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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

kluger Mann erzählte – aber ich bin Dir noch eine Auskunft schuldig. Ich sagte Dir, daß der Müller Ornesen im Lärdal mich vor langen Jahren zum Weibe begehrte. Ich schlug’s aus, und als er nach der Ursache fragte, verrieth ich ihm, daß ich mich nur Jemand zu eigen geben könne, an dem mein Herz hinge. Mein Vertrauen gefiel ihm, und da sagte er, daß Alles in der Welt sich ändern möge, er aber seinem Vorschlage treu bleibe bis zur letzten Stunde, und wenn ich eines Tages zu ihm komme, würde es sein Glück sein, und ich sollte keine Ursache finden, meinen Schritt zu bereuen. Wohlan denn, Knut, mein Sinn steht nicht nach Reichthum, aber ich fühl’s, nach dem langen einsamen Leben ist’s besser, ich übernehme Pflichten, die all mein Sinnen und Trachten ausfüllen.“

„So willst Du den Ornesen heirathen?“ fragte Knut, und aus seiner Stimme klang es wie heimlicher Verdruß.

„Er ist ein rechtschaffener Mann,“ antwortete Engelid. „Sagt er, daß es ein Glück für ihn in seinem Alter, so ist’s wahr.“

„Du solltest Dir die Sache gehörig überlegen, Engelid; Du fändest wohl einen jüngeren und ansehnlicheren Mann.“

„Dazu bedarf es keines langen Ueberlegens. Ich seh’ nicht mehr nach Jugend und Schönheit. Ich geb’ mich Jemand, der mich nimmt, wie ich bin, nicht von mir verlangt, daß mir’s Blut noch durch die Adern tanze, wie die Elfs da drüben von Stein zu Stein springen – doch was soll das Reden? Lebe wohl, Knut! Von Herzen wünsche ich Dir Glück und Wohlergehen.“

Sie reichte ihm die Hand. Ihr Antlitz war vollkommen ruhig. Ueber einen mißlungenen Fischzug hätte sie nicht gleichmüthiger sprechen können. In Knut’s Brust aber arbeitete es seltsam. Es mochte ihm vorschweben, wie der Müller sie jubelnd willkommen heißen, wie er Alles aufbieten werde, ihr in seinem Hause eine trauliche Stätte zu bereiten. Ja, das war wohl ein anderes Wiedersehen, als das mit ihm in der Schärenhütte, und eine Reihe von Jahren war ja ebenfalls verstrichen, seitdem die Beiden einander zum letzten Mal in die Augen schauten, Jahre, in welchen der Müller in demselben Maße alterte, in welchem Engelid sich entwickelte und reifte. Er hätte den alten Mann beneiden mögen. Bevor er ein Wort der Erwiderung fand – und er wußte in der That nicht, was er hätte sagen sollen – schritt Engelid dem Dorfe zu.

„Engelid!“ rief er ihr nach. „wir sehen uns noch, wenn Du Dein Boot abholst. Ich muß Dir ebenfalls noch einen Glückwunsch mit auf den Weg geben, und eine Hochzeitsgabe von meiner Hand schlägst Du gewiß nicht aus.“

„Nein, Knut!“ rief Engelid eigenthümlich sanft über die Schulter zurück, „die schlage ich nicht aus, wenn ich Dir eine Freude damit bereite,“ und weiter schritt sie mit selbstbewußter, aufrechter Haltung, weiter auf ihren festbeschuhten Füßen, die fast zu klein für den hohen, kräftig gebauten Körper erschienen.

Knut blickte ihr sinnend nach. Es war sichtlich eine Augenweide für ihn, das große, schöne Mädchen, wie es sich geschmeidig in den Hüften wiegte, so anmuthig dahin schreiten zu sehen. O, es war ihm eine eigenthümliche, halb wehmüthige Lust, dieses Sehen – aber Eines sah er nicht: daß bald, nachdem sie von ihm gegangen, schwere Thränen langsam über Engelid’s Wangen rollten, er sah nicht, wie sie die Lippen fester auf einander legte und mit einer heftigen, sogar trotzigen Bewegung die Tropfen von ihren Wangen entfernte; er sah nicht den zornigen Blick, den sie auf den stillen Wasserspiegel warf, wie um Alles, was noch schmerzlich in ihr nachwirkte, in der unergründlichen Tiefe der Fluth zu begraben.

Sobald Engelid aus seinem Gesichtskreise getreten war, kehrte Knut in’s Haus zurück. Finster schauend, warf er sich hinter dem Tische auf die Bank. Wie erschien ihm das alte, vertraute Gemach plötzlich so verödet und vereinsamt! Unwillkürlich lauschte er. Ihm war, als könne er das Geräusch unterscheiden, mit welchem Engelid draußen in dem engen Küchenraum arbeitete, das Geräusch ihrer Schritte, indem sie sich anschickte, ihn freundlich zu bedienen. Aber sie war ja gegangen – gegangen – und es lag etwas wie Trotz in der Art, wie sie gegangen – – mit einer Geberde aufflackernden Zornes warf er den Hut neben sich aus den Tisch. Heftig sprang er empor, und mit flammendem Eifer begann er unter seinen alten Habseligkeiten zu ordnen und zu kramen, um sich dadurch Betrachtungen zu erwehren, die sich ihm unheimlich aufdrängten. Achtlos schleuderte er den Beutel mit dem Gelde in die Truhe und krachend schmetterte er den Deckel in seine Fugen. Durch nichts mehr wollte er an Jemand erinnert werden, der sich anmaßte, ein Recht an ihn zu besitzen.

