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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Vom Vorhofe führt ein schmaler Gang, den verschiedene ebenfalls sehr stattliche Thore unterbrechen, in die inneren Räume des Gefängnisses, und eine Seitenthür, ebenso sorgsam verschlossen und verriegelt wie die übrigen, eröffnet die Aussicht aus die sehr verwickelte und verzwickte Treppenflucht, die, dank der Glasdecke hell erleuchtet, zu den drei Stockwerken führt, welche die Zellen enthalten. Man zählt wohl hundert solcher Zellen in jeder Etage, und sie alle münden auf eine offene Gallerie. Ein einziger Wächter genügt, um alle drei Gallerien zu beaufsichtigen und sich zu überzeugen, ob alles in Ordnung ist.

Als ich im letzten April das Gefängniß besuchte, waren sämmtliche Zellen besetzt, und doch bildeten ihre dreihundert Insassen nur die Hälfte der laut des Executionsgesetzes verhafteten Verdächtigen. Die Gefangenen gehörten allen Gesellschaftsclassen an: der einfache Pächter vom Lande oder der Bauernknecht war in Folge desselben Haftbefehls eingesperrt worden, welcher einen Universitätsprofessor oder einen Arzt der Freiheit beraubte. Jene catilinarischen Existenzen, die in den größeren Städten Irlands häufiger anzutreffen sind als anderswo, zerlumpte Gesellen, welche bei politischen oder anderen Demonstrationen Statistendienste leisten und keine andere Herberge kennen als die Meetinghallen und die Wirthshäuser, waren unter den „Suspects“ natürlich sehr zahlreich vertreten, neben diesen zweifelhaften Märyrern der nationalen Sache sah man aber auch Bürgermeister ganz bedeutender Städte und hochangesehene Geschäftsleute.

Katholische Geistliche gab es bis auf Weiteres in dem Castell Kilmainham nicht, dafür aber desto mehr in den anderen irischen Gefängnissen. Die vornehmsten unfreiwilligen Gäste in Kilmainham waren jedoch die drei oben bereits erwähnten Parlamentsmitglieder Parnell, Dillon und O’Kelly. Unfreiwillige! Der Ausdruck paßt nicht ganz; denn die drei Herren brauchten, um dem Gefängnisse zu entgehen, ja nur jenseits des Georg-Canals in England zu bleiben, wo ihnen kein Haar gekrümmt werden konnte. Allein es lag im Interesse der irischen Sache, daß gerade seine rührigsten Führer und Volksvertreter sich als Opfer der englischen Gewalt geriren durften. Ueber meine Begegnung mit diesen drei Führern der irischen Landliga, Parnell, O’Kelly und Dillon, im Gefängnisse von Kilmainham gedenke ich im Folgenden zu berichten.

(Schluß folgt.)




Thiere mit innerlicher Gemüsezucht.

Von Carus Sterne.

So seltsam der Titel klingen mag, den ich über die folgenden Darlegungen setzte, so vollständig entspricht er doch den merkwürdigen Thatsachen, die man schon seit längerer Zeit vermuthet, aber erst in den letzten Jahren sicher festgestellt hat, daß es nämlich zahlreiche Thiere giebt, die eine ganze Heerde niederer Pflanzen in ihr Inneres aufnehmen, sie dort ohne Schädigung weitercultiviren, ihnen durch ihre durchsichtigen Leibeswände regelmäßig Tageslicht und Sonnenschein zukommen lassen und sie mit ihren gasförmigen und flüssigen Körperausscheidungen düngen und nähren, um ihrerseits von dem Ueberschuß der von ihnen erzeugten pflanzlichen Nährstoffe mehr oder weniger ausschließlich zu zehren, sodaß sie thatsächlich nichts weiter für ihren Lebensunterhalt zu thun haben, als sich zeitweilig die Sonne auf den nackten Leib scheinen zu lassen.

Schon bei einer anderen Gelegenheit habe ich den Lesern der „Gartenlaube“ (1880, S. 268) von grasgrün gefärbten Seewürmern erzählt, die sich am seichten Ufer sonnen und dabei, ganz wie die Pflanzen, Sauerstoff statt Kohlensäure ausscheiden, überhaupt des Lichtes zu ihrem Leben wie die grünen Pflanzen bedürfen und im Dunklen bald zu Grunde gehen. Solcher grün gefärbten Thierarten, die nach der Weise der Pflanzen leben, giebt es in sehr verschiedene Thierclassen, und man kennt seit längerer Zeit zahlreiche hierher gehörige Thiere aus den Gemeinschaften der Wurzelfüßler, Gitterthiere, Infusorien, Schwämme, Polypen, Korallen, See-Anemonen, Quallen und Würmer.

Von einzelnen dieser Thiere war es seit länger als vierzig Jahren bekannt, daß sie ihre grüne Farbe demselben Farbstoffe verdanken, der sich in Form kleiner, grün gefärbter Körner in allen grünen Theilen der Pflanzen findet, dem Blattgrün oder Chlorophyll. Die Erkenntniß, daß der Farbstoff zahlreicher grüner Thiere der nämliche ist wie derjenige der Pflanzen, wurde durch die spectroskopische Untersuchung bestätigt und brachte die Naturforscher schier in Verzweiflung, da sie ihnen den letzte Hoffnungsanker raubte, Thiere von Pflanzen unterscheiden zu können.

