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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Finster kehrte er sich dem seltsamen Bau wieder zu. Etwas Gespenstisches lag in diesen engen, niedrigen Säulengängen, deren wunderlich gekerbte Holzträger an Dauerhaftigkeit mit Granit gewetteifert hatten. Die Oeffnungen in den Thürmchen schauten, wie hohle Augen, bedächtig auf den stillen Wanderer nieder, und wie schadenfroh starrten die roh geschnitzten züngelnden Drachenköpfe von jedem Giebel gen Himmel. In Knut regte sich die Empfindung, als wollten die hölzernen Scheusale ihn verhöhnen, weil er einen Schatz, begehrenswerther als alle Wikingerbeute zusammengenommen, in seinen Händen gehalten, aber geringschätzig von sich geworfen hatte.

Es war ihm unheimlich im Schatten der alten Kirche. Er raffte sich auf und schritt auf das Mühlengehöft zu, zuerst langsam, dann schneller und schneller, wie um bald ein Ende mit den Zweifeln zu machen, die ihn nun schon seit beinahe zwei Tagen unablässig folterten. Unbekümmert um die ihn befremdet anstarrenden Arbeiter schritt er dem Hofe zu. Er trat in das Haus, in das Wohnzimmer. Auf der Schwelle blieb er stehen. Ornesen erkannte ihn auf den ersten Blick und rief ihm ein herzliches Willkommen zu. Er hingegen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Engelid noch nicht anwesend, bebte zurück vor der Wandlung, welche im Laufe der letzten Jahre mit dem alten Manne vorgegangen war.

Da saß er, ein gebrochener Greis mit eingefallenen Wangen und dünnem, weißem Haar, auf einem Lehnstuhl, von welchem er sich augenscheinlich ohne fremde Hülfe nicht mehr zu erheben vermochte, und doch leuchtete helle Freude aus seinen trüben Augen, als er Knut’s ansichtig wurde und dieser endlich vor ihn hintrat und die ihm gereichte hagere Hand drückte.

Knut setzte sich neben ihn. Nachdem sie die ersten Begrüßungsfragen und Antworten ausgetauscht hatten, vermochte er nicht länger mit dem an sich zu halten, was sein Herz bis zum Zerspringen erfüllte.

„Ja, ich finde Dich verändert,“ gab er auf des Müllers traurige Fragen zu, „wenigstens anders, als ich erwartete Dich zu finden. Alle die langen Jahre hindurch in der Fremde hielt ich für möglich; daß Du Dir wieder ein Weib genommen haben möchtest, und da ich wußte, daß Du eine große Vorliebe für die Engelid hegtest –“

„Ja, ja, Knut, ich bot ihr an, meine Frau zu werden, die Frau eines alten Mannes freilich, aber auch seine Erbin, und war erstaunt, zu erfahren, daß sie einen Liebsten habe, dem sie treu bleiben wolle bis in den Tod.“

„Das sagte sie?“ fragte Knut fast athemlos vor Spannung.

„Ja, Knut,“ fuhr Ornesen fort, „und Mehr noch erstaunte ich, als sie Deinen Namen nannte und betheuerte, Du würdest zurückkehren und ihr Glück voll machen. O, ich achte das Mädchen hoch, und wer hätte nicht an ihr geachtet, daß sie, um allen Freiern aus dem Wege zu gehen, plötzlich aus der Gegend verschwand, daß die Leute glaubten, ein Unglück habe sie betroffen? Nur mir allein hatte sie anvertraut, wohin sie ging, und mir’s Wort abgenommen, darüber zu schweigen, damit Niemand sie aufsuche, und mein Versprechen hielt ich rechtschaffen vor Jedermann. Mit Dir ist’s ein Anderes; Du hast ein Recht, es zu erfahren; sie gebot, mir sogar, Dir den Weg zu zeigen, wenn Du sie noch nicht gefunden haben solltest. Zum alten Olaf, dem Spieler, wollte sie ziehen, auf die einsame Schäreninsel, um Dir dort ihre Liebe und Trauer ungestört zu bewahren. Ja, Knut, das ehrte ich an ihr, und wie’s mit mir stand, erfuhr sie wohl nie in ihrer Einsamkeit; sie wäre sonst gekommen, um nach mir zu sehen und ein paar freundliche Trostesworte an mich zu richten. Doch das ändert nichts an der Sache, und daß Du heimgekehrt bist, preise ich als ein Glück, schon allein um des treuen Mädchens willen.“

