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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Angelegenheiten nur auf wiederholte Aufforderung spricht; sie nöthigt nicht sehr zu längerem Verweilen, wenn wir aufbrechen wollen; denn sie weiß, daß wir gern bleiben, so lange es unsere Zeit gestattet. Sieht diese Frau größere Gesellschaft bei sich, so weiß sie das allgemeine Gespräch so zu lenken, daß jeder ihrer Gäste Gelegenheit hat, sich vor den Uebrigen in vortheilhaftem Lichte zu zeigen, und geschickt weiß sie ein Thema zu vermeiden oder rasch zu erledigen, wenn es einen der Anwesenden unangenehm zu berühren scheint. Sie selbst spricht nur so viel wie nöthig ist, um die Gäste zum Sprechen anzuregen, und nur wo es entschieden gewünscht wird, läßt sie sich auch selbst zu längeren Erzählungen, Musikproduction oder dergleichen herbei. Thut sie dies aber, so geschieht es ohne langes Zieren, einfach und freundlich, in dem Bestreben, den Gästen immer und überall das Beste zu bieten, was sie eben zu bieten hat.

Kein Opfer dünkt dieser Frau zu groß für ihre Freunde; sie weiß klugen Rath in jeder Verlegenheit und ertheilt ihn in einer Weise, die – ja, wie soll man diese Weise bezeichnen? Nun, Jung und Alt, Männer und Frauen nennen sie eben – liebenswürdig, obgleich man dieser Frau einzelne gute Eigenschaften nicht gerade viel nachrühmen hört. Wenn man das Wesen dieser Frau zu verstehen sucht und sich fragt: warum ist sie liebenswürdig, welche Eigenschaften machen sie dazu, ja, was ist überhaupt liebenswürdig? so kommt man zu dem wunderlichen Resultat, daß glänzende Eigenschaften des Geistes, des Gemüthes und des Körpers die Liebenswürdigkeit wohl steigern und erhöhen können, daß aber ihre[WS 1] Grundbedingung Bescheidenheit und ein hoher Grad von Selbstlosigkeit ist. Nur wer da völlig aufzugehen vermag in der Sorge, Freude und Theilnahme für Andere, nur der kann wahrhaft liebenswürdig sein.

Schon der erste Hauch von Eitelkeit, Prahlerei oder Selbstliebe, der dieses duftig-zarte Gebäude streift, wirft es unrettbar zusammen. Schön, interessant, ja bezaubernd kann auch ein gefallsüchtiges Weib sein, liebenswürdig nur ein selbstlos bescheidenes, und weil solch völliges Selbstvergessen fast nie bei Männern zu finden ist, so gebührt das schöne Prädicat der Liebenswürdigkeit vorzugsweise dem weiblichen Geschlecht. Mögen unsere Emancipationsbeflissenen auch anders darüber denken, es wird doch ewig wahr bleiben, daß innige Hingabe und Aufgehen in den Interessen Anderer ein Vorzug – nicht eine Schwäche! – der Frau ist. So soll es sein, und es ist gut so. Laßt uns die Herren der Schöpfung ehren und ihre Rechte anerkennen, indem wir eifersüchtig über dem unsrigen, dem schönen Rechte vollendeter Liebenswürdigkeit, wachen, auf daß nicht etwa einst eine Zeit komme, wo man von energischen Weibern und liebenswürdigen Männern spricht. Das gäbe einen argen Mißton in der großen Harmonie der Schöpfung.

Nicht ohne Vorbedacht haben wir das liebenswürdige Weib zuerst der Gesellschaft im Allgemeinen gegenüber gestellt. Wo aber die Blume der Liebenswürdigkeit echt und unverkümmert blüht, da entfaltet sie ihren ganzen Zauber erst recht im Kreise der Häuslichkeit; denn hier ist das wahre große, unbestrittene Reich der liebenswürdigen Frau, der liebenswürdigen Tochter des Hauses. Jede frohe und heitere Stunde würzt sie den Ihrigen doppelt durch die Art, wie sie sich zu freuen weiß, und kommen Prüfungszeiten – welches Unglück wäre so schwer, daß die hingebende Theilnahme eines liebenswürdigen Weibes es nicht zu lindern vermöchte? Die schwarzen Gespenster von Leid und Kummer können wohl – wie Smiles[WS 2] so hübsch sagt – zur Thür eines Hauses hereinschauen, in welchem ein solches Wesen waltet, aber eintreten und ihre Wohnstätte darin aufschlagen, das dürfen sie nimmermehr.

Liebenswürdigkeit wirkt auch ansteckend, wie sie meistens erblich zu sein scheint. Es wird sich selten nur ein liebenswürdiges Wesen in einer Familie finden: „Man fühlt sich wohl dort – es ist ein liebenswürdiges Haus,“ hören wir sagen.

Ja, nicht nur Frau und Mann, auch die Kinder, selbst die Dienerschaft solchen Hauses ist zuvorkommend und in herzlicher Weise gefällig; das sind die Strahlen, die vom Stern des Hauses ausgehen, von der liebenswürdigen Mutter und ihren Töchtern.