Das klingt wiederum sehr sonderbar; denn im Allgemeinen bestehen höchstens hinsichtlich der allerniedersten Wesen wirkliche Zweifel, ob man sie zu den Thieren oder Pflanzen zu rechnen habe, weshalb man bekanntlich für sie ein neutrales Zwischenreich, das der Protisten oder Urwesen, aufgestellt hat. Als viel schwieriger aber hat sich die Aufstellung eines durchgreifenden Merkmals erwiesen, nach dessen Vorhanden- oder Nichtvorhandensein man sofort Thier und Pflanze unterscheiden könnte. Früher nannte man einfach Thier, was sich frei umherbewegt, und Pflanze, was im Boden oder auf irgend einer Unterlage festwurzelt, weshalb man auch die auf dem Meeresboden oder auf den Klippen festgewachsenen Meeresschwämme, Korallen etc. früher allgemein zu den Pflanzen rechnete. Jetzt weiß man indessen, daß gar viele Thiere für ihr ganzes Leben vor Anker gehen und an der Scholle kleben, während zahlreiche niedere Pflanzen, namentlich in ihrer Jugendzeit, sich lebhaft im Wasser und selbst auf dem Lande umherbewegen, wie z. B. die Schleimpilze, die in feuchten Gewächshäusern an den senkrechten Wänden der Blumentöpfe emporkriechen.

Ferner glaubte man den Magen und die Verdauung in demselben als Vorzug der Thiere vor den Pflanzen hinstellen zu können, aber einerseits giebt es genug Thiere, welche keine Magenhöhlung haben, wie z. B. viele Schmarotzer, die ihre Nahrung durch die gesammte Körperoberfläche aufnehmen, und andererseits sogenannte „insectenfressende Pflanzen“ (vergl. „Gartenlaube“ 1875, S. 166 und 1878, S. 289), welche animalische Nahrung in besonderen Höhlungen und mit Hülfe von Säften verdauen, die dem thierischen Magensafte im höchsten Grade ähnlich sind. Ebenso kennt man Thiere, die, ganz wie die Pflanzen, Knospen treiben, Stämme und verzweigte Aeste mit „Blumen“ daran bilden, oder (wie die Mantelthiere) wirklichen Holzstoff erzeugen, der von dem Stoffe der Pflanzenzelle (Cellulose) chemisch nicht zu unterscheiden ist.

Der einzige, einigermaßen durchgreifende Unterschied schien demnach zu sein, daß die Pflanzen im Stande sind, unmittelbar von den Bestandtheilen der Luft, des Wassers und des Bodens zu leben und diese unorganischen Stoffe in organische umzuwandeln, während die Thiere dies bekanntlich nicht vermögen, sondern auf pflanzliche oder thierische Nährstoffe angewiesen sind. Die Pflanzen verdanken jenen Vorzug, unmittelbar von den in der Natur vorhandenen Stoffen, namentlich von der in der Atmosphäre nie fehlenden Kohlensäure leben zu können, bekanntlich dem Chlorophyll, oder, wie neuere Untersuchungen wahrscheinlich machen, einem verwandten, stets mit demselben vergesellschaftet vorkommenden und von ihm vor allzu heftiger Lichtwirkung geschützten, farblosen Stoffe, dem Hypochlorin, durch den die Kohlensäure unter dem Einflusse des Lichtes zerlegt wird. Daher bedürfen solche Pflanzen, welche, wie die Pilze und andere Schmarotzergewächse, des Chlorophylls (und seines farblosen Begleiters) entbehren, schon fertig gebildeter organischer Stoffe in der Unterlage, auf der sie wachsen.

Aber auch dieses letzte Unterscheidungsmittel schien den armen Naturforschern durch die grünen Thiere entzogen zu werden, von denen neuere Beobachter gezeigt haben, daß sie recht wohl, ganz wie Wasserpflanzen, in filtrirtem Wasser, und ohne alle organischen Nährstoffe, längere Zeit weiter leben können, wenn man ihnen nur Licht in ausreichendem Maße gewährt. Zu der Entdeckung des Chlorophylls in zahlreichen Thieren war dann, ebenfalls schon seit längerer Zeit, die Entdeckung von Stärkekörnchen getreten, welche bekanntlich in der Pflanze unter dem Einflusse des Lichtes in den Chlorophyllkörnchen gebildet werden.

Der berühmte englische Zoologe Huxley hatte vor einer Reihe von Jahren innerhalb des durchsichtigen, von einem Kieselskelete gestützten Schleimkörpers der mikroskopischen Gitterthiere oder Radiolarien kleine, gelbe Zellen entdeckt, die sich durch Quertheilung lebhaft vermehren und in so wechselnder Anzahl in jenen Thieren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_351.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)