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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Sie – es ist so spät – ich hatte auch deshalb nicht den Muth, bei Ihnen einzudringen; da ich Sie auf- und abgehen hörte, dachte ich, Sie würden mich, wenn ich hier auch auf- und abginge, schon hören und dann herauskommen –“

„Aber ich bitte Sie, Herr von Sander,“ fiel ihm Regine erstaunt in’s Wort, „was wollen Sie denn? Was wollen Sie in aller Welt hier um diese Stunde?“

„Ihnen eine Mittheilung machen – etwas ganz Unaufschiebbares – ganz Dringendes Ihnen sagen –“

„Mir? Jetzt?“

„Ihnen und jetzt, ehe noch der Morgen da ist –“

„Vorausgesetzt, daß ich Ihre unaufschiebbaren Mittheilungen anhören will.“

„Sie werden sie anhören! Sie trauen mir nicht zu, daß ich eine solche Stunde gewählt hätte, Ihnen Eröffnungen zu machen, hätte ich nicht die allerdringendsten Gründe.“

Regine sah ihn zweifelnd an, dann sagte sie:

„Nun, dann sprechen Sie rasch! Was ist es?“

„Rasch? Es wird so rasch nicht gehen, denn was ich Ihnen zu sagen habe, ist etwas – etwas sehr Wichtiges, Entscheidendes – vielleicht für unser Leben, unser Beider Leben, Entscheidendes –“

Regine trat erschrocken einen Schritt zurück.

Was sagte er, dieser Sergius? Hatte sie recht gehört? Der Leuchter in ihrer Hand zitterte so, daß sie ihn auf den Tisch neben den andern stellen mußte, aber sie zwang sich, einen festen, fast herausfordernden Ton in ihre Stimme zu legen, als sie antwortete:

„Wenn Sie nicht mit wenig Worten sagen, was Sie wollen, werde ich gehen und Sie hier stehen lassen.“

„Wie ungnädig Sie sind, Fräulein – Cousine,“ antwortete Sergius mit einem halb herablassenden, halb verlegenen Lächeln. „Nun denn mit wenig Worten: ich weiß, daß Sie nicht Regine Bertram heißen, sondern –“

„Ach,“ fiel ihm Regine auf’s Aeußerste erschrocken in’s Wort, „das wissen Sie, Sie?“

Sergius nickte überlegen lächelnd. Der zornige Schrecken, mit dem Regine das ausgerufen, gab ihm seinen ganzen Muth wieder. Daß Benning sich nicht getäuscht, sah er ja!

„Ich weiß es nicht erst seit heute, Cousine, wie die Andern; nein …“

„Also – die Andern – Ihre Verwandten,“ fiel in höchster Bitterkeit Regine ein, „wissen es ebenfalls bereits? Nun, ich sah es ja voraus; es war das, was unvermeidlich kommen mußte.“

„Seit heute wissen sie es,“ fuhr Sergius fort, „ich wußte es früher; mir sagte es ein Etwas, ein innerer Sinn schon früher; mir sagte es mein Herz, nachdem ich Sie gesehen, nachdem ich den Klang Ihrer Stimme gehört; ich sah den Adel auf Ihre Stirn geschrieben, sah den Adel aus Ihren Augen leuchten – Cousine; Sie können nicht anders, Sie müssen es wahrgenommen haben, welchen Eindruck Ihre Erscheinung auf mich gemacht hat, in welchem Bann Sie mich befangen gehalten, wenn Sie auch nicht wissen und nicht ahnen können, wie leidenschaftlicher Art die Gefühle sind, welche mich zu Ihnen ziehen.“

Regine hatte ihn angestarrt; sie hatte dann nach ihrem Leuchter gegriffen, um Sergius den Rücken zu wenden – aber es war doch zu ungeheuerlich, zu verwegen, was dieser Mensch ihr gegenüber – in dieser Stunde – wagte; sie suchte nach einem zerschmetternden Worte, um ihn fühlen zu lassen, wie empört sie war. Unterdeß hatte er, den Arm ausstreckend, um den Leuchter aus ihrem Bereich zu schieben und ihr Forteilen zu verhindern, schon weiter gesprochen:

„Sie zürnen mir, Cousine, und haben Recht, mir zu zürnen, daß ich Sie mit meiner Erklärung in dieser Weise erschrecke – aber ich durfte diese nicht aufschieben; ich war es Ihrer Sicherheit schuldig, so zu Ihnen zu sprechen und Ihnen den Weg der Rettung zu öffnen; denn Ihre Sicherheit hier ist auf’s Aeußerste bedroht; man hat sich verbündet, Sie zu überfallen, und so lange zu bedrängen, zu mißhandeln, wenn es sein muß, bis Sie den Verzicht Ihrer Mutter auf Ihre Erbrechte unterschreiben, wiederholen und auf diese Weise für immer zu entsagen schwören. Schon hat man dafür gesorgt, daß Sie sich dem nicht durch die Flucht entziehen können.“

