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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Ein mächtiger Kachelofen mit einer ‚Höllenbank‘, die unseren Dreschersleuten als Sopha diente, mußte auch jetzt schon, trotz warmer Luft, da es eine Sommerfeuerstätte nicht gab, zum Kochen benutzt werden.

Drei Stunden dauerte die Unterrichtszeit, in welcher Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt wurden. Vor Allem aber mußten die Kinder den lutherischen Katechismus, eine Masse Bibelsprüche und Gesangbuchslieder auswendig lernen. Ich sage absichtlich: auswendig; denn von inwendig Lernen gab es keine Spur. Als Lesebücher dienten das ABC-Buch mit dem großen Kickerihahne auf dem Titel, der kleine lutherische Katechismus, das Evangelienbuch und bei weiter vorgeschrittenen Lesern die Bibel. Der Schreibunterricht bestand nur in dem Anstreben einer eigenen Handschrift; zu besonders glänzenden Resultaten führten diese Versuche freilich nicht – du lieber Gott! wie wäre das möglich gewesen! In so kurzer Zeit! Schriftliche Arbeiten wurden nicht verlangt, und man war zufrieden, wenn die Kinder leichte Sätze nach Dictat schreiben konnten. Die Uebungen im Rechnen bestanden immer in Berechnungen des Preises von Eiern, Butter und Käse, und Lehrmittel gab es gar nicht. Das war also unsere damalige Volksschule!

Nach der Schule erquickte ich mich an dem Dufte des Tannenwaldes und arbeitete an meiner weiteren Ausbildung, deren ich gar sehr bedurfte. Von meinem Pfarrer und dem Schulmeister im Pfarrdorfe lieh ich mir Bücher, welche ich mir größtenteils abschrieb, da ich kein Geld zum Ankaufe derselben hatte. Es war ein trauriges, lichtloses Leben. Meine gewöhnliche Kost bestand aus einer Wasser- oder Milchsuppe und aus Kartoffeln mit Quark. So frugal aber auch meine Mahlzeiten waren, so mußte ich mir doch sagen, daß sie unter bewandten Umständen nicht anders sein konnten, und ich war zufrieden, daß es wenigstens Sonntags Fleischtag war. In dieser Einsamkeit, in welche keine Kunde von den Strömungen und Fortschritten der Welt da draußen hineinklang, mußte ich zwei lange, lange Winter verleben. Ja, Winter – nicht Jahre! Denn nur während der Zeit, da der gestrenge Boreas regierte, war ich Schulmeister. Im Sommer hatten die Kinder Wichtigeres zu thun, als zu lesen und zu schreiben, und dann gab es eben keine Schule; der Präceptor wurde entlassen – und verdiente durch Handarbeit sein täglich Brod.

Nach zwei Jahren aber war mir ein besseres Loos beschieden, und das ereignete sich so: Der Präceptor in einem großen Bauerndorfe hatte die Frau des Ortsschulzen sich zur unversöhnlichen Feindin gemacht, indem er ihrem einzigen Sohne, einem verzogenen, lernfaulen und trotzigen Jungen, in der Schule einen Platz unter dem Kinde des Nachbars, mit dessen Ehefrau sie seit Jahren in Feindschaft lebte, angewiesen hatte, und nun wußte sie es in ihrem Hasse gegen den armen Präceptor bei ihrem Manne, ihren Verwandten und Gevattern im Orte durchzusetzen, daß der so rücksichtslose Lehrer am Michaelistage nicht wieder gemiethet wurde. Des Einen Unglück ist des Andern Glück: ich ward der Nachfolger des in Ungnade gefallenen Präceptors. Ich war ein glücklicher Mann; denn ich erhielt nicht allein zwölf Thaler Gehalt jährlich, sondern auch bessere Kost, Wohnung und Gesellschaft. Außerdem fand ich auch während des Sommers lohnendere Arbeit; durfte ich doch den Bauern bei der Feld- und Gartenarbeit helfen, und ward mir doch außerdem noch das Recht gewährt, vierzehn Tage in den Dörfern der ganzen Umgegend mit meinen größeren Schülern und Schülerinnen den ‚Gregorius-Umgang‘ zu halten. Es war dies ein Rest des alten fahrenden Schülerthums, zu dessen Ausübung ein Dutzend Volkslieder und Arien eingeübt wurden und welches mit der vollen Woche nach Ostern in Kraft trat. Wenn stundenweit entfernt gelegene Dörfer heimgesucht werden sollten, dann wurde schon früh gegen sieben Uhr aufgebrochen. Alle Theilnehmer waren festlich gekleidet. Die Knaben hatten Sträuße von todten bunten Blumen an die Mützen gesteckt, und in der Hand trag Jeder von ihnen einen tüchtigen Stock. Die Mädchen dagegen erschienen mit Fahnen, deren hölzerne Stäbe man gewöhnlich durch wechselweise Einschnitte und Abschälung der äußeren Rinde verzierte, wodurch man ihnen ein buntes Ansehen gab. Oben an diesen Stäben war ein bunter Bilderbogen mit allerhand Figuren als Fahne befestigt, und zur Erhöhung des Schmuckes dienten noch kleine Bänder in den verschiedensten Farben.

