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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


der Verzicht ihrer Mutter ändert darin nicht das Geringste; denn diese konnte höchstens für sich, aber nicht für ihre Kinder verzichten.“

„Aber das ist ja, um Ihnen die Augen auszukratzen, Sie dummer Mensch!“ rief die Generalin zitternd vor Aufregung dazwischen, „das ist nicht möglich – wie wäre uns denn nie, niemals etwas davon gesagt …“

„Vielleicht haben Sie nie einen rechtskundigen Menschen darnach gefragt, gnädige Frau,“ antwortete Benning sarkastisch.

„Aber Sie selbst,“ sagte Frau von Ramsfeld, „Sie selbst haben doch auch …“

„Nun sehen Sie,“ unterbrach er sie mit einem Blick, von dem jede der beiden Damen annehmen konnte, daß er auf sie gerichtet sei, „man glaubt eben, was man wünscht. Ich habe mir immer die Horstmar’schen so ein wenig im Auge gehalten; der Mann war ein Demokrat und grimmiger Adelsfeind – das wußte Jedermann in der Stadt; von seinem Zusammenhang mit den Dortenbach hat ihm nie Jemand reden dürfen; in so feindseliger Gesinnung wird er auch sein Kind erzogen haben, und bei Leuten, welche so denken – was wollen Sie? bei solchen Leuten wiegt man sich in eine falsche Sicherheit, daß sie sich nicht herablassen, sich das Dementi zu geben, das, worauf sie einmal verzichtet haben, nun doch zu fordern.“

„Das wäre ja aber auch eine wahre Schmach – und noch dazu mit einer so ruchlosen, elenden Juristen-Chicane,“ sagte Frau von Ramsfeld.


(Fortsetzung folgt.)




Der Dorfpräceptor.
Ein Bild aus dem Lehrerleben im vorigen Jahrhundert.

Die Professoren an unseren Universitäten wie die Directoren unserer Seminare pflegen in ihren Vorlesungen über die Geschichte der Pädagogik zwar eingehende Biographien von großen Vertretern dieser Wissenschaft zu geben, auch die Geschichtsbücher der Erziehungslehre berichten über die Sterne erster Größe am pädagogischen Himmel, aber in die Welt des kleinen Lehrers, die des Wissenswerthen so vieles bietet, greift selten ein kundiger Schilderer. Und doch ist dieses Capitel höchst interessant und zugleich ein nicht unwichtiger Culturmesser. Es sei mir darum gestattet, hier Einiges über die jungen Lehrer des vorigen Jahrhunderts, die man früher allgemein „Präceptoren“ nannte, zu berichten; ich schicke sogleich voraus, daß, so sonderbar und unglaublich auch manches hier Mitgetheilte klingen mag, doch Alles, was ich schildern werde, auf Wahrheit beruht. Was ich aus der Zeit vor ziemlich hundert Jahren erzähle, ist mir von einem alten durchaus glaubwürdigen sächsischen Cantor und Lehrer, einem früheren Präceptor, mitgetheilt worden. Meine Darlegung bezieht sich somit nur auf das Königreich und die Provinz Sachsen, namentlich aber auf den Regierungsbezirk Merseburg, es ist indessen wohl anzunehmen, daß die Verhältnisse der Präceptoren damals in ganz Deutschland dieselben gewesen sind.

Noch zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts gehörte in Sachsen eine große Anzahl der Dorflehrer ohne Kirchendienst dem ehrbaren Schneider-, Schuhmacher- oder Leineweberhandwerke an, und nur ein geringer Bruchtheil bestand aus Leuten, die in ihrer Jugend den Lehrerberuf erwählt hatten. Die Anforderungen, die man an sie in der Regel stellte, waren äußerst gering. Konnte ein Knabe gut lesen und schreiben, war er mit den vier Species mit unbenannten und benannten Zahlen vertraut und hatte er eine leidliche Stimme zum Singen – gut, so hieß es: „Du mußt Lehrer werden“ – und er wurde es. Das Dorf Niemegk bei Bitterfeld lieferte – nebenbei bemerkt – damals ein so bedeutendes Contingent derartiger Schulamtscandidaten, daß man es im ganzen Umkreise nur „die Präceptorhecke“ nannte.

Eine besondere Vorbereitung auf den Lehrerberuf gab es weiter nicht als die, daß der confirmirte Knabe bei dem Dorflehrer höchstens noch ein Jahr blieb und während dieser Zeit sich einige Lehrgeschicklichkeit aneignete; auch ein gewisses Alter zur Erlangung einer Präceptorstelle war nicht erforderlich, ebenso wenig eine Probelection; nur ein Tentamen bei dem Superintendenten hatte der Erwählte, richtiger der „Gemiethete“, zu bestehen, und selten erhielt ein Examinand eine Zurückweisung; denn eine solche war bei dem geringen Grade der Anforderungen kaum möglich.

