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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

vorkommen, daß sie nicht den Charakter nothwendiger Organe, sondern eher den selbstständiger Wesen tragen, die als fremde Eindringlinge in dem Schleimkörper der Radiolarien leben.

Häckel, welcher dieser durch ihren Formenreichthum und ihre zierlichen Gestalten ausgezeichneten Thierclasse ein eingehendes und folgenreiches Studium widmete, entdeckte dabei, daß ihre gelben Zellen sich bei Berührung mit Jod tief blauviolett färben, also Stärkemehl enthalten, ganz wie Pflanzenzellen. Hinsichtlich ihres eigentlichen Charakters sprach sich der ausgezeichnete Mikroskopiker Cienkowsky[WS 1] bereits 1871 dahin aus, daß sie anscheinend in die Radiolarien eingedrungene, niedere, einzellige Algen seien, die in dem thierischen Körper weiter vegetiren, und beobachtete ferner, daß sie nicht nur den Tod des thierischen Wirthes überleben, sondern sich auch nach demselben weiter vermehren, woraus sich erklärte, daß in einigen Radiolarien wenig oder gar keine, in anderen sehr viele solcher gelben Zellen gefunden werden.

Diese Ansichten aber fanden nicht allgemeine Zustimmung, und ähnlich wie schon Ehrenberg und spätere Mikroskopiker die grünen Körperchen im Leibe der Infusorien für nothwendige Organe oder für die Eier derselben angesehen hatten, dachte man auch bei den Radiolarien an Leberzellen oder sonst mit der Verdauung zusammenhängende Organe.

Wenige Jahre, nachdem Cienkowsky seine Vermuthung über die Algennatur der gelben Zellen in den Radiolarien ausgesprochen hatte, beschäftigte sich Professor Geza Entz[WS 2] in Klausenburg mit der Untersuchung der grünen Körnchen, welche sich in den äußeren Körperschichten sehr vieler Infusorien finden. Zahlreiche Infusorien der verschiedensten Gruppen, Geißelthierchen, Glockenthierchen, Trompetenthierchen und viele andere, sind in ihrem Innern so reichlich mit diesen Körnchen versehen, daß sie grasgrün erscheinen und ganzen Wassertümpeln, wie z. B. die nach diesem Aussehen getaufte Euglena viridis, eine tiefgrüne Färbung ertheilen. Das Merkwürdigste war nun hierbei, daß dieselben Arten, welche an dem einen Orte vollständig mit den grünen Körnchen vollgepfropft auftraten, an anderen Orten derselben beständig ermangelten, sodaß letztere jedenfalls nicht als unentbehrlicher Bestandtheil ihres Organismus betrachtet werden konnten. Bei genauerer Untersuchung fand nun Geza Entz, daß die grünen Körperchen nur bei alles fressenden oder solchen Infusorien vorkommen, die sich mit Vorliebe oder ausschließlich von einzelligen Algen, wie Protococcaceen, Palmellaceen etc., oder auch von kleineren Infusorien, die solche grüne Körnchen enthalten, ernähren. Weiter zeigte sich, daß, wenn diese grünen Körnchen durch Ausquetschen und Zerzupfen des Infusorienkörpers befreit wurden, sie im Wasser weiter lebten und durchaus nicht von einzelligen grünen Algen zu unterscheiden waren.

Es handelt sich also auch hier nicht um bloße Chlorophyllkörnchen, sondern um vollständige, mit Zellhaut und Zellkern versehene einzellige Pflänzchen, die im Innern des Infusorienkörpers weiterleben und sich dort ebenso wie außen durch Theilung vermehren. Diese Ansicht ließ sich noch genauer dadurch erweisen, daß der Beobachter die farblosen Infusorien mit den grünen Körperchen fütterte und dabei wahrnehmen konnte, wie einzelne der Verdauung in dem Innern des Thierkörpers entgingen, sich in die äußeren Schichten drängten und sich dort lustig vermehrten.

Somit ließ sich also hier ein ähnlicher Fall von Zusammenleben zweier verschiedenartiger Organismen feststellen, wie ihn der geniale, jetzt in Berlin lehrende Botaniker Schwendener[WS 3] zuerst bei jenen grauen, grünlichen oder gelben Gewächsen entdeckt hat, die in Gestalt von Krusten, Lappen oder Bärten aus der Erde, auf Steinen, Mauern, Zäunen, Baumstämmen und Aesten wachsen und in der Sprache des Volkes fälschlich zu den Moosen (z. B. Isländisch Moos, Renthiermoos, Lungenmoos etc.) gerechnet werden – den Flechten. Schwendener erkannte nämlich und wies nach, daß diese Gebilde gar keine einfachen Pflanzen sind, sondern Geflechte, welche dadurch entstehen, daß ähnliche einzellige grüne Algen, wie die oben erwähnten, rings von zarten Pflanzen umsponnen werden. Die Pilze, welche, wie schon gesagt, stets Schmarotzer sind und nicht, wie die grünen Pflanzen, ihre Nahrung unmittelbar aus der Luft gewinnen können, leben hierbei von den organischen Stoffen, welche die grünen Algenzellen bereiten, und diese hinwiederum empfangen von den sie umstrickenden Pilzfäden Schutz vor dem Austrocknen, indem jene die zu ihrem Gedeihen unentbehrliche Feuchtigkeit zurückhalten. Es liegt also hier kein Fall von reinem und unbedingtem Schmarotzertum vor; denn beide Pflanzenarten nützen einander gegenseitig, und man möchte daher eher von einem Compagniegeschäft sprechen.