Eine der wichtigsten Personen des Zuges war einer der größeren Knaben, der sogenannte Eierjunge, welcher einen großen Korb an einem langen rothen um den Hals gebundenen Gurte trug, an seiner Seite aber hingen diverse Bilder, z. B. Soldaten, Reiter, Hausthiere etc.

Nachdem ich mit meinen Schülern und Schülerinnen am Ziele angekommen, begann der Besuch der Güter. In jedem Bauergute wurde eine Arie gesungen, worauf der Schülerchor sich entfernte. Ich aber blieb mit dem Eierjungen an der Thür wartend stehen, bis man mir ein Geldgeschenk, gewöhnlich einen Sechser, in die Hand drückte. Wir armen Präceptoren! Mit dieser Kleinigkeit mußten wir uns begnügen, während die Herren Schulmeister – das waren die Kirchschullehrer – laut Matrikel einen alten Groschen, das ist zwölf Pfennig, zu bekommen hatten. Nachdem ich mein Viaticum dankend empfangen, rief der Eierjunge: ‚ä baar Eier!‘ Die freundliche Hausfrau gab sie ihm, und zum Danke beschenkte er sie mit einem Bildchen für das sie begleitende Kind.

So ging’s in der Runde durch das ganze Dorf. Geizige Leute verriegelten die Hofthür, an welche dann die Jungen mit ihren Stöcken schlugen, oder sie warfen auch Steine dagegen. Besonders war das Dorf Petzen bei uns Präceptoren als geizig verrufen. Das Verschen:

‚Im Dorfe Petzen
Wird’s nicht viel setzen‘

war allgemein unter uns bekannt und fand alle Jahre seine Bestätigung. Ermüdet kehrten wir von solchen Gregorius-Umgängen nach Hause zurück, um den anderen Tag unsern Umgang, der doch nichts weiter als eine Bettelei war, fortzusetzen. So ging’s bei gutem Wetter vierzehn Tage fort. Fielen Regentage ein und mußte zu Hause geblieben werden, dann gab’s Rasttage, und die zu dem Gregorius-Umgang gestattete Zeit wurde ohne Einwand auf drei Wochen ausgedehnt. Den letzten Tag ging’s im eigenen Dorfe herum. Hier flossen die Gaben reichlicher, und der Eierjunge wurde besser bedacht; sorgten für seinen Korb doch auch die andern Knaben dadurch, daß sie die Hühnernester aufsuchten und plünderten. Viele der Hausväter und Hausmütter riefen mich nach dem Gesange hinein, und dann gab es Kuchen, Kaffee, Butterbrod und Wurst. Kinder von Verwandten oder befreundeten Nachbarn fanden ebenfalls Einlaß in die gastliche Stube und mußten am Imbiß theilnehmen, während die übrige Sängerschaar sich durch Spiel und Tanz ergötzte. Der Tag nach dem Schlusse des Gregorius-Umgangs war ein Festtag. Die Kinder empfingen Eier auf Butter mit Staudensalat und gekochten gebackenen Pflaumen, und nach dem Festmahle begann der Tanz, zu welchem zwei, höchstens drei Dorfmusikanten aufspielten. So drehte sich das muntere Völkchen im bunten Reigen, bis es dunkelte, worauf dann Abends die Erwachsenen nach derselben Musik tanzten.“

So berichtete mir mein würdiger Gewährsmann, der Ex-Präceptor, und was ich ihm schlicht und einfach im Obigen nacherzählt habe, das ist in der That ein rechtes, echtes Culturbild aus alter Zeit. So verschieden die beiden Wörter „sonst“ und „jetzt“ sind, so verschieden sind auch in Deutschland und besonders im Königreiche Sachsen die Lehrerverhältnisse von damals und von heute. Es ist besser geworden in unsern deutschen Schulen. Freilich, zu bessern bleibt immer noch vieles, und hat man früher das Lernen oft allzu sehr auf die leichte Achsel genommen – heute stehen wir leider vor dem ebenso verkehrten Extrem: wir leben in dem Zeitalter der Ueberbürdung; das macht sich wie auf anderen Gebieten, so auch besonders auf dem der Schule schmerzlich fühlbar. Wenn wieder ein Jahrhundert sich seinem Ende zuneigt, wird’s hoffentlich auch hierin besser geworden sein.




Aus der Samariterschule.

Praktische Winke für die Leistung der ersten Hülfe bei plötzlichen Unglücksfällen.

Mit welchen Erfolgen in überraschend kurzer Zeit die Bemühungen der St. John-Ambulance in England gekrönt wurden, das lebt noch in frischer Erinnerung unserer Leser (vgl. „Gartenlaube“ Nr. 14!). Auch der Ruf, welchen vor wenigen Monaten der hochverdiente Professor Esmarch zur Gründung von Samariterschulen an das deutsche Volk ergehen ließ, verhallte nicht ungehört. Er hat bereits in den großen Städten, den Centren des Verkehrs und der Bildung, gezündet, und er wird von hier aus sicher in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_310.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2021)