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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


gestreute Samen sich allmählich ausgebreitet hatte, traten doch die Reformideen bei jedem neuen Anlauf mit tausendfältig verstärkter Gewalt auf, sodaß zuletzt nur der Schnitter seines Amtes zu walten hatte.

Es ist eine Pflicht historischer Gerechtigkeit, die wir heute, angesichts der bevorstehenden Gedächtnißfeier, erfüllen, indem wir des Hambacher Festes gedenken, in welchem die Reformbewegung der achtzehnhundertdreißiger Jahre zum höchsten Ausdruck gelangt war. In unserer Zeit, wo wir durch Volksversammlungen, Congresse und Volksfeste längst an Zusammenkünfte vieler Menschen gewöhnt sind, kann man sich kaum eine Vorstellung machen von dem großen Eindrucke, den das Hambacher Fest, welches bekanntlich auf einer eine Stunde von Neustadt an der Hardt gelegenen Burgruine abgehalten wurde, in den weitesten Kreisen hervorrief, war es doch die erste Volksversammlung, welche nach Jahrhunderten in deutschen Gauen wieder zusammentrat. Seit den großen Kaiserwahlen, seit den Festen Friedrich Barbarossa’s hatte sich in der Rheinebene keine solche Menge begeisterter Volksgenossen zusammengefunden.

Es galt Protest einzulegen gegen die Regierung, welche ein Verbot gegen die Versammlung erlassen und schon vorher die in der Verfassung garantirte Preßfreiheit unterdrückt hatte, – es galt Zeugniß abzulegen für das Recht des deutschen Volkes auf die Wiederherstellung der Freiheit und Einheit des Reiches.

Die Bewegung war in einer für den damaligen unentwickelten Stand des parlamentarischen Lebens und der Presse ungewöhnlich feurigen Weise vorbereitet worden. Sie hatte sogar mit Gewaltthaten begonnen, indem in Braunschweig der Herzog vertrieben und in Kassel der Kurfürst zur Erlassung einer freisinnigen Verfassung gezwungen worden war. Allein außer diesen vereinzelten Ausbrüchen war die Entwickelung jener Tage eine friedlich vorbereitende, reformatorische. Zu allererst hatte sich die Agitation in den Landtagen geäußert. Rotteck und Welcker gaben in Baden ein hervorragendes Beispiel, das in den übrigen mittel- und süddeutschen Staaten rasch Wiederhall fand und Kampfgenossen, wie Jordan in Kurhessen, Behr, Eisenmann, Friedrich Schüler, Siebenpfeiffer, Johann Georg August Wirth in Baiern, Todt in Sachsen und in Württemberg Römer und Paul Pfister erweckte, welcher letztere schon damals öffentlich die Ueberzeugung verkündete, daß die Wiederherstellung des deutschen Reiches nur mit Hülfe Preußens erfolgreich durchgeführt werden könne. Ein Umstand eigener Art hatte dazu beigetragen, der Bewegung einen besonders lebhaften Ausdruck in der Rheinpfalz zu verleihen. Der Reformkampf für eine einheitlichere verfassungsmäßige Gestaltung Deutschlands, für Preßfreiheit und Schwurgerichte war hauptsächlich von Dr. Siebenpfeiffer im „Westboten“ in der Rheinpfalz und von Dr. Wirth in der „Deutschen Tribüne“ in München geführt worden.

Gestützt auf den Umstand, daß in der baierischen Verfassung die Preßfreiheit garantirt und die Bundesversammlung zu der nachträglichen Aufhebung dieses Rechtes nicht befugt war, hatte sich Wirth gegen solchen Verfassungsbruch erhoben, und da er einen mannhaften Drucker fand, sich geweigert, seine Zeitung der Censur zu unterwerfen, indem er die von dem Censor gestrichenen Artikel dennoch abdrucken ließ. Diese Kühnheit in einer Zeit, wo Börne von Paris aus über den Bedientengeist der Deutschen spottete, wo er ihren knechtischen Sinn mit den Worten geißelte: „wenn zwölf Deutsche beisammen stehen und von einem Einzelnen angegriffen werden, so schreien sie nach der Polizei,“ und wo, abgesehen von diesen Uebertreibungen, das Mißtrauen in die eigene Kraft und die Furcht vor der Obrigkeit einen geradezu epidemischen Charakter angenommen hatten – diese Kühnheit hatte ein Beispiel gegeben, an welchem der Muth der ganzen Generation sich aufrichtete. Die baierischen Behörden waren darüber so verblüfft, daß sie sich anfangs gar nicht zu rathen wußten; denn auf Confiscationen und Postverbote sowie auf die schönen Erfindungen der preußischen Polizei, auf Concessionsentziehungen und Ausweisungen war man damals noch nicht gekommen. Auch mochte die Behörde nicht so besorgt sein, die verwegene That eines einzelnen Mannes tragisch zu nehmen, weil dieser unter den loyalen Bürgern Münchens keinen Anhang fand. Diese Erwägung


Ansichten von der Gotthardbahn: Uebersetzung des Ficino bei Stalvedro.
Originalzeichnung von J. Nieriker.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_336.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2023)