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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


die Ansätze dazu sind ja sichtlich vorhanden. Die ganze Bestrebung ist aber noch so neu, daß man sich vielmehr wundern sollte über die Erfolge, die bereits errungen worden sind, als es ihr zum Vorwurf anrechnen, daß sie das letzte Ziel nicht mit einem Sprunge erreicht hat.

Der Gedanke an die zukünftige Entwickelung des Feriencoloniewesens erübrigt mir zum Schluß die Beantwortung der Frage: ob seine bisher zu Tage getretenen Formen für die Dauer als fixirt zu betrachten seien oder ob eine erweiternde Ergänzung derselben angestrebt werden solle. Meine Ansicht hierüber geht nun dahin, daß allerdings die in den meisten Städten vorhandene Organisation der Feriencolonien einer weiteren Entwickelung fähig und bedürftig ist. Noch ist es nicht an der Zeit, auf den errungenen Erfolgen auszuruhen und das bisher Geschaffene zu einem abgeschlossenen System erstarren zu lassen. Darum soll man zwar die bisher gepflegten Arten der Ferienversorgung erstens wirklich kranker Kinder in Soolbädern oder, je nach Anordnung der Aerzte, an der See, zweitens schwächlicher, schlecht genährter Kinder in geschlossenen Colonien, und drittens einzelner erholungsbedürftiger in guten Familien, ruhig weiter fortsetzen; vielleicht jedoch so, daß man die Einzelunterbringung in Familien mehr als jetzt betreibt, und zwar in der Weise, wie sie sich bisher in Kopenhagen, in Hamburg und Bremen bewährt hat. Als leitender Gesichtspunkt dafür, welche Kinder den Colonien und welche der Familienpflege zuzuweisen sind, ergiebt sich wohl von selbst die Rücksicht auf ihre Erziehungsbedürftigkeit. Solche, welche des Einflusses eines erfahrenen Erziehers bedürfen, wird man naturgemäß der Colonie zuweisen, schwächliche, aber sorgfältiger erzogene Kinder verarmter Eltern wird man getrost der Familienpflege überantworten können.

Daß ich aber die Unterbringung in Familien mehr betont sehen möchte, ist in dem Wunsche begründet, den Segen des Landaufenthaltes so vielen Kindern wie nur immer möglich zu Theil werden zu lassen. Jedenfalls ist der Umstand von hoher, wenn nicht ausschlaggebender Bedeutung, daß man für ein Coloniekind drei Kinder in Familienpflege unterbringen kann.

Die Kosten nun, die durch die Familienpflege erspart werden, möchte ich vorschlagen zur Bildung von Stadtcolonien, wie sie in Barmen bestehen, zu verwenden. Es ist dies eine Einrichtung, die mir äußerst nachahmenswerth erscheint. Das Comité zu Barmen sendet nur wirklich kranke Kinder hinaus, während die schwächlichen, schlecht genährten in der Stadt bleiben; diese Letzteren werden aber täglich an bestimmten Orten, etwa in der Turnhalle, versammelt und erhalten hier ein halbes Liter gute Milch und ein Stück Brod zum Frühstück. Sodann wird gespielt. Nachmittags kommen sie wieder und empfangen abermals ein halbes Liter Milch, um dann zu einem tüchtigen Spaziergange in den Wald geführt zu werden. Abends nach der Rückkehr erhalten sie zum dritten Mal ihr Theil kräftige Milch und ein Stück Brod dazu, nun aber kehren sie in ihre Behausung zurück.

Der Familienzusammenhang wird also durch die Stadtcolonie nicht unterbrochen, und was die Kosten einer derartigen Verpflegung betrifft, so belaufen sie sich für den Tag und das Kind auf vierzig Pfennig.

In solchen Stadtcolonien könnte man diejenigen Kinder vereinigen, welche von der Reise ausgeschlossen werden müssen, weil sie dafür noch zu klein sind, oder weil sie an einem unheilbaren Leiden kranken, das durch den Landaufenthalt nicht gehoben werden kann, oder weil endlich ihr Leiden leichterer Art ist und schon durch eine minder tiefeingreifende Einwirkung beseitigt zu werden vermag.