Der oben erwähnte alte Cantor erzählte mir über seine Erfahrungen als Präceptor Folgendes:

„Ich war, als ich zum Präceptor im Dorfe B. angenommen, etwas über fünfzehn Jahre alt und noch recht klein von Figur. Der Tag meines Tentamens kam heran. In Schnallenschuhen, schwarzen langen Strümpfen, kurzer Hose, schwarzer Jacke und einem Strohhute von derselben Farbe präsentirte ich mich dem hochwürdigen Herrn Superintendenten. Sein erstes Wort war: ‚Du? Ei, Du wirst auch was Rechtes können! Setze Dich!‘

Nun überzeugte er sich zuerst von meiner Lesefertigkeit und dictirte mir einige Zeilen; dann begann die Ueberhörung des größten Theiles der lutherischen Hauptstücke und einer nicht geringen Anzahl von Bibelsprüchen, worauf die christlichen Fragstücke aus dem großen lutherischen Katechismus an die Reihe kamen. Er fragte, ich antwortete.

Die Prüfung war hiermit beendet. Ich hatte die Feuerprobe glücklich bestanden und wanderte nun an einem wunderschönen Herbsttage meiner neuen Heimath zu. Diese war ein ganz kleines Dörfchen mit nur sechs Drescherhäusern und einer Schäferei. Sämmtliche Häuschen hatten Lehmwände, Strohdächer und kleine Fenster. In unmittelbarer Nähe befand sich ein schöner Tannenwald, in welchem Legionen von Krähen nisteten, deren Gekrächze mein tagtägliches Concert war. Mit den besten Vorsätzen und dem freudigen Gefühle, daß meine blutarmen Eltern nun nicht mehr für mich zu sorgen hätten, kam ich hierher, traf aber nur die Kinder zu Hause; denn die Eltern waren auf dem eine halbe Stunde entfernten Rittergute auf Arbeit. Einem zwölfjährigen Mädchen stellte ich mich als den neuen Präceptor vor, und die fröhliche Kleine zeigte mir das Haus, in welchem die nächste Woche Schule gehalten werden sollte. Ich ließ mich in demselben häuslich nieder – denn nach Ortssitte war es zu meiner Wohnung bestimmt – und ging alsdann in’s Pfarrdorf, um mich dem Pastor, meinem Localschulinspector, vorzustellen.

In dem Hofe dieses geistlichen Herrn sah es aber wie in einem großen Bauerngute aus; denn er betrieb seine Oekonomie selbst. Alte und junge Hühner, Gänse und Enten wurden in diesem Augenblicke gerade von ihm in höchst eigener Person gefüttert. Er nahm mich freundlich auf, theilte mir erfreut mit, daß der Rittergutsbesitzer meinen Gehalt um jährlich zwei Thaler erhöht, sodaß ich, nicht wie mein Vorgänger sechs, sondern jährlich sogar acht Thaler Einkommen haben würde. Am Schlusse meiner Vorstellung gab er mir die Weisung, den nächsten Montag meine Schule in Gottes Namen zu beginnen und fleißig zu sein. Er werde später nachsehen, wie ich mein Amt treibe.

Es war gegen Abend, als ich in mein Dörfchen zurückkehrte. Ich hatte mit der Drescherfamilie eine gemeinsame Wohnung; nur unter dem Dache ward mir zur alleinigen Benutzung ein Schlafkämmerchen mit einem so schmalen Fenster angewiesen, daß ich den Kopf nicht herausstecken konnte. Das war nun mein neues Heim, jedoch nur auf kurze Zeit; denn es bestand hier dieselbe Einrichtung wie an anderen Orten, die einen Präceptor hatten, nämlich die: es wurde die Schule in einem Hause nur so viele Wochen gehalten, wie es schulpflichtige Kinder zählte. Dieselbe Bestimmung galt auch für die Zeitdauer meiner Wohnung und Beköstigung.

Wie mir der Herr Pfarrer befohlen, begann ich also meine Schule. Die sämmtlichen Schulkinder des Ortes, dreizehn an der Zahl, sämmtlich Barfüßler, erschienen rechtzeitig, obgleich keine allgemeine Dorfuhr die richtige Zeit meldete. Ein großer, weißer, gescheuerter Tisch mit unzähligen von Holzwürmern gebohrten Löchern bildete die Schultafel, an welcher leider nicht alle Schüler Platz fanden. Es mußten deshalb die ganz Kleinen auf Hitschen (Fußbänken) sitzen und eine lange Bank, die an den Wänden befestigt war, als Dach benutzen. Das gehörige Licht fehlte in hohem Maße; denn die äußerst kleinen Fenster wiesen drei zerbrochene Scheiben auf, welche nach altväterischer Sitte aus Sparsamkeit mit Papier verklebt waren. Die Stube selbst war ungedielt und nur der vordere Raum mit Ziegelsteinen gepflastert.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_308.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)