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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die weitesten Schichten des Volkes dringen. Freilich wird zur Erreichung des hohen Ziels noch eine machtvolle Agitation entfaltet werden müssen; die Apostel des Samariterdienstes dürfen in ihren Belehrungen nicht erlahmen, und die Presse, die Trägerin und Verbreiterin des Fortschritts, hat die Pflicht, das Volk über die Ziele und den hohen Nutzen dieser wohlthätigen und menschenfreundlichen Gründung in der eingehendsten Weise aufzuklären.

Wir glauben nun, diese Pflicht am besten zu erfüllen, indem wir im Nachstehenden den von Professor Esmarch soeben herausgegebenen und für Aerzte, welche Samariterschulen gründen wollen, bestimmten Leitfaden[1] theilweise citiren. Mögen sich unsere Leser dadurch veranlaßt fühlen, dort, wo Samariterschulen bereits bestehen, denselben beizutreten und, wo sie bis jetzt noch fehlen, an der Agitation zur Gründung derselben den regsten Antheil zu nehmen.


1.0 Die erste Hülfe bei Verwundungen.

Schon einmal hat die „Gartenlaube“ von den großen Fortschritten, welche die moderne Chirurgie in der Behandlung der Wunden gemacht hat, ausführlich berichtet. (Vergl. Jahrg. 1881, Nr. 12.) Wir erinnern hier nur an die Entdeckung der Ursachen, durch welche die Eiterung und die Wundfäulniß hervorgerufen werden und welche stets in der Verunreinigung der Wunde durch mikroskopische Fäulnißerreger gesucht werden müssen, und an die von dem berühmten schottischen Chirurgen Lister[WS 1] eingeführte Methode der antiseptischen, das heißt fäulnißwidrigen Wundbehandlung, durch welche die von der Luft in die Wunde etwa gelangenden Fäulnißkeime getödtet und unschädlich gemacht werden. Nach dieser Methode, welche in dem oben angeführten Artikel der „Gartenlaube“ mit vollstem Recht als eine „Großthat der Humanität“ bezeichnet wurde, muß auch der Laie verfahren, wenn er genöthigt ist, bei plötzlichen Unglücksfällen einem Verwundeten die erste Hülfe zu leisten, und er wird die Grundsätze derselben am besten kennen lernen, wenn er erfährt, wie gegenwärtig von den Aerzten behufs einer Operation eine Wunde gemacht und wie diese Wunde verbunden wird. Hören wir also, was hierüber Professor Esmarch in seiner Samariterschule vorträgt:

„Wenn die Aerzte z. B. irgendwo am Körper eine Geschwulst (eine Balg- oder Fettgeschwulst) fortnehmen müssen, so wird zunächst der Patient auf einem Tische bequem gelagert und durch Vorhalten einer mit Chloroform benetzten Gazemaske betäubt. Unterdessen waschen sich nicht blos der Operateur, sondern auch seine Assistenten und Alle, welche bei der Operation Hülfe zu leisten haben, die Hände und Arme auf das Sorgfältigste mit Seife und Bürste und spülen sie darnach gründlich mit Carbolwasser ab. Alle Instrumente, Schwämme und sonstige Utensilien, welche bei der Operation gebraucht werden, müssen vorher noch einmal gründlich gereinigt und dann in Carbolwasser eingetaucht werden. Ehe die Operation beginnt, wird mit Hülfe eines Zerstäubers (Refraicheurs, Sprühapparats) ein starker Nebel von Carbolwasser erzeugt, welcher während der ganzen Operation und bis zur Beendigung des Verbandes sich sowohl auf den Patienten, wie auch auf den Operateur und alle Umstehenden niedersenkt und sie bei langer Dauer nicht selten durchnäßt. Er tödtet die in der Luft schwebenden Keime der Fäulnißerreger, ehe sie sich auf die Wunde niedersenken. Auch der Körpertheil, an welchem die Operation vorgenommen werden soll, wird vorher durch Rasiren, durch Bürsten mit Seife und durch Waschen mit Aether und Carbollösung auf das Gründlichste gereinigt.

Nun erst wird die Operation ausgeführt, bei welcher nichts mit der Wunde in Berührung kommen kann, was vergiftend auf dieselbe wirken könnte.

Ist die Geschwulst herausgelöst und die Blutung durch Unterbindung der Adern mit carbolisirten Darmsaiten gestillt, dann wird die ganze Wunde noch einmal mit Carbolwasser ausgespült. Darauf legt man an einigen Stellen kleine Röhren (Drainröhren) ein, welche die etwa in der Tiefe sich ansammelnden Wundflüssigkeiten ableiten sollen und schließt nun die Wunde genau durch die Wundnaht.

