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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

der Trauung begaben sich einige Gäste nach der Wohnung des Gatten, während die Neuvermählte zurückblieb; sie kam nach, klopfte an die Thür und bat um die Erlaubniß, einzutreten, um sich so dem Spruche zu unterwerfen: „und er soll Dein Herr sein.“

Ein besonderer Gebrauch im Departement der Orne ist folgender: Der junge Mann nimmt nicht Theil an der Festmahlzeit; er hat vielmehr die Gesellschaft zu bedienen und theilt die Strapazen mit dem Koche. Alle Ehre wird der Frau erwiesen, die in der Mitte einer hufeisenförmigen Tafel sitzt; ihr Stuhl ist mit weißem Linnen bedeckt und mit drei Blumensträußen geschmückt; hinter ihr fällt ein weißes Tuch als Teppich herab. Die Bewirthung der Gäste ist reichlich, und man unterbricht die Mahlzeiten nur, um zu tanzen. Die Strumpfbänder der Braut werden hier noch in Wirklichkeit von dem jüngsten Gaste der Braut gelöst und dann zerschnitten und vertheilt. Jener gar zu derbe Gebrauch, den wir unter dem Namen la rôtie im Bourbonnais gefunden haben, existirt auch in der Normandie, aber er ist auf den andern Morgen verschoben, doch Federn und Kohle spielen hier keine Rolle.

Ueberall in der Normandie vereinigen sich die Gäste noch einmal am Sonntage nach der Hochzeit, um zu Ehren der Neuvermählten lustig zu sein. Im Departement der Orne nennt man dies „die Katze peitschen, fouetter le chat“, in der obern Normandie „faire le raccroc (der glückliche Nachschub)“, oder auch „manger la paille du lit de la bru (das Bettstroh der Schwiegertochter essen)“.

Die ursprünglichen Sitten aller Völker hatten etwas Derbes, Rauhes; mit der Verfeinerung wird das Rauhe roh gefunden. Die große Abgeschlossenheit einzelner Provinzen, besonders der Dörfer, hat in Frankreich, wie wir im Bourbonnais und in der Normandie sahen, noch Gebräuche aufbewahrt, die mit dem besseren Geschmacke im Widerspruche stehen. Aber das Dampfroß, das schon Aufklärung in die alte Vendée gebracht hat, wird auch diesen letzten Rest mittelalterlich derber, ungenirter Eigenthümlichkeit beseitigen. Leider fällt damit freilich auch mancher gute und poetische Zug des Volksthums; ist doch schon die Anhänglichkeit an der Väter Brauch ein sittliches Moment. Nur Eines bleibt unvergänglich: die Liebe, der irdische Traum vom Paradiese; denn wie sich alljährlich im Lenze die Natur erneut, so erneut sich mit jedem jungen Geschlechte die Menschheit, und das Pfingstfest der Liebenden ist die Hochzeit. Die Formen und Gebräuche dabei wechseln, aber der Genius, der die Paare beseelt, war und ist überall derselbe: der heilige Geist der Liebe.




Blätter und Blüthen.


Am Johannistag. (Mit Abbildung S. 409.) Keine Zeit des Jahres hat zu so vielerlei Festen bei so verschiedenen Völkern Veranlassung gegeben, wie die der Sonnenwenden und namentlich die Sommer-Sonnenwende, die seit dem neuen Kalender auf den 24. Juni fällt und seit etwa dem fünften Jahrhundert des Christenthums dem Täufer Johannes geweiht ist.

Alle Feste des Sonnenwendetags sind vorchristlichen Ursprungs und durch das Christenthum nur umgewandelt, umgedeutet und mit kirchlichen Zuthaten versehen worden. Wie viel von dem an diesem Tage und seiner Nacht besonders reich gepflegten Aberglauben beiden Zeitperioden zufällt, ist nicht immer zu ermitteln; in welcher Weise jene Umdeutung geschah, ersehen wir aus der des alten Sonnenwendfeuers. Als „Johannisfeuer“ sollte es auf die Einäscherung der Stadt Sebaste, wohin man das Grab Johannis des Täufers verlegt, und auf die vom Kaiser Julian befohlene Verbrennung der Gebeine desselben, der Blumenschmuck der Gräber an diesem Tage aber auf seinen Märtyrertod hinweisen, obwohl die Feuer auf den Bergen schon Jahrhunderte vorher geleuchtet hatten und die Sonnwendkränze sicher den alten Festen nicht fremd waren.

Wohin wir in unserem Vaterlande blicken, überall zeichnet den Johannistag irgend etwas Besonderes aus. Ein Feiertag des Volkes ist er auch da, wo die Kirchen, wie in den protestantischen Ländern, sich ihm nicht mehr öffnen. Und da es Feiertag ist, so muß auch Etwas getrieben werden.

Die „Gartenlaube“ hat den hervorragendsten Festen und Bräuchen dieses Tages bereits ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Sie hat ihre Leser zur Morgenfeier auf die Friedhöfe von Leipzig geführt (1861, S. 461) und sie (1868, S. 396) die Kölner Frauenwelt am Wasser belauschen lassen, und ebenso ließ sie ihnen die Johannisfeuer in Partenkirchen (1867, S. 168) und (1868, S. 381) das Sonnenwendfeuer auf dem Wendelstein leuchten. Wir begegnen daher auf unserer heutigen Abbildung, den Kinderfestzug und -Tanz ausgenommen, nur Bekanntem, wenden ihm aber dennoch noch einmal unsere Theilnahme zu.

