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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Dampf verursachte Verbrühung. Die ermahnenden Worte, welche Professor Esmarch diesem Capitel seiner Samaritervorträge vorausgehen läßt, verdienen wahrlich tausend- und aber tausendmal gedruckt und wiederholt zu werden. Den Hausvätern und Hausmüttern möchten wir sie vor Allem an’s Herz legen.

„Außer den Theaterbränden, welche so massenhafte Opfer fordern,“ sagt unser Gewährsmann, „sind es die Gasexplosionen, welche meist vom gedankenlosen Offenlassen der Gashähne herrühren, sind es die Petroleumbrände, welche durch leichtsinnigen Gebrauch des Petroleums zum Anheizen oder durch sorglose Behandlung der Petroleumlampen verursacht werden.

Im Allgemeinen scheint das weibliche Geschlecht in dieser Beziehung unvorsichtiger zu sein als das männliche. Wie häufig gerathen nicht die leichten Kleider der Damen in Brand dadurch, daß sie mit Kerzen oder Spirituslampen, mit Benzin und Petroleum sorglos umgehen!

Wie viele Feuersbrünste dadurch entstehen, daß man Kinder mit Zündhölzchen spielen läßt, darüber berichten ja fast täglich die Zeitungen, und wie oft es vorkommt, daß gedankenlose Mütter oder Kindermägde Gefäße mit kochend heißer Milch oder Suppe so hinstellen, daß kleine Kinder sich dieselben über Gesicht und Hals, Brust und Arme reißen, das müssen wir leider nur zu oft in der Klinik erfahren, wo wir die nach solchen Verbrennungen zurückbleibenden entdeckenden Narben auf operativem Wege zu beseitigen haben. Wie viele Unglücksfälle der Art aber könnten verhütet werden, wenn Jedermann es für seine Pflicht hielte, recht eindringlich zur Vorsicht aufzufordern, so oft er Zeuge solcher Unvorsichtigkeit sein muß. Aber Viele schweigen und gehen ihres Weges, wie der Priester und der Levit, und entschuldigen sich selbst mit dem Worte: ‚Was geht es mich an! Laß doch Jeden für sich selbst sorgen!‘ Wer aber ein Samariter sein will, der übernimmt nach meiner Auffassung von unserem Werke auch die ernste Verpflichtung, in allen solchen Fällen energisch seine Stimme zu erheben und zur Vorsicht zu ermahnen, selbst wenn es als unberufene Einmischung in anderer Leute Angelegenheiten erscheint.

Dulde doch Niemand von uns in seinem Hause, daß die Petroleumkanne nach Sonnenuntergang geöffnet werde und wo ein Licht oder ein Feuer in der Nähe ist, oder daß die Dienstboten Morgens in der Küche mit Petroleum das Feuer anlegen oder daß Abends bei Licht noch mit Benzin die Flecken aus den Kleidern beseitigt werden. Sorge doch Jeder, daß nicht Zündhölzer oder Gefäße mit heißen Flüssigkeiten sich im Bereiche seiner Kinder befinden! Und wer seiner Frau oder seinen Töchtern leichte Stoffe zu Ballkleidern oder Vorhängen schenken will, der lasse sie doch vorher unverbrennlich machen!

Das Verfahren ist so einfach und so billig, und die Farben der Stoffe werden dadurch nicht verdorben. Es sollte allgemein bekannt sein, daß es genügt, solche Stoffe in eine Lösung von schwefelsaurem Ammoniak zu tauchen und sie darnach wieder zu trocknen und zu bügeln. Kommen sie dann mit einer Flamme in Berührung, so lodern sie nicht auf, sondern verkohlen langsam wie Zunder.

Wie kann man aber helfen, wenn z. B. die Kleider einer Frau in Brand gerathen sind? Wie geht es gewöhnlich dabei zu? Flammen hüllen die Unglückliche ein, versengen ihre Arme und Hände, ihren Hals und ihr Gesicht; Haare und Mütze lodern hell auf. Am besten würde es sein, wenn sie sich gleich zu Boden würfe und sich herumrollte und so die Flammen durch Druck erstickte. Aber dazu fehlt gewöhnlich die Geistesgegenwart; laut schreiend stürzt sie fort; der Zug verstärkt die Flammen, und wie eine wandernde Feuersäule rast die Unglückliche von dannen.

Was ist da zu thun? Man laufe nicht fort, um Wasser zu holen, sondern ergreife die erste beste Decke oder ziehe rasch den eigenen Rock aus, umwickle damit die Brennende, werfe sie nieder auf den Boden und rolle sie, bis die Flammen erstickt sind. Dann erst hole man Wasser, viel Wasser, begieße, durchnässe sie gründlich von oben bis unten; denn die heißen, verkohlten Kleider brennen noch weiter in’s Fleisch hinein. Ebenso kühlt man bei Verbrühungen durch heißes Wasser oder Dampf (Kesselexplosionen) zunächst durch reichliches Uebergießen mit kaltem Wasser Körper und Kleider ab.

Darnach trage man die Verbrannte behutsam in ein warmes Zimmer, lege sie auf den Boden auf einen Teppich, oder auf einen Tisch, nicht in ein Bett, weil man in einem solchen nicht gut weiter hantiren kann, und schicke sofort zum Arzte. Klagt die Verbrannte über Durst, so gebe man einen warmen, erregenden Trank (Thee, Grog), weil nach stärkeren Verbrennungen die Temperatur des Körpers alsbald zu sinken beginnt.