Dann folgt der Verband. Die Wunde und die ganze Umgebung derselben wird in ein dickes Polster eingehüllt, welches aus einem der bekannten antiseptischen Verbandsstoffe besteht (aus Carbolwatte, Carbolgaze, Jodoformtorf oder dergl.); dasselbe wird durch eine carbolisirte Gazebinde festgewickelt. Darüber legt man eine elastische Gummibinde, welche den Verband so fest andrückt, daß von den Rändern her keine Luft zu der Wunde treten kann. Dieser antiseptische Verband bleibt gewöhnlich acht bis vierzehn Tage (je nach der Größe der Wunde) unberührt liegen, und wenn er dann abgenommen wird, findet man in der Regel die ganze Wunde vollständig durch erste Verklebung geschlossen, und in der Regel hat auch der Operirte während dieser ganzen Zeit keine Schmerzen empfunden, kein Wundfieber gehabt, keinen Eiter verloren und ist allen den Gefahren, welche die Eiterung mit sich bringt, glücklich entronnen.

Auch die von faulendem Eiter herrührenden üblen Gerüche, welche früher die Krankenzimmer und Hospitäler verpesteten, kommen jetzt nur noch ausnahmsweise vor, und zwar in solchen Fällen, welche nicht von Anfang an antiseptisch behandelt werden konnten.

Wenn ich Ihnen nun gezeigt habe, mit welcher Sorgfalt und Vorsicht wir Aerzte zu verhüten suchen, daß irgend welche Schädlichkeiten die frische Wunde treffen, so werden Sie mir Recht geben, wenn ich auf die Frage:

Wie soll sich der Laie bei Verwundungen verhalten?

die Antwort gebe: er soll vor Allem sich den Grundsatz zu eigen machen, den auch der Arzt als den wichtigsten für sein Handeln anerkennt und welcher lautet: Nur nicht schaden!

Wie gefährlich jede Verunreinigung für die Wunden ist, habe ich Ihnen aus einander gesetzt. Man bringe daher weder Charpie, noch Heftpflaster, noch gebrauchte Schwämme, noch schmutzige Leinwand mit der Wunde in Berührung, fasse sie auch nicht mit schmutzigen Fingern an!

Ist die Wunde verunreinigt (durch Sand, Erde, Straßenkoth etc.), so soll man sie und ihre Umgebung abwaschen und abspülen, aber nur mit reinem Wasser und reiner Leinwand (Taschentuch, Handtuch, Serviette etc.).

Ganz klares Brunnenwasser, See- oder Flußwasser darf zur Noth gebraucht werden; besser ist solches Wasser, welches schon gekocht hat, weil durch Kochen die Fäulnißerreger zerstört werden.

Am besten ist es, dem Wasser eines der fäulnißwidrigen Mittel zuzusetzen, und ich spreche hiermit den Wunsch aus, daß in jeder Haushaltung ein Glas mit einer der früher genannten antiseptischen Lösungen (Carbol-, Salicyl-, Borlösung), welche in jeder Apotheke zu haben sind, vorräthig gehalten werden möge.

Wenn man dann als Verband auf die Wunde ein Stück reine Leinwand (Compresse) legt, welche in diese Flüssigkeit getaucht ist, so ist man sicher, dem Verwundeten wenigstens keinen weiteren Schaden zu thun, bis der Arzt kommt.

Ist kein Arzt in der Nähe und muß der Verwundete zu ihm hingebracht werden, so ist es nothwendig, diesen vorläufigen Verband mittelst eines Tuches oder einer Binde auf der Wunde zu befestigen und zugleich das verwundete Glied gut zu unterstützen.

Ist die Wunde mit einer Schicht von geronnenem Blute überzogen, so hüte man sich, dieselbe abzuwischen oder wegzuspülen, weil man dadurch die Blutung auf’s Neue hervorrufen könnte!“

Wir begegnen in der Regel bei den Wunden noch einer anderen Erscheinung, welche oft den Tod des Verletzten verursacht, der Blutung, deren Gefährlichkeit von der Größe und der Art der geöffneten Adern abhängt. Aber auch diese Gefahr wußte die Chirurgie in der jüngsten Zeit auf die sinn- und erfolgreichste Weise zu mildern, indem sie gegen dieselbe das einfache Mittel der elastischen Einschnürung anwandte. Wir verzichten jedoch darauf, auf dieses Capitel hier näher einzugehen, da wir zu unserer Freude von dem großen Chirurgen, welcher dieselbe erfunden und eingeführt hat, von Professor Fr. Esmarch selbst, einen speciell dieses Thema behandelnden Artikel für die „Gartenlaube“ freundlichst zugesagt erhielten.


2.0 Die erste Hülfe bei Brandverletzungen.

Es sei uns noch gestattet, auf die Verhütung und Behandlung einer Verletzung einzugehen, welche in Folge von Unvorsichtigkeiten leider so oft in den Familien vorkommt und von den schmerzlichsten und gefährlichsten Folgen begleitet sein kann. Es ist dies die durch Einwirkung starker Hitze, des Feuers, der Flamme oder geschmolzener Metalle auf die Haut und die darunter liegenden Theile entstehende Verbrennung, oder die durch heißes Wasser oder

  1. „Die erste Hülfe bei plötzlichen Unglücksfällen“ von Dr. Friedrich Esmarch. (Leipzig, F. C. W. Vogel. Preis 1,50 Mark.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Joseph Lister (1827-1912)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_311.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)