Aehnliche Fälle, die man als Zusammenleben (Symbiose) bezeichnet, sind nun in der Neuzeit mehrfach beobachtet worden, und es lag daher nahe, an ein ähnliches Verhältniß bei den grünen Infusorien zu denken, obwohl der Fall insofern befremdender war, als hier nicht zwei Pflanzen oder zwei Thiere zu einem Gesellschaftsleben verbunden sind, sondern vielmehr Thier und Pflanze. In der That konnte Geza Entz feststellen, daß die Infusorien, welche eine hinreichende Menge von Algen in ihren Körper aufgenommen haben, keine ferneren festen Körper zu ihrer Nahrung gebrauchen; sie lassen nur beständig Wasser durch ihren Körper strömen, um den in ihnen lebenden Algen stets frisches, kohlensäurehaltiges Wasser zuzuführen, wofür sie von ihnen Sauerstoff zurückempfangen und nicht allein die absterbenden Miether, sondern auch andere, die bei ihrer rapiden Vermehrung zufällig in den Verdauungsraum gedrängt werden, verzehren. Der Miether zahlt also seinem Wirthe den Miethzins gleichsam in Naturalien, indem er ihn mit Nahrung versieht, und wird dafür beständig einem solchen gedämpften Lichte ausgesetzt, wie es ihm am meisten zuträglich ist. Einen lange andauernden ungemilderten Sonnenschein können diese Algen nämlich nicht vertragen, und grüne Infusorien, die gezwungen wurden, lange in demselben zu verweilen, entfärbten sich bald vollständig, indem die in ihnen lebenden Algen durch das zu grelle Licht getödtet und von ihrem Wirthe verdaut wurden.

Professor Geza Entz veröffentlichte diese merkwürdigen Entdeckungen bereits im Beginne des Jahres 1876, allein da es in ungarischer Sprache geschah, blieben sie den Naturforschern anderer Länder gänzlich unbekannt, und Dr. K. Brandt[WS 4] in Berlin mußte die betreffenden Thatsachen im Verlaufe des vorigen Jahres vollständig neu entdecken. Dieser Beobachter beschäftigte sich aber nicht blos mit grünen Infusorien, sondern auch mit ebenso gefärbten Strudelwürmern, dem Süßwasserschwamm (Spongilla), dem durch seine Reproductionsfähigkeit so bekannten Armpolypen (Hydra) unserer Tümpel und Gräben und mit gewissen grünen Seerosen. Er unterschied dabei die grünen Algen von den gelben, welche außer in den Radiolarien auch in gewissen Korallenpolypen vorkommen, und bezeichnete sie als grüne und gelbe Thieralgen (Zoochlorella und Zooxanthella), obwohl es wahrscheinlich ist, daß verschiedene Arten niederer Algen in Thieren leben können. Von seinen im Allgemeinen die Beobachtungen von Geza Entz bestätigenden Untersuchungen sind besonders diejenigen lehrreich, durch welche er sich überzeugte, daß sowohl Radiolariencolonien, wie der gewöhnliche Süßwasserschwamm ausgezeichnet in filtrirtem Meer- respective Flußwasser gediehen, während sie also vollständig auf die von den Algen in ihrem Körper erzeugten Nährstoffe angewiesen waren. Dasselbe wurde ferner dadurch bestätigt, daß die Thiere bald starben, wenn die Gefäße in’s Dunkle gestellt und damit den Algen die Möglichkeit entzogen wurde, neue Nährstoffe zu erzeugen.

Einige Monate später als Brandt, nämlich im Beginne des laufenden Jahres, veröffentlichte der englische Naturforscher Patrick Geddes[WS 5] einen Bericht über die Studien, welche er schon im Jahre 1878 an der bretagnischen Küste und im vorigen Jahre zu Neapel über die Lebensweise der grünen Thiere angestellt hat. Wie ich an der schon oben bezeichneten Stelle der „Gartenlaube“ genauer mitgetheilt habe, hatte Geddes bereits damals festgestellt, daß die grasgrünen Plattwürmer, welche sich am Strande der französischen Küsten sonnen, dabei Gasblasen entwickeln, welche bis zu fünfzig Procent reinen Sauerstoff enthalten, während in ihrem Körper zugleich das Auftreten von Stärkekörnchen nachgewiesen werden konnte. Indessen hatte Geddes damals noch angenommen, daß die Chlorophyllkörnchen einen wirklichen Bestandtheil des Wurmkörpers bildeten. Inzwischen hat er sich jedoch ebenfalls überzeugt, daß es sich in diesen und ähnlichen Fällen stets um einzellige Algenarten handelt, von denen er vier Arten unterscheidet, die er unter dem Gattungsnamen Philozoon (d. h. Thierfreund) zusammenfassen möchte. Neuerdings stellte derselbe Beobachter eine Reihe von Untersuchungen an grünlich oder orangegelb gefärbten See-Anemonen (Anthea cereus und Cereactis aurantiaca), an Hornkorallen (Gorgonia), sowie an schön blau gefärbten Quallen (Velella) an, welche entweder grüne oder gelbe Algen enthalten, und fand, daß alle diese Thiere ohne weitere Nahrung im Lichte sehr wohl gediehen und dabei Sauerstoff statt Kohlensäure entwickelten.

Es ist oft darauf hingewiesen worden, wie vollständig sich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Leon Cienkowski, polnisch-russischer Botaniker, Protozoologe und Bakteriologe
  2. Géza Entz (1842–1919), ungarischer Biologe
  3. Simon Schwendener, Schweizer Biologe
  4. Karl Brandt, deutscher Meeresbiologe
  5. Patrick Geddes, schottischer Biologe
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_352.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)