen fünfundvierzig Kriegern und den Frauen und Kindern derselben nach Fort Randall eingeschifft. Die zusammen hundertachtundsechszig Köpfe zählende Gesellschaft langte nach siebentägiger Fahrt an dem Bestimmungsorte an, zum heillosen Schrecken der ganzen Garnison und Bevölkerung, die Hals über Kopf, als sie durch Depeschen über den zu erwartenden Besuch unterrichtet wurden, die umfassendsten Vorkehrungen trafen, um die furchtbaren Gäste zu empfangen. Man hatte ein Fleckchen Land mit zehn Fuß hohen, mannsdicken Palissaden eingezäunt, welche von einem kleinen mit Schießscharten versehenen Blockhause überragt wurde, sodaß man von demselben aus ein mörderisches Gemetzel unter den innerhalb des Palissadenviereckes Befindlichen hätte anrichten können.

Als nun die Gäste kamen, war die ganze Garnison mit scharfgeladenen Gewehren und Geschützen consignirt worden, und auf’s Höflichste wurden die Indianer aufgefordert, gefälligst in den besagten Kraal hineinzuspazieren. Doch diese weigerten sich auf’s Entschiedenste und sagten, lieber würden sie sterben, als sich einer Heerde Kälber gleich einsperren lassen, und so wies man ihnen endlich einen Platz westlich vom Fort an, der von starken Posten bewacht wurde und jederzeit mit Kanonenfeuer bestrichen werden konnte. Erst als man sah, daß sich mit den „rothen Teufeln“ ganz gut verkehren ließ, schwand die Furcht; man räumte ihnen nach und nach kleine Vergünstigungen ein und verlegte das Lager, als die Winterstürme kamen, in die durch Baumwuchs geschützte Niederung am Flusse.

Dort lebt nun der rothe Napoleon; seine Macht ist gebrochen, aber dennoch blicken auf ihn die Augen aller Häuptlinge, ihn um seinen Ruhm beneidend, ihn, der mit den fünfundvierzig ihm treugebliebenen Kriegern traurig am Ufer des Missouri sitzt und geduldig wartet, welches Schicksal über ihn verhängt werden wird.

Unter den Getreuen Sitting Bull’s, unter denen namentlich Heutopa („Vierhörner“) und Wakia-luta (der „Rothe Donner“), als die einflußreichsten Häuptlinge hervorzuheben sind, befand sich

  1. „Ista-maza“, „Eisenauge“, war der Name, unter dem ich den Söhnen der Wildniß bekannt war. Andere, meine Eigenschaft als Correspondent wohl erfassend, nannten mich „Ei-am-paha“, „Herold“, „Verkündiger“, der über das große Wasser „Minni-owancaya“ („Wasser überall“) gekommen sei und dem Volke der „Iya-sica“, der „harten Sprecher“, angehöre, mit welchem Namen sie die Deutschen belegen, weil die Sprache derselben so schwer (hart) zu erlernen und zu sprechen sei. Die Franzosen, vor fünfzig Jahren die einzigen Weißen, die mit den Dacotahs zusammen kamen, heißen sie „das gewöhnliche Volk“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_278.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)