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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„L’éspousée a bien quenouille et fuseau,
Mais de chanvre, hélas! pas un écheveau.
Pourra-t-elle donc filer son trousseau?“

(„Die junge Frau hat wohl Rocken und Spindel, aber leider! keinen Strähn Hanf. Wird sie denn ihre Aussteuer spinnen können?“)

Die zweite empfängt die Spenden in einem Becher der Neuvermählten; die dritte schenkt den freigebigen Gästen zu trinken ein; die vierte wischt mit einer Serviette den Trinkern den Mund ab, auf welchen die letzte, gewöhnlich die hübscheste, zum Danke einen Kuß drückt.

Am letzten Tage der Hochzeit giebt es einen drolligen Spaß. Auf eine Stange wird ein Steinkrug gestülpt; die Gäste gehen nun mit verbundenen Augen und einen Stock in der Hand auf den Topf zu, um ihn mit einem Schlage zu zertrümmern; wer so glücklich ist, hat das Recht, die junge Frau zu küssen; wem es mißlingt, der muß sich auf einen Thron von Laubwerk setzen; man schenkt ihm zu trinken ein, und Jeder thut, als ob er mit ihm anstieße. Er muß nun so lange trinken, bis es ihm gelungen ist, an das Glas eines der Necker zu stoßen, der dann seine Stelle einnimmt, bis auch dieser wieder abgelöst wird.

Eine andere Gegend, wo das Landvolk noch mancherlei Eigenthümlichkeit in Gebräuchen und Aberglauben bewahrt hat, ist das Bourbonnais, welches jetzt das Departement des Allier mit der Hauptstadt Moulins bildet und im Süden an die Auvergne grenzt. Ein Händedruck auf dem Tanze des „Apport“ (so werden hier die Volksfeste oder Kirmsen genannt), den die Hand des anderen Theiles erwiedert hat, ist gewöhnlich die Einleitung zur künftigen Ehe. Einige Zeit nach dem Händedruck kommt eines Sonntagsmorgens der Freier in Begleitung einer Mittelsperson zu den Eltern der Begehrten. Gleich nach der Ankunft wird die Pfanne in’s Feuer gethan; bäckt man nur einen Eierkuchen, so ist es so gut wie gewiß, daß die Werbung vergeblich ist, wird aber ein feineres Gebäck, des beignets (Aepfelschnittchen), bereitet oder giebt man gar dem jungen Galan den Pfannenstiel einen Augenblick zu halten, dann ist sein Gesuch angenommen; er kann sich als ein Glied des Hauses betrachten.

Am Tage vor der Hochzeit hört man draußen eine Sackpfeife dudeln; das Herz der Braut schlägt lauter unter dem rauhen Mieder. In der That sind es die jungen Bursche aus dem Dorfe, die dem Bräutigam das Geleit geben; derselbe überbringt seine Geschenke und kommt das Hemd abzuholen, das er aus den Händen seiner Verlobten erhalten soll. Aber das Herkommen hat seine Gesetze; man tritt nicht so ohne Weiteres bei den Eltern der Tochter ein. Die Thür ist verschlossen; man muß mit der Sackpfeife anklopfen, mit nichts Anderem, und dabei folgende Verse absingen, bei denen, wie bei aller Dorfpoesie, die Regeln der Kunst wenig beachtet werden:

„Ouvrez, ouvrez la porte,
Françoise, ma mignonne!
De beaux cadeaux à vous présenter
Hélas! ma mie, laissez-nous entrer!“

(„Mach’ auf, mach’ auf die Thür, Françoise, mein Liebchen! Schöne Geschenke Dir darzureichen, Ach! meine Liebste, laß’ uns ein!“)

Weibliche Stimmen antworten von innen:

„Moi, vous laisser entrer?
Je ne saurais le faire;
Mon père est en colère!
Ma mère est en tristesse;
Une fille d’aussi grand prix
N’ouvre pas la porte à ces heures-ci.“

(„Ich, Euch einlassen? Das kann ich nicht; Mein Vater ist aufgebracht, Meine Mutter traurig; Ein Mädchen von so großem Werth Oeffnet die Thür nicht zu dieser Stunde.“)

Nun beginnen die Burschen wieder zu singen und zählen alle Geschenke auf, die sie mitbringen: Bänder, ein Taschentuch, einen Ring, eine Schürze. Aber die bösen Mädchen bleiben unbeugsam, bis die jungen Leute draußen singen: „Un jeune garçon à vous présenter, einen jungen Burschen überbringen wir Euch.“ Bei diesem bestimmten Worte öffnet sich, dem Herkommen gemäß, die Thür, „denn das ist ja die größte Freude, auf die ein Mädchen hoffen kann“, und die lustige Schaar dringt ein. Aber die Mädchen haben sich unter ein Tuch versteckt; der Bräutigam muß seine Braut errathen und die Hand auf sie legen, sonst wird er den ganzen Abend von ihr fern gehalten. Allein selten irrt sich der verliebte Forscher, aus dem einfachen Grunde, weil zwei für den Irrthum büßen würden: ein Finger, der durch das Tuch hindurch in das Knie kneipt, ein leichter Tritt auf den Fuß, ein leises Lachen, das man erkennen muß, kommen dem Sucher immer zu Hülfe.

