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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Der Geschichte trauriger Fortgang und ihr fröhliches Ende.

Am Sonntag darauf, nach dem Gottesdienst war es, daß auf dem Kirchplatz zu Dölsach der Oberveitel plötzlich neben dem Patritz stand und ihm in’s Ohr flüsterte:

„Lauf’ eilends davon! Versteck’ Dich in dem Walde! Sie suchen Dich.“

„Wer sucht mich?“ fragte der Bursche.

„Die Spitzhauben.“

Da war zwischen der Menge schon der Dorfrichter in Sicht, hinter ihm die Gensd’armen. Der Richter machte mit der Hand ein paar verstehbare Deuter: der Tritz solle sich davon machen! Da sie aber nicht beachtet wurden, so machte der Richter von seinem Amte Gebrauch und ließ den Burschen festnehmen.

Wohin die Reise? Nach Lienz zum Gericht!

Der Patritz Neuleitner hat den Feierabend entheiligt und die Polizei verhöhnt. Diese beiden Fälle wären noch etwa von den Behörden in Dölfach zu schlichten gewesen. Anders der dritte! Der Bursche hat eine große Geldnote verbrannt. Was hat es damit für eine Bewandtniß? Das muß untersucht werden; da steckt was dahinter. Und wäre es auch nur der Verschwendung wegen.

Das Protzigthun mit dem Gelde war ein alter Schaden der Drauthaler Bauern. Man ließ es noch hingehen, wenn sie bei Hochzeiten tagelange Gelage hielten, wenn die Todtenmahle oft die ganze Erbschaft des Verstorbenen verschlangen; man „verstattete“ es dem Drauthaler Großbauer oder Holzknecht, wenn er an seiner Sonntagsjoppe anstatt Bein- oder Messingknöpfe echte Maria-Theresien-Thaler trug. Wenn sie aber würfelten, kegelten, karteten um nichts Geringeres als um Ducaten, wenn sie zur „Bankozettelzeit“ (nach dem großen Staatsbankerotte) ihre Pfeifen mit eitel Zehnguldennoten anzündeten – das konnte man nimmer gehen lassen, nicht vom moralischen und nicht vom volkswirthschaftlichen Standpunkte aus. Es war Zeit, einmal ein nachdrückliches Beispiel aufzustellen, wie man in Zukunft gegen Uebermuth, Verschwendung und Trotz vorzugehen gedenke.

Die sehnigen Arme des Patritz hatten sich anfangs wild gegen die Eisenbanden aufgelehnt, aber die hohe Obrigkeit hatte guten Stahl in ihren Ketten, und der schnitt in’s Fleisch. Mit an einander geschlossenen Armen schlug sich der Bursche den Hut tief in die Stirn, und so ging es die weiße Landstraße entlang gen Lienz. Die ihm begegneten, wunderten sich baß, was doch der Patritz Neuleitner auf einmal für ein hoher Herr geworden sei, daß er zwei Adjutanten mit sich habe.

Am selbigen Nachmittag saß Maria in der Christenlehre und weinte. Der Pfarrer war höchlich darüber erfreut, daß sein Wort Gottes heute einmal ein Herz rühre. Aber sie hörte nicht die heilige Lehre; sie hörte das Gericht, das über ihren Tritz das Urtheil sprach. Und er war trotz der schweren Anklage so unschuldig wie das Gotteslamm dort auf dem Altare.

Sie wußte Alles. Als Verschwender werden sie ihn strafen und ihm sein Haus wegnehmen und es einem „Gerhab“ (Vormund) zur Verwaltung geben, es war davon die Rede gewesen. Es war Anderen auch schon so gegangen. Dann steht auch die Heirath um, und sie hat nichts, und er hat nichts. Und Alles dieses höllischen Fetzen Papiers wegen! Es war ja nur ein nichtiger Fetzen gewesen, den er am Kerzenlicht verbrannt, nichts als jene gottverlassene Zeichnung, die Franzel ausgeführt hatte.

Jetzt eilte das Mädchen den Berg hinan zu ihrem Elternhause, dem Ederhof. Sie lief zu dem Franz, der eben an der Schnitzbank saß und ein Pferd schuf.

„Jetzt wirf mir den Holzscherben weg und geh’ nach Lienz hinab,“ sagte sie. „Du bist an Allem schuld. Jetzt geh’ und sag’s! Das Papier hat keinen Werth gehabt – geh’ und sag’s! Du hättest es gezeichnet, das sag’ jetzt, wenn Du mein Bruder bist!“

„Ich soll es beim Gericht sagen, daß ich eine Banknote nachgemacht hab’? Der Narr werde ich nicht sein.“ So der junge Schnitzer. „Hab’ ich ihm das Papier gegeben? Hab’ ich gesagt, daß er die ‚Standarn‘ damit foppen soll? Etliche Tage im Schatten sitzen – sonst geschieht ihm nichts, dem Tritz, und das schadet nicht.“

„Du bist der Fälscher, und er soll eingesperrt sein – ist das eine Gerechtigkeit?“ rief das Mädchen. „Kannst das verlangen, Franz? Hat er Dir’s nicht gut gemeint, daß er dem Gaisbuben den Wisch weggenommen und ihn verbrannt hat? Sonst holen die Spitzhauben leicht Dich, und Dich hängen sie auf. Noch jetzt kann er Dich einbringen, wenn er will, aber er läßt sich lieber mit Messern schneiden, als daß er Dich verrath.“

Sie schluchzte zum Erbarmen.