Aufmerksam hatte Knut den Worten des alten Mannes gelauscht, und als er endigte, hob er mit eigenthümlich zitternder Stimme an:

„Aber wie, wenn’s mit der Engelid’ und mir nichts wäre, sie sich dennoch in den Kopf gesetzt hätte, Dir eine treue Pflegerin zu sein?“

Ornesen blickte Knut mit seinen trüben Augen durchdringend an. Helle Freude leuchtete aus denselben, indem er nachdenklich sprach:

„Eine treue Pflegerin mag sie mir sein, Knut, aber nicht als meine Frau! Denn ich will mich an dem Mädchen nicht versündigen. Ja, das sollte mir ein rechter Herzenstrost sein, und da in meinem Hause noch Raum, für Dich wäre, und ich Jemand gebrauche, zum Rechten zu sehen, möchtest Du Dein Heimwesen im Lyster-Fjord d’rangeben und mit der Engelid Hochzeit machen, je eher, um so lieber!“

„Ich frage zum anderen Mal, Ornesen: wenn’s trotzdem mit der Engelid und mir nichts wäre?“

„Nach zehn langen Jahren des Wartens sollte es vorbei mit Euch sein? Ich glaub’s nicht, Knut. Doch sag’, wollt’ sie Dich damals nehmen?“

„Nun ja, aber damals war’s kein ordentliches Versprechen. Ob sie heut so denkt – wer weiß? Ich bin ein ernster mürrischer Mann geworden beim Seefahren, und das Lachen fällt mir schwer.“

„So gehört Ihr um so sicherer zu einander, Knut; denn die Engelid ist ebenfalls kein Kind mehr, und in der langen Einsamkeit mag auch ihr der Muthwille vergangen sein. Schon damals sprach aus ihren Augen ein rechter Mannesmuth. Doch bring mir das Mädchen, damit ich sehe, ob es sich veränderte!“

Knut blickte vor sich nieder. Die letzten Sonnenstrahlen waren nach den Plateaus hinaufgeglitten. Dort lagerten sie wohl noch ein Weilchen, bis das bereits unten im Thal herrschende feuchte Zwielicht ihnen nachfolgte. Bei jedem Geräusch, welches auf dem Gehöft hörbar wurde, bebte Knut erschrocken zusammen. In jedem Augenblick erwartete er, Engelid eintreten zu sehen, und dieser Gedanke beängstigte ihn.

„Ich muß hinaus,“ brach er nach einer längeren Pause, während welcher Ornesen ihn befremdet beobachtet hatte, das Schweigen, „bin nämlich über die Höhen gekommen, und der Kopf brennt mir vom schweren Steigen. Bin es nicht mehr gewohnt, wie früher. Ist Dir’s recht, kehr’ ich zur Nacht zurück, um mit Dir Brod und Salz zu essen und unter Deinem Dache zu schlafen.“

Nach kurzem Gruße trat er auf den Hof hinaus und auf einem Seitenwege begab er sich nach der Holzkirche hinüber. Dort setzte er sich hart an der Straße auf die Einfriedigungsmauer; denn hatte Engelid die Reise das Lärdal hinauf angetreten, so mußte sie, bevor sie nach dem Mühlengehöft abbog, hier dicht vor ihm vorüberschreiten.


(Schluß folgt.)





Die Schwäne.

      Die ihr vor mir, schöne Schwäne,
Auf der Wogen Fluth euch wiegt,
Silbern schimmert eu’r Gefieder,
Doch in eurer Brust der Lieder

5
Süßer Quell, den der Hellene

Oft gepriesen, ist versiegt.

      Einst am Strome des Kaÿster,[WS 1]
Wo die Sonne heller tagt
Und der göttlichen Geschwister

10
Tempel zwischen Myrthen ragt,

Lieblich tönten eure Stimmen
Zu der Musen Saitenspiel,
Wenn des Frühroths erstes Glimmen
Durch die Cedernwipfel fiel.

15
Hin mit Steigen und mit Schwellen

Glitt eu’r Hymnus auf den Wellen,
Sel’ge Lieblinge Apoll’s!
Horch! Und an den Flußgestaden
Ringsum von der Oreaden[WS 2]

20
Lippen wie Gebethauch quoll’s.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kaÿster: Fluß im damaligen Lydien, siehe RE:Kaystros 1
  2. Oreaden: Bergnymphen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_410.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)