Am andern Tage wartet man auf die Neuvermählten, wenn sie aus der Kirche kommen, mit einer Schüssel voll Suppe, von der sie zum Zeichen ihrer nunmehrigen Gemeinschaft mit demselben Löffel kosten müssen. Aber die ländliche Bosheit hat eine starke Dosis Pfeffer in dieses erste eheliche Gericht gemengt – ein schlechter Spaß, welcher der jungen Frau zuweilen ein paar Stunden Husten verursacht. Wenn nun die Neuvermählte bei der Heimkehr über die Thürschwelle tritt, muß sie von jedem der anwesenden jungen Burschen einen Kuß annehmen.

Die Hochzeitsmahlzeiten sind hier, wie überall aus dem Dorfe, massenhafte Schmausereien. Wenn die Nacht kommt, gehen die Meisten auf den Heuboden (hier Chambarat genannt) schlafen; die jungen Burschen erlauben sich aber noch einen Spaß, der über die Derbheit hinausgeht, unlängst noch bestanden hat und nunmehr hoffentlich gänzlich verschwindet: sie bringen den Neuvermählten la rôtie (geröstete Brodschnitte) an’s Bett, das heißt die letztern müssen sich in einem Milchgefäße die Hände waschen und eine Tasse Glühwein austrinken, wobei ihnen Federn in’s Gesicht geblasen werden und dasselbe mit Kohle geschwärzt wird. Zuweilen setzt der Ehemann sich zur Wehr, und die Festfreude endet mit einer Schlägerei.

Am Tage nach der Hochzeit wird „der Kohl gepflanzt“. Die jungen Leute bringen einen mit Blumen geschmückten Kohlkopf, stellen ihn auf den Dachgiebel und bleiben dabei. Andere, die den Titel „Gensd’armen“ führen und einen Gürtel von Strohhalmen tragen, halten in der Hand das Ende eines Strickes, dessen anderes Ende an den Kohlkopf gebunden ist; soweit es ihnen nun die Länge des Strickes erlaubt, laufen sie den Mädchen nach, die zur Hochzeit gehören und bald ihnen entfliehen, bald sie necken. Diejenigen, welche nicht flink genug sind und erhascht werden, werden unter das Dach geführt und von den Kohlwächtern auf dem Dache mit Wasser begossen.

Die alten Leute, die dieses Gelärme satt haben, haben sich schon bei Zeiten wieder an den Zechtisch gesetzt und singen:

„Nos chevaux sont à la porte,
Tout sellés, tout bridés,
Que le diable les emporte,
Je ne veux point m’en aller.“

(„Unsere Pferde stehen vor der Thür, Gesattelt und gezäumt; Der Teufel soll sie holen; Ich will nicht fort von hier.“)

Endlich entschließt man sich doch abzuziehen, aber gewöhnlich erst, wenn die Fässer leer sind.

Das anmuthige Bild, das dieser Skizze beigegeben ist, führt uns eine Scene aus der Normandie vor; die junge Braut läßt sich in einem Kramladen das Hochzeitskleid anmessen; die Scene bedarf keiner Erläuterung. Aber von den in der Normandie herrschenden Gebräuchen wollen wir noch zum Schlusse reden.

Die Normandie, deren Hauptstadt Rouen ist, bildet jetzt fünf Departements, die untere Seine, die Eure, das Calvados, die Manche und die Orne. Der Aepfelwein (le cidre) ersetzt hier den Wein; die Einwohner gelten für schlau und rechthaberisch.

In der obern Normandie halten gewöhnlich die Eltern oder die Freier selbst um das Mädchen an, in der Niedernormandie geschieht dies immer durch Mittelspersonen. Der Aberglaube spielt auch hier seine Rolle. Die alten Weiber im Bezirke von Pont-Audemer (Eure) wissen von manchen Hindernissen zu erzählen, auf die ein Mädchen stoßen kann, das sich unter die Haube sehnt. Tritt z. B. ihr Fuß aus Versehen auf den Schwanz einer Katze, so wird sie unter sieben Jahren keinen Freier finden; tritt sie dem Thiere auf die Pfote, so hat sie sich drei Jahre zu gedulden. Man kann sich daher denken, daß die weibliche Jugend sich das Katzengeschlecht fern vom Leibe hält. Und wie ängstlich überwacht das Mädchen in der Normandie die Wärme des Wassers, mit dem das Geschirr ausgewaschen wird! Denn kommt es zum Sieden, so ist lange an kein Heirathen zu denken.

Der Hochzeitszug zur Mairie (Standesamt) geht paarweise, eine Fiedel voran, wie in Nantes, und unter Flinten- und Pistolenschüssen. In den meisten Orten werden bei dem Feste die Straßen gesperrt, d. h. man zieht über die Straße ein Seil, an dem Bänder und Blumen befestigt sind; der Durchgang wird durch ein Geldgeschenk erkauft. In Quillebeuf an der Seine herrschte ein sonderbarer Gebrauch, der noch nicht ganz abgekommen ist: nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_419.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2023)