„Ach,“ fiel hier Regine tief aufathmend ein, „man hat wohl deshalb die Zugbrücken … nein, es ist unglaublich, es ist – es wäre entsetzlich, abscheulich, wenn es nicht,“ setzte sie mit einem gezwungenen Auflachen unsäglichster Verachtung hinzu, „wenn es nicht so gründlich wahnwitzig, wenn es nicht so komisch wäre …“

„Komisch nennen Sie es? Glauben Sie mir, Sie sind im bittersten Ernste dem Aeußersten und Unerhörtesten ausgesetzt, und es giebt nur einen Weg für Sie, für uns, ihm vorzubeugen. Geben Sie mir eine Hoffnung, Cousine, ein gütiges Wort, welches mir die Erhörung meiner Leidenschaft für Sie verheißt – ich bin zufrieden mit einem einzigen gütigen, freundlichen Wort – und ich schwöre es Ihnen, kein Haar Ihres Hauptes soll Ihnen gekrümmt werden, kein beleidigender Blick nur sich zu Ihnen erheben – keine Stimme laut werden, die in Ihnen nicht die Herrin von Dortenbach verehrte.“

„Und Sie glauben – ich – ich wollte die Herrin von Dortenbach werden – um es mit meiner Hand Ihnen – um es Ihnen zu übertragen?“ rief Regine mit demselben harten Auflachen aus.

Sie hatte dem Absurden und Lächerlichen von Sergius’ Unterfangen gegenüber ihre ganze Sicherheit und ihren vollen Muth wieder gefunden, und sich kurz abwendend, ging sie dem Klingelzuge neben der Eingangsthür zu.

„Was wollen Sie thun?“ rief Sergius erschrocken, indem er von der andern Seite um den Tisch herumflog, ihr in den Weg zu treten.

„Ich will dem Bedienten läuten, damit er Ihnen leuchtet, Herr von Sander,“ versetzte sie ironisch.

„Sie werden das nicht thun – Sie werden nicht!“ rief er den Arm ausstreckend, „um’s Himmels willen nicht! Es darf Niemand ahnen –“

„Daß Sie so Ihren eigenen Kriegsplan – hinter der ‚Anderen‘ Rücken gemacht – ich kann mir’s denken, aber ich will nun einmal Andreas zu meiner Sicherheit hier haben – berühren Sie mich nicht, Herr von Sander, oder –“

Sergius hatte dennoch ihren Arm ergriffen, um sie zurückzuhalten, während er außer sich rief:

„Aber, mein Gott, so hören Sie doch – hab’ ich Ihnen denn nicht Alles gesagt? Haben Sie denn gar kein Herz, um eine Sprache zu verstehen –?“

Regine war kräftig genug, um sich frei zu machen, und nun auf’s heftigste an dem Klingelzuge zu reißen. Sergius stieß einen Fluch aus.

„Nun, so komme, was folgt, über Sie! Nun sind Sie verloren, weil Sie’s nicht anders wollen.“

Damit ergriff er hastig seinen Leuchter und stürzte davon; in der sich eben rasch öffnenden Flügelthür prallte er auf Andreas, der herbeigeeilt kam.

Dieser schaute ihm in höchster Bestürzung nach, wie er in der Dunkelheit des Corridors verschwand.

„Um Gottes willen, Fräulein Bertram,“ rief Andreas, die Nachtmütze von seinem weißen Mähnenhaar reißend, „was ist denn geschehen – was geht hier vor?“

„Es gehen sehr unwürdige Dinge vor – hier auf Dortenbach, Andreas. Aber mir geschieht Recht – weshalb bin ich hierher gekommen – hierher, wohin ich nicht gehörte, wohin ich niemals in meinem Leben den Fuß setzen wollte?! Das ist die Strafe – die verdiente Strafe. Sehen Sie zu, ob das Schloß meiner Thür sich wohl versichern läßt und zuverlässig schließt!“

Andreas sah sie höchst verwundert an, und als sie selbst sich der Thür, die zu ihrem Zimmer führte, zuwendete, folgte er ihr und untersuchte das Schloß.

„Das Schloß ist sicher – auch ein Riegel daruner angebracht,“ sagte er dann, und mit seinem halb verwunderten, halb kummervollen Gesichte zu ihr aufblickend, setzte er hinzu: „Wie bleich und verstört Sie aussehen, Fräulein Bertram!“

„Thut Fräulein Bertram das?“ erwiderte sie bitter auflachend. „Gehen Sie jetzt, Andreas! Ich hoffe, ich kann mich wenigstens auf Sie so weit verlassen, daß Sie sich meiner Sicherheit in dieser Nacht und bis ich abreisen kann, annehmen – kann ich das?“

Andreas schüttelte voll Erstaunen den Kopf.

„Abreisen?! – Aber, Fräulein, Sie werden doch nicht …“

„Es ist gut, gut – gehen Sie jetzt nur!“

Sie wandte sich von ihm, trat in ihr Wohnzimmer und schloß es ab.

Andreas stülpte sich die Schlafmütze wieder über den jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_323.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)