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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Verkehr mit den Weißen einen lebhaft begehrten Handelsartikel bilden. Die Lage einer Dacotah-Gattin ist also keineswegs eine unerträgliche, und vielleicht wäre manche Europäerin, der die Erhaltung eines nichtsnutzigen oder arbeitsscheuen Eheherrn obliegt, herzlich froh, mit jenen besser situirten Indianerinnen tauschen zu können.

Befindet sich der Dacotah auf dem „Kriegspfade“, so ist er auf die Erbeutung feindlicher Scalpe versessen, wie der Gottseibeiuns auf eine arme Seele. Die verschlagensten Schliche, die wüthendsten Anfälle auf den Gegner setzt er in Scene, um sich dieses höchste, werthvollste Triumphzeichen des Siegers zu erringen. Wenn der Dacotah seinen zusammenbrechenden Feind erreicht hat, so setzt er ihm den Fuß auf die Brust, windet das Haar des Erlegten um die linke Faust, trennt mit dem Scalpmesser im Nu die ganze Kopf- und obere Gesichtshaut bis zu Nase und Augen herunter und reißt mit einem einzigen gewaltigen Ruck den ganzen Schopf vom Schädel. Ist die Gewinnung eines Scalpes mit großer Gefahr verbunden oder äußerste Eile geboten, so wird nur ein Theil der Kopfhaut abgeschnitten, unter Umständen sogar nur ein Büschel Haare ohne Haut.

Ich selbst besitze z. B. eine lange, geflochtene Scalplocke, die mit scharfem Schnitte dicht über der Haut abgetrennt worden ist. Der Häuptling, welcher mir dieselbe als höchstes Zeichen seiner persönlichen Gunst verehrte, berichtete mir, daß er bei ihrer Erbeutung nicht weniger als sieben Pfeilschüsse erhalten und nahezu selbst scalpirt worden sei.

Der eroberte Scalp wird zunächst sorgfältigst gegerbt und sodann während des nächtlichen Scalptanzes bei loderndem Feuer unter Beobachtung verschiedener Ceremonien feierlich geweiht. Wie unsere Abbildung zeigt, ist er bei dieser Gelegenheit auf einen an einem Stabe befestigten Reifen aufgespannt und mit allerhand Zierrathen und Curiositäten ausstaffirt. Ueberhaupt werden diese Scalpe als das höchste Heiligthum der Indianer betrachtet, und sie prangen, in viele einzelne Locken zerlegt, als Schmuck an den Säumen der Gewänder oder an den Kriegswaffen; bei besonderen Festlichkeiten erblickt man sie auch wohl am Gürtel der Tänzer, oder sie flattern, neben einander gereiht, an den langen Scalpstangen, die bisweilen auf Befehl des Häuptlings an schönen Tagen vor den Wigwams aufgepflanzt werden, um die Thaten und den Ruhm der siegreichen Geschlechter zu verkünden.

Ein fernerer, jedoch nur den Häuptlingen zukommender kriegerischer Schmuck sind die bekannten prächtigen Adlerfederkronen und die als Fächer benützten Adlerflügel. Beide Gegenstände bilden den köstlichsten und werthvollsten Bestandtheil ihres Costüms, und nur in den seltensten Fällen entschließt sich ihr Besitzer, sie Fremden als ein Zeichen ganz besonderer Hochachtung zum Geschenke zu machen. Wird eine einzelne Adlerfeder schon mit ein bis eineinhalb Dollar bezahlt, so steht ein vollständiger Kopfschmuck dem Werthe von zwei bis drei Pferden oder der Summe von zweihundert bis zweihundertfünfzig Mark, ein zu einem Fächer verarbeiteter Flügel aber dem eines Pferdes oder der Summe von hundert Mark gleich. Beide Stücke werden um deswillen so hoch geschätzt, weil erstens die Kriegsadler sehr selten geworden und zweitens die Jagd auf dieselben eine äußerst langwierige und beschwerliche ist.

Dem Umstande, daß ich auf Grund meiner Malerkünste von den Indianern für einen großen Wundermann gehalten wurde, verdanke ich eine ganze Reihe kostbarer Geschenke, unter denen eine prachtvoll bemalte Büffelhaut, zwei schöne Adlerflügel und zwei „Medicinbeutel“ die bemerkenswerthesten sind. Letztere stehen bei den Wilden derartig im Geruche der Heiligkeit, daß sie sich fast nie von ihnen trennen. Der Medicinsack ist nämlich eine Art Amulet, welches den Träger desselben vor bösem Blick und überhaupt vor allen bösen Geistern schützen und ihm im Gewühle des Kampfes Kraft und Stärke verleihen soll. Die Herstellung dieses Amulets bedeutet einen Markstein im Leben der Rothhaut; denn nur einmal darf die „Medicin“ angefertigt werden, und umfassende Vorbereitungen sind dazu erforderlich. Der junge Indianer verläßt zu diesem Zwecke den väterlichen Wigwam und verbringt vier bis fünf Tage, ohne seinen Durst zu löschen, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, in der Einsamkeit der Wälder. Auf dem Erdboden ausgestreckt, richtet er seine Gebete zum großen Geiste, auf daß dieser ihm den wohlthätigen Genius zeige, der zum Schutzengel seines Lebens bestimmt sei. Das erste Thier nun, welches ihm in seinen Träumen erscheint, versinnbildlicht diesen guten Geist; wohlgemuth springt der Jüngling auf, kehrt in das Lager zurück, stillt Hunger und Durst und durchstreift dann die Wälder, um eines Exemplars der fraglichen Thierspecies habhaft zu werden. Früher oder später gelingt es ihm, den Biber, die Schlange, den Vogel, die Maus, oder welches Thier sonst er im Traume gesehen, aufzufinden und zu erlegen. Der glückliche Jäger streift ihm die Haut ab, füllt dieselbe mit Gras oder Moos, schmückt den Balg mit Perlen und Federn und trägt ihn bei sich für das ganze Leben. Niemals wird die „Medicin“ geöffnet, nie verkauft, nie verschenkt, und stirbt ein Indianer, so wird seine „Medicin“ mit ihm begraben; mit einem Worte: ein Medicinsack ist etwas Unbezahlbares, und wer ihn verliert, fällt in Unehre bei dem ganzen Stamme, weil er dasjenige nicht zu bewahren gewußt, was der große Geist selbst ihm gegeben. Einzig dadurch vermöchte er sein Ansehen wieder herzustellen, daß er die erbeutete „Medicin“ eines mit eigener Hand erschlagenen Feindes aufzuweisen im Stande wäre.