Auch unser Bild öffnet uns zuerst die Friedhofspforte. Es giebt wohl wenige Menschen, die heute gar keines Grabes zu gedenken haben, ob in der Nähe oder in der Ferne. Aber auch Diejenigen, welche keinen Kranz tragen, fühlen sich in gehobener Stimmung vor den tausend Zeichen der Trauer und der Liebe bei dem Anschauen der Feier, die der Ehre der Todten geweiht und den Herzen der Trauernden so heilig ist. – Ein solcher Morgen sollte auch dem kleinsten Friedhofe nicht fehlen! Eine gemeinsame Trauer für die Todten veredelt die Lebenden. Wer Empfänglichkeit für das Erhabenste in der Volksseele sucht, hier wäre es zu finden, – auch für die Kirche.

Dagegen wäre zu wünschen, daß Geistlichkeit und Beamtenthum die Kinder- und Volksfeste, zu denen unser Bild uns führt, weniger oder mit milderem, freierem Sinne in ihre Obhut genommen hätten. Wir sehen einen Schulfestzug und fröhlichen Kinderreigen. Die alten Kinderfeste, ob Gregorius-, Bischofsfeste oder sonst wie genannt, und ob sie am 12. Mai, Pfingsten oder zu Johanni begangen worden, die sonst eine große Verbreitung in deutschen Städten und Ortschaften hatten, hat man leider nicht überall mit gleicher Liebe gepflegt; sie sind vielfach ihrem geschichtlichen Ursprung entfremdet, ihres sinnigen, äußeren Schmuckes beraubt, von bunten, drolligen Festaufzügen zu einfachen Spaziergängen zusammengeschrumpft oder ganz eingegangen. Und hat man überall den Kindern Besseres dafür geboten? Es wäre der Mühe werth, darnach zu forschen.

Noch strenger verfuhr man allenthalben gegen manche Volksfeste, und ganz besonders hatten die Johannisfeste schon frühe unter den Verboten der hochmögenden Herren zu leiden. Wie das Urtheil gründlicher Volkskenner und wahrer Volksfreunde über solche Verbote und Beschränkungen lautet, mögen drei Stimmen hier aussprechen.

G. Brückner, der Thüringer Volkskundige, sagt: „Unsere Volksfeste sind wichtige Pulse des Lebens, die ebenso sehr dem Aberglauben als der geselligen Heiterkeit oder dem Mitleid, ebenso sehr dem bänglichen, dunklen als dem lichten, heitern Gefühle erneuernde Kraft geben.“

Der Freiherr von Reinsberg-Düringsfeld erkennt (in Meyer’s Conversations-Lexicon) als eine Ursache des Niederganges so vieler Volksfeste „zum Theil den mißverstandenen Eifer der Geistlichkeit und Polizei, Volksbelustigungen zu verbieten, weil sie hin und wieder zu Ausschreitungen führen, ohne zu bedenken, daß gerade Volksfeste das fruchtreichste Beförderungsmittel der geselligen Tugenden und der sittlichen Bildung eines Volkes und ein mächtiger Hebel der Vaterlandsliebe sind.“

Und der alte Schmeller erkannte schon vor fünfzig Jahren namentlich in den Festen der Sonnenwende im Gebirg: „Harmlose Freude, zwar nicht eben durch die Religion des Landes, aber gewissermaßen durch die der Welt und ein unfürdenkliches Herkommen geheiligt, unverabredet und ungeboten, und darum alle engherzigen Verbote von heute und morgen überlebend. Manches Abergläubische, was mit vorkommt, ist wenigstens ebenso unschädlich als hundert andere Dinge, die der gemeine Mann zu glauben hat.“ – –

Wenn wir auf die großen Nationalfeste zurückblicken, während welcher man mit Stolz ausrufen konnte: „Gottlob, hier ist kein Pöbel!“ – und nun, nach kaum zwanzig Jahren, mit Schrecken die steigende Verrohung in nicht geringen Volkskreisen erblicken, so darf man wohl die Frage aufwerfen, ob an dieser traurigsten Erscheinung der Gegenwart nicht auch der Mangel an wahrhaft erhebenden Volksfesten – dem Uebermaß von Humanität gegen das Strolchenthum und von gemeinen Vergnügungsgelegenheiten gegenüber – einen Theil von Mitschuld trage.

Erhalten, ergänzen, veredeln wir unsere Volksfeste! Der Segen derselben wird nicht ausbleiben. Fr. Hfm.     


Kleiner Briefkasten.

Bruno Hielscher. Wer hat, ohne seine Namensangabe, nach diesem „Vermißten“ gefragt? Alle anonymen Einsendungen bleiben unberücksichtigt – wie sich von selbst verstehen sollte und wie nun schon so oft gesagt worden ist.

H. B. Wenden Sie sich gefälligst an die Redaction der „Industrie-Blätter“ in Berlin!

W. G. 100. Wiederholen Sie gütigst Ihre Frage unter Angabe Ihrer vollen Adresse!

E. C. Prosa-Einsendungen willkommen! Gedicht unbrauchbar!



Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere. Die Verlagshandlung. 



Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_420.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)