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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Nein, Knut, so hab’ ich’s nicht aufgefaßt. Als ich hörte, daß Du im Kreise alter Freunde das Wiedersehen feiertest, fuhr’s mir durch den Kopf, daß Du wohl spät heimkehren möchtest und kein Licht fändest. Ich ging daher, Dir Alles zur Hand zu stellen für die erste Nacht. Und dann – ich hatte den Kranz auf Dein Kopfkissen gelegt, und das geschah zu einer Zeit – mich hindert ja nichts mehr, frei darüber zu sprechen – als ich noch an unsere gemeinschaftliche Zukunft glaubte, den aber wollt’ ich entfernen, bevor Du ihn fändest. Leider war’s zu spät. Du hattest ihn verbrannt, ebenso die Blätter und Zweiglein, sonst wär’s von mir geschehen, denn der Duft war zu strenge, um dabei zu schlafen, ohne im Kopf benommen zu werden. Das ist Alles, Knut. Hättest deshalb den beschwerlichen Weg über die Berge nicht zu machen brauchen.“

Knut, welcher Engelid’s Hand noch immer hielt, hatte die gleichsam willenlos Folgende nach der Mauer zurückgeführt, wo er sie neben sich auf einen Stein zog.

„So glaubst Du nicht,“ fragte er zaghaft, „daß auch noch andere Dinge mir keine Ruhe ließen, bis ich Dir wieder begegnete? Glaubst wohl gar, daß in den langen Jahren des Seefahrens mein Herz so hart geworden, wie der Stein, auf welchem wir hier sitzen, und daß es mir einerlei, ob Du Dich einem zwar guten, aber kranken, hinfälligen Greise zu eigen giebst?“

Da richtete Engelid sich ein wenig höher auf, und mit eigenthümlicher Festigkeit sagte sie:

„Ist er krank und hinfällig, so soll es mir eine Freude sein, ihm seinen Lebensrest so erträglich und bequem wie möglich zu gestalten.“

„Auch dann, wenn er sich standhaft weigert, Dein junges frisches Leben durch den Segen des Herrn Pfarrers an sein Krankenbett zu fesseln?“

„Auch dann, Knut, und zwar um so lieber, weil’s nicht den Verdacht erweckt, als hätte ich irgend einen Vortheil von ihm erwartet. Stirbt er und ich bin wieder allein, so steht meine Schärenhütte auf, in welcher der Nielsen so lange zum Rechten sehen mag.“

„Aber wie, Engelid – ich wag’s kaum auszusprechen – wenn ich mich selber und Dich getäuscht hätte? Wenn ich Dich bäte: vergiß meine Härte beim ersten Wiedersehen und die Verbitterung, die ich von draußen mit hereinbrachte, vergiß, daß ich Dich kränkte! Komm, Engelid, das Wort, welches ich Dir einst bei Spiel und Tanz gedankenlos gab, es soll mir heilig sein. Komm, Engelid, ziehe mit mir in mein Haus ein, wie’s Dir vorschwebte alle die langen Jahre hindurch –“

„Nein, Knut, nicht weiter!“ bat Engelid freundlich, jedoch entschlossen und ohne ihm die Hand zu entziehen, „wenn Du das, was Du eben sagtest, mit heiligen Eiden bekräftigtest, so würde ich Dir antworten. Nicht auf der Schäreninsel, nicht auf der Fahrt nach dem Lyster-Fjord und in Deinem Hause täuschtest Du Dich über Dich selbst – nein, Knut, ich las es in Deinen Augen, hörte es aus Deiner Stimme – mögen Worte nicht immer zuverlässig sein. Jetzt aber in dieser Stunde täuschest Du Dich. Es ist nur Freundschaft, was aus Dir spricht. In Deiner Freundschaft bemitleidest Du mich. Du glaubst, ich ginge einem trüben Schicksal entgegen. Das aber wäre keine Bürgschaft für unsere beiderseitige Zufriedenheit. Das Gefühl, nur aus Mitleid an Deinem Herde geduldet zu werden, würde mich nie verlassen. Ich würde unglücklich sein und damit Dein eigen Glück in den Staub ziehen. Doch laß uns nicht weiter darüber reden! Ich fühle mich ruhig in meinem Gewissen. Ist’s aber kein glänzendes Sonnenlicht, das mir auf meinem Lebenswege leuchtet – nun, so mag’s der milde Schein des Nordlichts sein, wie er unsere langen Winternächte oft genug erhellt. Du hingegen findest anderweitig ein dauerndes Glück – das bezweifle ich nicht, und höre ich jemals davon, soll’s mir sein wie ein goldener Strahl, der sich in unsere düsteren Fjorde verirrt.“

Sie wollte sich erheben, als Knut sie mit sanfter Gewalt zurückhielt.