Dann müssen zunächst die Kleider entfernt werden, wobei man mit der größten Vorsicht und Sorgfalt verfahren muß. Dazu nehme man womöglich zwei Personen zu Hülfe, von denen eine sich auf die andere Seite des Verbrannten stellt, die zweite das Nöthige zureicht.

Man nehme darauf eine gute große Scheere oder ein scharfes Messer und schneide vorsichtig alle Kleidungsstücke so durch, daß sie von selbst abfallen. Nichts darf durch Ziehen oder Reißen entfernt werden, weil man sonst die Blasen zerreißt. Man versuche nur nicht, aus unzeitiger Sparsamkeit, etwas von der Kleidung erhalten zu wollen. Ist etwas an der Haut festgeklebt, so lasse man es daran sitzen und umschneide es mit scharfem Messer oder Scheere. Langsames Durchsägen mit stumpfen Messern macht unsägliche Schmerzen. Nur muß man keine Blasen abreißen; denn die Oberhaut bildet den besten Schutz für die sonst entblößte Unterhaut. Höchstens darf man sie, wenn sie recht gespannt sind, mit einer Nadel aufstechen, damit das Wasser ausfließt.

Ist immer noch kein Arzt zur Stelle, so ist die nächste Aufgabe, die verbrannten Hautstellen vor dem Einflusse der Luft zu schützen. Dabei ist zu beachten, daß Umschläge von kaltem Wasser gewöhnlich die Schmerzen vermehren. Viel wohlthuender ist es, der Haut einen Ueberzug von Fett, Oel oder einer trockenen Substanz zu geben, unter welcher sich gewöhnlich bald die Schmerzen vermindern.

Man begieße also die verbrannten Stellen reichlich mit Oel (Lampenöl, Salatöl, Ricinusöl, oder was gerade zur Hand ist) oder bestreiche sie mit Fett, Schmalz, Butter, Gummischleim oder flüssigem Leim oder bepulvere sie mit Mehl, Stärke, Kohlenpulver, doppeltkohlensaurem Natron (Bullrich’s Salz) oder hülle sie sorgfältig ein in reine lockere Watte, von der man zuvor den glänzenden Ueberzug abgezogen hat. Ist eine Apotheke in der Nähe, so schicke man nach Brandsalbe, einer Mischung von Leinöl und Kalkwasser, mit der man die verbrannten Stellen beträufelt; darüber legt man Watte oder kleine Läppchen von feiner Leinwand.

Aber auch das antiseptische (fäulnißwidrige) Verfahren, welches ich bei der Wundbehandlung schilderte, ist in neuerer Zeit bei Verbrennungen mit dem besten Erfolge angewendet worden.

Der Eiter, den die Brandwunden[WS 1] in großer Menge absondern, nimmt sehr bald durch Fäulniß einen sehr üblen Geruch an, was die Kranken nicht nur auf das Aeußerste quält, sondern sie auch allen früher geschilderten Gefahren der Eiterung aussetzt. Es ist deshalb nothwendig, die angewendeten Mittel mit irgend einer antiseptischen Substanz zu vermischen, z. B. Carbolsäure oder Thymol dem Oel zuzusetzen, oder dasselbe nachträglich aufzulegen, wenn es anfangs nicht zur Hand war. Dies kann immer noch geschehen, wenn erst der Arzt da ist. Diese antiseptischen Mittel, namentlich das Thymol, verhüten nicht nur den üblen Geruch des Eiters, sondern pflegen auch die Schmerzen wesentlich zu lindern. Es ist deshalb zu wünschen, daß die Apotheker stets Brandsalbe vorräthig halten, welche mit (1 0/0) Thymol vermischt ist.“

Wir beschließen hiermit unsere Auszüge aus den Vorträgen der Samariterschule; denn es kann nicht unsere Aufgabe sein, durch eine Reihe von Artikeln die Leser zur richtigen Leistung der ersten Hülfe in der Noth auszubilden. Dazu ist der lebendige Vortrag eines erfahrenen Arztes nothwendig, der außerdem seinen Schülern Vieles durch Abbildungen verständlich macht; dazu sind vor Allem praktische Uebungen nöthig, welche unter seiner Leitung auszuführen sind. Glaube daher Niemand, wer solche Aufsätze oder Bücher gelesen, er sei nunmehr ein fertiger Samariter und wisse schon das Nöthige! Nein, wer das Herz hat, seinem Nächsten in der Noth beizuspringen, der strebe zunächst mit aller Kraft danach, daß in seiner Heimath eine Samariterschule gegründet werde, und besuche sie dann fleißig! Er lege nicht die Hände in den Schooß und denke kleinmüthig, daß unsere Zeit abgestorben sei für die edlen Werke der Nächstenliebe! Wahrlich, das Jahrhundert, in welchem das rothe Kreuz überall zu Ehren gelangt ist, in welchem die menschenfreundliche Vorsorge für die Arbeiterclassen ihre Triumphe feiert, in welchem Kindergärten, Kinderheilstätten und Feriencolonien zur Blüthe gedeihen, es wird auch die Samariterschulen fördern und unterstützen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bandwunden
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_312.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)