Eine andere Ergänzung der bisherigen Organisation würde ich in der Einrichtung von Feriencolonien für Kinder bemittelter Eltern sehen. In ihnen wären Schüler höherer Anstalten gegen Erstattung der Auslagen in einfacher Weise auf dem Lande unterzubringen, um unter der Leitung tüchtiger Erzieher ihre Ferien frisch und fröhlich zu verleben. Dieses Unternehmen würde dem Comité keinen Pfennig kosten und doch viel Segen stiften. In meiner früheren Praxis als Schriftführer des Leipziger Comités ist mir – wie oft! – das Verlangen nach einer solchen Veranstaltung entgegengebracht worden, und es giebt in der That sehr, sehr viele Eltern, die, durch Amt oder Geschäft an die Stadt gefesselt, nicht im Stande sind, die Ferienversorgung ihrer Kinder in einer für diese wahrhaft ersprießlichen Weise zu übernehmen, die aber gern bereit sein würden, die verhaltnißmäßig niedrigen Kosten dafür zu tragen. Solche Eltern sollten in der Sorge für ihre Kinder kräftig unterstützt werden. Es ist meine Ueberzeugung, daß die Schüler höherer Anstalten die Erholung oft noch nöthiger brauchen, als die der Volksschulen; denn diese dürfen sich in den Freistunden das ganze Jahr hindurch auf der Straße tummeln, während jene jahraus, jahrein hinter den Büchern hocken müssen.

Nimmt man die Stadtcolonien und die Colonien für Kinder bemittelter Eltern zu den bisherigen Einrichtungen hinzu, so wird mit einem Schlage – ohne Erhöhung der Ausgaben – eine große Anzahl Kinder einer nicht hoch genug zu schätzenden Wohlthat theilhaftig, welcher sie bisher entbehrten. Damit kommt man dann dem Ziele, womöglich alle Bedürftigen zu erquicken und zu kräftigen, wieder um ein Beträchtliches näher.

Wenn erst zwanzig Jahre hindurch in Deutschlands großen Städten die Feriencolonien bestanden haben werden, dann wird sicherlich in den unteren Schichten der Bevölkerung mehr Gesundheit und Kraft, mehr natürliche Frische und Lebensfreude vorhanden sein als heute. Bewirken die Feriencolonien aber das, so bilden sie wahrlich einen Baustein zur Größe unseres Vaterlandes.




Mein wildes Lieb.
Von Hermann Eduard Jahn.[1]

Der stille Abend ist gekommen:
Die Blumen schliefen müde ein;
Schon ruht im Dämmerlicht verschwommen
Gebirg’ und Haide, Moor und Hain.
Ringsum ein tiefes sel’ges Schweigen;
Es bebt selbst nicht das dürre Ried –
Nur über mir aus grünen Zweigen
Singt noch die Nachtigall das Lied:
Ich lieb’ Dich, wilde Kleine
Im blonden Lockenhaar,
Ich lieb’ und werd’ Dich lieben,
Ja lieben immerdar.

Da wachen auf die wilden Rosen,
Und hauchen wärmer ihren Duft,
Und wie geheimes Liebeskosen
Geht da ein Weh’n durch alle Luft;
Es wachen auf die jungen Blätter
Und heben leis zu rauschen an,
Und wie ein jubelndes Geschmetter
Schwingt sich das Lied zu Dir hinan:
Ich lieb’ Dich, wilde Kleine etc.

Du ruhst jetzt wohl auf weichen Kissen,
Im losen, duftigen Gewand,
Von wildem Sehnen hingerissen
Preßt Du auf’s Herz die kleine Hand,
Und höher glühen Deine Wangen,
Und heißer glüht des Busens Hauch,
Und wie im Bangen, im Verlangen
Umschleiert sich Dein liebes Aug’:
Ich lieb’ Dich, wilde Kleine
Im blonden Lockenhaar,
Ich lieb’ und werd’ Dich lieben,
Ja lieben immerdar.

Da sinkt ein Traum auf Dich hernieder:
Wir ruh’n im moos’gen Waldesgrund;
Ich drück’ Dein scheues Händchen wieder
Und küsse fiebernd Deinen Mund.
Du hältst mich eng, gar eng umfangen –
Kein Laut, kein Rauschen fern und nah;
Nur uns’re Liebesschwüre klangen,
Und jubelnd, jubelnd sang ich da:
Ich lieb’ Dich, wilde Kleine etc.

  1. Aus des phantasie- und talentvollen Verfassers soeben erschienenen „Verwehten Blättern“ (Leipzig, Karl Rühle), welche wir hiermit der allgemeinen Beachtung wärmstens empfehlen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_287.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)