„Höre nur noch ein Wort, Engelid!“ hob er erregt an, „höre mich so aufmerksam an, wie ich Deiner Erklärung lauschte! Dann magst Du selber urtheilen ob ich’s verdiene, nach den vielen Jahren und nachdem ich die Heimath kaum betrat, wieder hinausgetrieben zu werden. Im langen Verkehr mit rauhen Gesellen mag ich selber rauh geworden sein, mag eigensinnig an dem einmal ausgesprochenen Wort, und wär’s noch so unbesonnen, hängen, als wäre ich damit verwachsen, aber falsch und lieblos bin ich nicht geworden, Engelid. Als Du mich auf der Schäreninsel begrüßtest, wie Deinen Bräutigam – und so erschien’s mir ja – da verdroß es mich, daß ich, ohne es selbst gewußt zu haben, Jemandes Eigenthum sein sollte. Denn an die letzte Nacht im Lyster-Fjord und die losen Reden zwischen uns Beiden hatte ich lange nicht mehr gedacht. Deine guten Worte machten mich störrisch, und es war mir eine grausame Lust, Dir wehe zu thun. Wir setzten uns aus einander. Freundlich und ohne Klage führtest Du mich in mein Haus, und legtest Du Rechenschaft ab für den todten Olaf und für Dich. Versöhnlich, wie eine Schwester, sagtest Du mir Lebewohl. Du schiedest, und dennoch bliebst Du bei mir. Wo ich ging und stand, schwebtest Du mir vor. Im Kreise lustiger Gesellen wie in meiner stillen Wohnung, überall störtest Du mein Gewissen, und das war mir ein neuer Verdruß. Ich meinte, wie der Olaf mit seinen Runen, so hättest Du es mit Zaubermitteln mir angethan, daß ich keine Ruhe mehr fand. Mit Gewalt wollte ich die Erinnerung an Dich aus meiner Seele reißen. Doch ob ich Kranz und Kräuter verbrannte, der Zauber wollte nicht weichen – Engelid, ich meine den Zauber Deiner Sanftmuth, Deiner Treue, Deiner Ergebung. Hätte ich gestern Morgen die Zeit nicht wie ein unmäßiger Schwelger verschlafen, so wäre vielleicht alles noch gut geworden. Nun aber, da Du gegangen, war’s mit meinem Trotz zu Ende. Es raste in meinem Kopfe; es raste in meinem Blute, und da bedurfte es nicht langen Sinnens und Prüfens, daß ich mich Dir nach auf den Weg begab. Ich mußte Dich treffen, bevor das letzte bindende Wort gesprochen war. Was ich auf dem Wege hierher litt, weiß nur ich allein. Als ich von Ornesen erfuhr, Du seiest noch nicht dagewesen, da betrachtete ich das als ein gutes Zeichen. In meinem Gehirn aber brannte und loderte es, daß ich wieder in’s Freie hinaus mußte, um Dich hier zu erwarten, und das war mir ein neuer Beweis, daß wir zu einander gehören. Nun sag’ mir aufrichtig, Engelid, ist das noch nicht genug, Dein Mißtrauen – ich verdien’s freilich – zu besiegen, Deinen Widerstand zu brechen? Nicht genug, eine freundliche Hoffnung, die Du zehn lange Jahre mit Dir herumtrugst und die so plötzlich schlafen gegangen, auf’s Neue zu wecken?“

„Nein, Knut,“ antwortete Engelid fast strenge, „Deine Reden überzeugen mich nicht, können mich nicht überzeugen. Du sprichst in einer gewaltigen Aufregung, und in dieser Aufregung hast Du Deinen klaren Blick verloren. Ich aber kenne Dich besser, als Du Dich selbst; denn seit unserem ersten Wiedersehen bin ich wohl zwanzig Jahre älter und besonnener geworden. Wenn ich Deinem Drängen nachgäbe, würdest Du es später bereuen.“

„Engelid!“ rief Knut leidenschaftlich, „so hast Du mich nie geliebt, und den Ornesen hast Du mit Deinen Worten getäuscht!“

„Doch, doch, Knut! Ich habe Dich treu geliebt und werde Dich lieben bis zu meinem letzten Athemzuge, aber gerade deshalb sage ich Dir: mein Wille ist so fest, wie die Felsen ringsumher, und schmerzlich, wie es mir ist, es auszusprechen jetzt kann ich Deine Frau nicht mehr werden – nein, Knut, ich liebe Dich zu sehr.“

„Ist das Dein letztes Worten fragte er, und indem er sich erhob, durchströmte ihn Eiseskälte.

„Mein letztes Wort, und die Zeit wird kommen, in welcher Du meinen Entschluß segnest.“

„So höre denn auch das meinige,“ fuhr er fort, und seine Stimme klang hart, „so bist Du es, die mich zum zweiten Mal aus dem heimatlichen Fjord in die weite Welt hinaustreibt. Ja, Engelid, ich gehe, denn ich könnte es nicht ertragen, Dir noch einmal zu begegnen und mir bei Deinem Anblicke vorzuwerfen, daß ich Dich vermessen von mir stieß, statt Dich in meine Arme zu nehmen und Dich zu achten und zu halten als mein höchstes Gut. Ja, ich gehe wieder auf’s Meer hinaus, wo nichts mich an das gemahnt, was ich hier verlor. Da – blicke hinauf zu den Sternen! So unabänderlich die ihre alten Bahnen wandeln, so unabänderlich drüben der Elf tost und braust und die Gießbäche ringsum zu ihm niederschäumen ebenso unabänderlich fest steht mein Entschluß. Lieber einen schnellen Tod durch einen Sturz in’s Meer, wenn meine Zeit gekommen, oder mit dem sinkenden Schiff hinab in die Tiefe, als mich hier Jahr um Jahr in Pein und Qual abzuzehren. Lebe wohl, Engelid! Wo auch immer es sei: mein letzter Gedanke

soll ein frommer Segensspruch für Dich sein. Den Hausschlüssel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_422.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)