Wollt Ihr Eure Kinder zu liebenswürdigen Menschen erziehen, was nahezu gleichbedeutend ist mit „glücklichen Menschen“, so laßt vor Allem Bescheidenheit, Nächstenliebe und aufrichtiges Wohlwollen in ihren kleinen Herzen einziehen, haltet aber Alles nach Möglichkeit fern, was die frohe unschuldige Heiterkeit des kindlichen Gemüthes trüben könnte!

Mißtrauen gegen unsere Nebenmenschen, Mißgunst oder gar Schadenfreude, das sind die Klippen, an denen die Liebenswürdigkeit unrettbar scheitert; darum sucht das Lebensschifflein Eurer Kinder ja davon fern zu halten! Das warme Mitgefühl im eigenen Herzen aber mag das Leuchtfeuer bilden, Euch und ihnen den rechten Weg zu zeigen für glückliche Fahrt!




Das fünfzigjährige Jubiläum des Hambacher Festes.

(Zum 27. Mai.)

Wie der Tag seine Herolde hat, welche jubelnd das Herannahen des lichtbringenden, allnährenden Gestirns verkünden, wie der Frühling seine Vorboten sendet, deren frohe Verkündungen einer schöneren Zeit leider häufig von Frost und Sturm zerstört werden, also giebt es auch im Staatsleben Epochen der Verheißung, wo unterdrückten Völkern in der Stunde der Verzweiflung die Lichtgestalt des Ideals erscheint.

Wenn nun solch ein weihevoller Aufschwung, in welchem hochstehende Männer den Schwur leisten, für die politische Wiedergeburt ihres Vaterlandes das Leben einzusetzen, in welchem auch in den weiten Schichten des Volkes die Ueberzeugung einer bessern Zukunft zu wurzeln beginnt – wenn solch ein Aufschwung im Leben der Völker nicht selten durch Rückschläge der herrschenden Gewalten zeitweise niedergedrückt wird, so bricht doch trotz wiederholter Reaction bei thatkräftigen Stämmen immer wieder die Ueberzeugung von den Lebensinteressen des Volkes durch und gelangt endlich unaufhaltsam zum Siege, sobald einmal günstige Umstände den rechten Zeitpunkt zum entscheidenden Handeln herbeigeführt haben.

Vor dem Glanze des Erfolges erbleicht nicht selten das Andenken jener Märtyrer, welche durch ihr Beispiel und ihre Aufopferung die Grundlagen der neuen Entwickelung vorbereiten halfen, allein das kann ihren Werth nicht schmälern; denn wie das Samenkorn quantitav zwar dem Baume nachsteht, welcher aus ihm entsprießt, letzterer in Wirklichkeit aber doch sein mächtiges, schattenspendendes Dasein jenem kleinen Keime verdankt, so sind es auch die Säemänner der Reformideen, auf welche vor Allen der geschichtliche Fortschritt zurückzuführen ist, und ihnen gebührt ebenso sehr der Dank der Völker, wie dem Monarchen, dem Feldherrn oder Staatsmanne, welche die vorgefundenen Wünsche und Reformpläne aufgegriffen und codificirt haben.

Nachdem die während des Befreiungskrieges von den deutschen Fürsten gegebenen Verfassungsversprechungen nicht in Erfüllung gegangen, sind im Leben des deutschen Volkes drei solcher Anläufe zur politischen Wiedergeburt zu verzeichnen.

Den ersten nahm die akademische Jugend, welche theils selbst in den Befreiungsschlachten mitgeblutet, theils an den Hoffnungen ihrer Brüder, an den Reden Fichte’s und den Lehren des Tugendbundes[WS 3] sich entzündet. Die Burschenschaft, deren Bestrebungen in der Wartburgfeier 1817 ihren symbolischen Ausdruck fand, hat sich ein unvergängliches Verdienst um die Erweckung des deutschen Nationalgeistes erworben, und die grausame Behandlung, welche ihren hervorragenden Mitgliedern von den damals herrschenden Gewalten widerfuhr, die jahrelange Haft der jungen Freiheitshelden in den Casematten der Festungen diente nur dazu, das gepflanzte Reis zu düngen, sodaß die Bewegung nach der Julirevolution in Paris schon weite Kreise des Volkes ergriff, um ihren höchsten Ausdruck im Hambacher Fest zu finden, dessen halbhundertjährige Gedächtnißfeier in der nächsten Woche in der Rheinpfalz begangen werden soll.

Obgleich nach der darauffolgenden sechszehnjährigen Rückschrittsperiode auch die Bewegung des Jahres 1848 auf’s Neue der Reaction erlag, so ließ sich doch an der Massenhaftigkeit dieser Erscheinung, welche fast ganz Europa ergriff, erkennen, wie der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: abe rihre
  2. Die Gartenlaube 1890: Samuel Smiles
  3. Die Gartenlaube 1860: Der Tugendbund
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_335.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2023)