„Schwester,“ sagte Franz, „zum Gericht geh’ ich nicht. Aber wenn sie kommen und mich fragen, werd’ ich’s nicht leugnen.“

„Und sie werden kommen!“ sagte Maria.

Nun trat der Vater, der alte Eder, tief bekümmert herzu.

„Kinder,“ sagte er, und sein Haupt wankte bei jedem Wort, „Ihr werdet mir noch eine Dummheit machen. Der Teufel hat Dich reiten müssen, Franz, daß Du mit dem Geld angefangen hast. Jetzt ist die Sau fertig. Dein Glück kann’s Dir kosten. Aber das sage ich Dir: selber verrath’ Dich nicht! Ob der Tritz ein paar Tage im Arrest sitzt oder Du zwanzig Jahr im Criminal – das wird ein Unterschied sein. Nicht? Meinst nicht, Dirn? Und wer kann’s beweisen, daß der verbrannte Fünfziger ein falscher gewesen? Nur gescheidt sein!“

Gescheidt sein! Das ist leicht gesagt. Und vollends von verliebten Leuten verlangen, daß sie gescheidt seien! Die Maria war ja verliebt bis über die Ohren. Und jetzt, da der Tritz unschuldig im Gefängniß saß, wie die wahrhaftigen Helden in den Rittergeschichten, jetzt stand er in ihrem Herzen so groß da, und ihr war, als gehöre zu diesem ritterlichen Helden eine treue, ebenso heldenmüthige Jungfrau, die ihn befreite. Ihr Vater mußte sie fast mit Gewalt zu ihrer Arbeit auf die Alm schicken, daß sie nicht hingehe, um dem Bräutigam zu Liebe den Bruder zu verrathen. – –

Am nächsten Tage wurde der alte Eder vor Gericht geladen. Als der Franzel sah, wie ernst die Sache zu werden begann, wollte er sich stellen.

„Untersteh’ Dich nicht!“ rief der Alte. „Spring’ nicht selber in die Schlammaß! Geh’ Du zu Deiner Zirmmatten hinauf, bleib’ in den Heuhütten, bis ich Dich rufen laß!“

Dann ging der Alte nach Lienz zum Gericht. Dort wurde er an den grünen Tisch gestellt vor das Crucifix. Aber einer der Herren setzte sich neben ihn und sagte vertraulich:

„Die Sache ist nicht so bös, mein lieber Eder. Thut es jetzt nur schön offen erzählen, was es mit der verbrannten Fünfzigerbanknote für eine Bewandtniß hat.“

„Gebt’s mir Ruh!“ brummte der Alte.

„Ihr habt es gesehen, als Euer Sohn den Schein zeichnete. Er ist ja noch ein Kind, und wir wollen daraus auch gar nichts Criminalistisches machen. Aber den Sachverhalt müssen wir wissen, daß wir den Patritz Neuleitner freilassen können. Also Euer Sohn hat sich zum Scherz versucht, das Ding nachzumachen?“

Sie wollen Dich fangen, warnte eine innere Stimme den Alten, sag’ nichts, bleib still wie der Fisch im Wasser! Jedes Wort könnte dem Franzel ein Jahr seines Lebens kosten. Er ballte die Fäuste auf seinen Knieen und starrte mit verglasten Augen auf den Boden.

Der Richter erhob seine Stimme:

„Hat Euer Sohn die Note gemacht oder nicht?“ Er deutete auf das Crucifix. „Ihr steht vor dem, den Ihr in Eurer Sterbestunde anrufen werdet! Ihr seid ein Ehrenmann gewesen Euer Leben lang; Ihr wollt es bleiben. Also auf meine Frage: Ja oder Nein!“

Da zuckte der Verhörte seine Achseln und murmelte:

„Wenn Ihr mich so angeht! Lügen kann ich nicht. Mein Franzel hat die Dummheit gemacht, aber keine Absicht dabei gehabt, keine schlechte Absicht. Der Fetzen ist aus aus der Hand gekommen – sonst hätten wir ihn gleich zerrissen.“

„Und ist’s auch das einzige Mal gewesen, daß er sich in derlei versucht?“

„Das hab’ ich ihn gefragt, und er hat gesagt: das erste und das letzte Mal. Und es ist auch so; ich kenne meinen Franzel; es ist auch so.“

„Folglich ist die Sache in Ordnung, Eder, und Ihr könnt wieder nach Hause gehen.“

Der Bauer ging, aber sein Herz war nicht leicht. „’s ist doch eine Falle,“ sagte er sich, denn zu jener Zeit hat Jeder dem Gericht mißtraut.

Als er nach Hause kam und der Franzel noch immer nicht davon gegangen war, wollte er ihn zur Flucht bewegen.

„Davon laufen mag ich nicht,“ sagte der Bursche trotzig, „dann thäten sie mich erst recht für einen Spitzbuben halten.“

Am nächsten Tage kam auch der Patritz heim und wußte zu sagen: Alles sei abgethan. Aber den Franzel möchten sie sehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_346.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2018)