„In’s Jotungebirge hinauf, in’s Jotungebirge hinauf!“ sprach er vor sich hin, um sein wildes Blut zu beruhigen und als ob ihm die Einsamkeit in dem eigenen Hause nicht einsam genug gewesen wäre. Neuen Grübeleien auszuweichen, trat er in die Küche hinaus. Ja, da standen und lagen gesäubert und geordnet die wenigen einfachen Küchengeräthe, wie sie aus Engelid’s Händen hervorgegangen. Jetzt hatte er in seinem Hauswesen selber zum Rechten zu sehen – ha, diese Ordnung, wie er sie haßte, weil sie von – ihr stammte! Teller, Schüsseln, Tiegel, Alles klirrte vor seinem wüsten Griffe über einander; nach rechts und links flog die Asche von der Feuerstelle über die sorgfältig gereinigten Herdsteine.

Was brauchte er zu kochen, Weiberdienste zu verrichten, so lange es eine Schänke im Dorfe gab? Mit wuchtigem Schritte kehrte er in’s Zimmer zurück, herausfordernd drückte er den Hut auf seinen Kopf, um in’s Dorf zu gehen und sich zu erkundigen nach alten Bekannten, nach den Männern, mit denen er aufgewachsen war und in deren Gesellschaft er manche Stunde beim schäumenden Bier verbrachte. Indem er aber das Zimmer verlassen wollte, streifte sein Blick das Bett und die über dasselbe ausgebreiteten Kräuter. Spöttisch lachend riß er die Decke herunter, und sie schüttelnd, warf er Alles zu den Binsen auf den Fußboden. Sich dem Bette wieder zukehrend, gewahrte er, daß auch das weiße Laken mit Blättern und Zweiglein bestreut war, und auf dem Kopfpfühl lag ein Kranz von denselben Kräutern, jedoch mit vertrockneten Blumen durchschossen. Finster betrachtete er das augenscheinlich vor Wochen erst erneuerte Gewinde.

Da tauchte Engelid’s Bild wieder in seiner Phantasie auf. Im Geiste sah er sie in schwindelnder Höhe auf schroffen Felsabhängen die Kräuter und die Blumen pflücken, er sah sie dieselben zum Kranze ordnen und endlich sein Lager damit schmücken und schützen gegen häßliches, nagendes Gewürm. Er sah sie, über die Bettstelle hingeneigt, mit leichter Hand Decken, Pfühle und Pflanzen ordnen, sah sie ernst auf ihr Werk niederschauen, sich vielleicht die Zeit vergegenwärtigen, in welcher sein Haupt wieder die Stelle des Kranzes einnehmen würde.

Tiefer runzelte er die Brauen; zögernd streckte er die Hand nach dem Kranze aus. Plötzlich flog das zerbröckelnde Gewinde zur Erde, und ihm nach folgten welke Blätter und Tannennadeln. Immer wieder glitt die flache Hand über das Linnen, bis er endlich kein Stäubchen mehr auf demselben entdeckte.

„Der Teufel mag in dem strengen Dufte schlafen!“ entschuldigte er sich vor sich selber, als es wie ein Gefühl der Scham über ihn kam. Den mißhandelten Kranz konnte er nicht ansehen. Es erwachte die Empfindung in ihm, als hätte er mit dessen Entfernung einen Schlag gerade in Engelid’s Antlitz geführt. Schnell holte er einen Besen herbei und eilfertig begann er Binsen, Blätter, Zweige und Kranz zusammen zu fegen. Auf dem Küchenherd thürmte er Alles über einander und zündete es an. Leicht brannte der ausgedörrte Stoff, und als er in die Flammen schaute, die so lustig emporloderten, da erst wurde ihm leicht um’s Herz; da erst fühlte er, daß er hinfort sicher vor Anwandlungen sein werde, die seinen Sinn umdüsterten.

Noch einmal spähte er in alle Winkel. Nirgends entdeckte er etwas, das ihn an Engelid erinnert hätte, frohen Muthes trat er in’s Freie hinaus und wanderte dem Dorfe zu.

Als er die ersten Häuser erreichte, hatte er seine liebe Noth, bald hier, bald dort die Leute, die in den Thüren erschienen, zu begrüßen und deren freundliches Willkommen nach den vielen langen Jahren mit kräftigem Händedrücken zu lohnen.

Zu vielen Worten und Erklärungen war indessen keine Zeit. Nach der Schänke wollte er gehen, und wer mehr von ihm zu hören und zu sehen wünschte, der mochte ihm folgen und den Nachmittag und den Abend mit ihm verbringen.



4.

Die letzten Lichtbilder hoch oben aus dem senkrecht abfallenden Gestein schoben sich den Plateaurändern zu und verriethen den niedrigen Stand der Sonne – da hätte kaum noch Jemand einen Platz in der großen Gaststube der Schänke gefunden. Dicht geschaart saßen Alt und Jung um den heimgekehrten Nachbarn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_406.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)