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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Die deutschen Revuen.

Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Zeitungswesens.
Von Ludwig Salomon.

Wer heute einmal einen wenn auch noch so flüchtigen Blick auf die deutschen Zeitungen und Zeitschriften wirft, die alltäglich durch Post und Buchhandel versendet werden, der erstaunt unwillkürlich über die Unmasse von Blättern, mit denen fort und fort das Publicum überschüttet wird; sein Erstaunen wird aber noch wachsen, wenn er sich dabei vergegenwärtigt, wie jung diese gesammte deutsche Zeitungsliteratur noch ist und in wie kurzer Zeit sie sich zu dieser Ueppigkeit entfaltet hat. Erst seit dem Beginn dieses Jahrhunderts erscheinen deutsche politische Zeitungen von einiger Bedeutung; erst seit dem Anfange der vierziger Jahre tauchten nach und nach alle die verschiedenen illustrirten Blätter auf, die jetzt so mannigfache Bildung in alle Schichten des Volkes tragen, und erst mit dem Ende der fünfziger Jahre erscheinen die sogenannten Revuen, jene Zeitschriften, welche die höchsten Ziele verfolgen, die da bestrebt sind, der Ausdruck der gesammten geistigen Bewegung zu sein. Doch gingen diesen bereits verschiedene Zeitschriften voraus, die als die Vorläufer der Revuen bezeichnet werden können. Es sind dies hauptsächlich das Cotta’sche „Morgenblatt“, die „Europa“, die „Hallischen“, später „Deutschen Jahrbücher“ und die „Grenzboten“. – Das Cotta’sche „Morgenblatt war, wenn man so sagen darf, das warmherzigste Blatt seiner Zeit. Die schwäbischen Poeten standen sämmtlich in den innigsten Beziehungen zu ihm; verschiedene unter ihnen, wie Gustav Schwab, Gustav Pfizer und Hermann Hauff, der Bruder Wilhelm Hauff’s, waren viele Jahre Redacteure desselben, und die übrigen, besonders Hermann Kurz, Friedrich Notter, Ludwig Seeger, J. G. Fischer und Ottilie Wildermuth, lieferten dem Blatte zahlreiche Beiträge. Von den sonstigen deutschen Dichtern zählten besonders Freiligrath, Gottfried Kinkel, der Sänger der Griechenlieder Wilhelm Müller und die Oesterreicher Lenau und Anastasius Grün zu den Mitarbeitern des „Morgenblattes“. Hervorgegangen war dasselbe aus sehr kleinen Verhältnissen. Seit dem Jahre 1800 erschienen bei dem intelligenten Verleger unserer Classiker, J. F. Cotta in Stuttgart, „Englische Miscellen“, sodann von 1803 ab „Miscellen aus Frankreich“ und nach 1804 „Italienische Miscellen“; dieselben kamen in monatlichen Heften heraus und suchten eine Revue der gelehrten, literarischen, artistischen und mercantilischen Bestrebungen und Fortschritte Englands, Frankreichs und Italiens zu bieten, fanden aber beim großen Publicum wenig Beachtung, sodaß Cotta 1807 die drei Unternehmen in eines verschmolz, diesem einen allgemeineren Charakter gab und es „Morgenblatt“ nannte. Später fügte er demselben noch ein „Kunst-“ und ein „Literaturblatt“ bei, welches letztere von 1820 an viele Jahrzehnte hindurch der bekannte geistreiche, aber einseitige und leidenschaftliche Wolfgang Menzel redigirte. Bis zum 1. Juni 1851 erschien das „Morgenblatt“ täglich in Nummern, vom 1. Juli jenes Jahres ab wöchentlich in Heften, bis es 1865 aus Mangel an Theilnahme einging. Unter allen seinen Redacteuren war das „Morgenblatt“ ein geistig vornehmes und immer maßvolles Journal; nur das „Literaturblatt“ lärmte und zeterte bisweilen. Während Schwab, Pfizer, Hauff sich möglichster Objectivität beflissen, stellte sich Menzel mehr und mehr auf die Seite der Romantiker und trat in Folge dessen besonders dem „Jungen Deutschland“, vornehmlich Gutzkow, feindlich gegenüber. Seine Blüthezeit erlebte das „Morgenblatt“ in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren, in welcher Zeit es von allen Gebildeten Deutschlands gelesen wurde – nebenbei bemerkt, auch von der Mutter des Fürsten Bismarck, welcher der jugendliche Otto wiederholt lange Aufsätze und Kritiken daraus vorlesen mußte, nicht gerade zu seinem Ergötzen, wie er später einmal gegen Menzel bemerkte.

Die Burschenschafts-Fahne,
die erste schwarz-roth-goldne Fahne Deutschlands.

Das Burschenschafts-Schwert.

Ein ganz anderer Geist wehte in der Wochenschrift „Europa“; hier tummelte sich das „Junge Deutschland“. Statt der schlichten Herzensäußerungen der schwäbischen Dichter gab es hier politische Programme, heftige Raisonnements, Kampf- und Streitreden, statt der sorgfältig ausgeschliffenen, wohllautenden, ruhigen Sprache eines Hauff und Schwab ertönte hier der derbe Kriegston, der beißende Witz und die Malice. Bei Allem, was geboten und beurtheilt wurde, war die Gesinnung die Hauptsache; erst wenn man den Tendenzwerth einer Dichtung erörtert hatte, kam man auf den Kunstwerth derselben zu sprechen. Die nationale Sache, die „Rettung der Gesellschaft“ war eben einzig und allein das Thema, das alle diese jungen Stürmer erfüllte und vor dem alles Andere bei Seite geschoben wurde. Gegründet wurde die „Europa“ von dem abenteuerlichen August Lewald 1835 zu Stuttgart; doch erhielt sie erst ihre Bedeutung, als sie 1846 Gustav Kühne, einer der Hauptvertreter des „Jungen Deutschland“, käuflich erwarb und nun in Leipzig, dem damaligen Sammelpunkte aller aufstrebenden jüngern Geister, herausgab. Um Kühne schaarte sich schnell eine große Anzahl sehr tüchtiger Mitarbeiter, so Berthold Auerbach, Theodor Mundt, Heinrich König, Robert Blum, Karl Beck, Moritz Hartmann, Johannes Nordmann, Joseph Rank, und so war es ganz natürlich, daß die „Europa“ überall, wo man sich den neuen Ideen zuwendete, wo man für die vollständige Freiheit des Individuums, die Emancipation der Frauen, das deutsche Parlament schwärmte, gehalten und eifrig gelesen wurde. Allein als der beklagenswerthe Mißerfolg von 1848 hereinbrach, sich eine bleierne Reaktion auf alle deutschen Länder legte und der Mitarbeiterkreis der „Europa“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_413.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)