Nicht zu verwechseln mit dem soeben besprochenen Medicinbeutel ist übrigens die sogenannte „große Medicin“, die an einer vor jedem Wigwam aufgerichteten Stange befestigt ist. Letztere besteht aus allerhand Lappen, Otterfellen etc., oder sie stellt auch ein aus Büffelleder gefertigtes köcherartiges Behältniß dar, in welchem seltsamer Krimskrams, wie Wolfsknochen, mit sonderbaren Hieroglyphen bemalte Tuchfetzen etc., aufbewahrt wird. Auch diese „große Medicin“ soll durch ihren wohlthätigen Zauber alle bösen Einflüsse vom Zelte fern halten.

Sind sonach die Dacotahs keineswegs frei von abergläubigen Vorstellungen, so erscheinen sie doch unverkennbar zugleich auch als ein Volk von zwar naivem, aber immerhin lebhaftem religiösem Bewußtsein. Sie glauben an Wakan-tanka, den Herrn des Lebens, den allmächtigen Erhalter und Beschützer aller Dinge, der zu gut ist, um ihnen irgend welchen Schaden zuzufügen, zu dem jeden Morgen und jeden Abend als Opfer der Rauch der Pfeife emporsteigt. Gleichwohl opfern sie freilich auch dem bösen Geiste, Wakan-schecha, um ihn milde für sich zu stimmen; sie fürchten ihn, da er ihnen Unheil verursacht, ihren Weibern die Köpfe verdreht, das Wild verscheucht und die Pfeile ihrer Feinde lenkt. Sie fürchten auch seine Abgesandten, die Dämonen, die auf allen Wegen sie umschweben. Wasser, Wälder, Felsen, Luft und Gras sind angefüllt mit solchen unheimlichen Mächten, deren Waffen die Blitze sind, mit denen sie rings um die Erde schießen können. Sie glauben ferner an einen Riesen, Ha-o-kuh, welcher tödten kann mit einem Zucken seiner Augenwimpern. Hoch in den Lüften, weit außerhalb des menschlichen Gesichtskreises, schwebt der Donnervogel, und auf seinem Rücken trägt er einen See frischen Wassers. Ist der Vogel zornig, so verursacht das Schlagen seiner Flügel den Donner und die Stürme; zuckt er mit den Augen, so fährt ein Blitzstrahl hernieder, und bewegt er gleichzeitig Schwanz und Flügel, so fließt der See über und es regnet auf der Erde. In der kalten Jahreszeit ist der Wald bedeckt mit den von der Federbekleidung abgetröpfelten Eiszapfen, und wenn der Himmel klar und heiter ist, so weilt der Vogel in weiter Ferne, um seinen Jungen Nahrung zu bringen.

Gegen die Lehren der christlichen Religion haben die Dacotahs bisher entschiedene Abneigung an den Tag gelegt. Ein alter Häuptling drückte mir seine Ansicht über das Christenthum in folgenden Worten aus:

„Eure Schwarzröcke sagen: daß nur ein Weg sei, den großen Geist zu verehren und ihm zu dienen. Sie sagen, Euer Glaube sei der wahre, wir aber wandelten auf falschen Wegen. Wir hörten, daß Euer Glaube geschrieben sei in einem Buche, und daß alle Bleichgesichter dieses Buch lesen könnten. Wenn nun aber nur ein Glaube der richtige sein soll, wie kommt es, daß die Bleichgesichter, die doch Alle jenes Buch lesen, unter sich uneins sind? Warum streiten sie wider einander? Und wenn Euer Glaube auch für uns bestimmt sein soll, warum gab der große Geist jenes Buch nicht auch uns oder unseren Vorfahren? Wakan-tanka thut recht: er lehrte unsere Väter dankbar zu sein für die Gaben, welche wir empfangen; er lehrte uns, einig zu sein und einander zu lieben, aber er gab uns nicht Euer Buch. Wir streiten uns niemals um unseren Glauben; wir sind zufrieden. Es wäre albern und schändlich zugleich, wollte ich einen Glauben wechseln, den ich von meinen Vorfahren ererbt habe. Die Religion der Weißen ist nicht gut. Als Gott auf Erden kam, hing ihn der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_367.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)