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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 27.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Bob Zellina.
Novelle von Karl Theodor Schultz.

Der Commerzienrath Zellina ließ sich heute schon zum zweiten Male von seinem Sohne in das Speisezimmer führen. Im Grunde wohl, um seinen Appetit durch den Anblick der bereits auf dem Credenztische servirten kalten Schüsseln ein wenig zu reizen, vorgeblich allerdings behufs letzter Inspection der Tafel. Obgleich auf dieser blos fünf Gedecke lagen, zierte ein mächtiges silbernes Schiff die Mitte derselben, und aus zwei neben diesem Prunkstücke stehenden Blumenständern zog ein süßer Duft von Heliotrop durch den Raum. Das Zimmer hatte etwas Anheimelndes, so recht zu langen Sitzungen Einladendes. Und doch machte außer der Tafel und ihren hochlehnigen Stühlen nur das riesige Büffet, eine Truhe und der Ofen, dessen Kacheln braun in braun Geschichten des alten Testaments in launigen Darstellungen zeigten, sein Ameublement aus; freilich hatten die Wände hohes eichenes Getäfel; ein paar nachgedunkelte Blumen- und Fruchtstücke hingen darüber, und die mattblaue Farbe der sammtenen Portièren, der Vorhänge und Polsterbezüge der Stühle, stand in wohlthuender Harmonie dazu. Augenblicklich waren überdies die Vorhänge trotz des kaum begonnenen Nachmittags niedergelassen, und die beiden Astrallampen der Meermaid an der Decke wie die Kerzen auf den Armleuchtern des Büffets bereits angezündet. Es ging gleichsam ein Strom zitternden Lichtes von dem Silberschiffe und dem Krystall der Tafel aus, der nur in dem reichen Laubwerke der Blumenständer zur Ruhe zu kommen schien.

Der Commerzienrath, welcher am Credenztische stehen geblieben war und mit fast zärtlicher Miene eine Terrine mit Straßburger Gänseleberpastete betrachtete, sah nun auch nach der Tafel hinüber und sagte zu dem Sohne, der träumerisch vor sich hinblickte:

„Ist auch das Sträußchen für Alma nicht vergessen worden?“

„Vergessen?“ fragte Robert oder vielmehr Bob, wie ihn das ganze Haus, selbst alle Bekannten desselben mit dem Schmeichelnamen nannten, den ihm die verstorbene Mutter gegeben; „Du hattest doch mich dafür verantwortlich gemacht.“

„Nun ja!“ begütigte der Vater; „gestern wurden Jemand die Wechsel für Kronaus auch schon Morgens anvertraut und kamen trotzdem erst Abends –“

„Aber doch noch völlig zur Zeit!“ unterbrach Bob nicht ohne Ironie. „Außerdem: höchst gleichgültige Wechsel und letzte Rosen für Fräulein Alma – das ist wahrhaftig ein Unterschied.“ Er hob den neben einem Gedecke liegenden Strauß von Rosenknospen und Orangenblüthen in die Höhe und fuhr, ihn dem Vater reichend, fort: „Friedrich und ich haben alles Beste zusammengesucht, was im Garten und Treibhause zu finden war. Der arme Friedrich wurde ganz elegisch, als auch die jungen Orangenbäume mit ihren ersten Blüthen darankamen.“

„O, das glaube ich gern,“ erwiderte der Commerzienrath, indem er die Blumen zurückgab. „Doch die Bäume treiben ja wieder neue Blüthen – die jungen wie die alten, und selbst der älteste Baum darf das noch, und seine Blüthen duften um nichts weniger stark und würzig, als die irgend eines Springinsfeld. Nur der große, unsterbliche Mensch – der darf Nichts davon –“

Er nickte vor sich hin.

Bob trat in rascher Bewegung an ihn heran: er sprach dabei nicht, sah nur mit fragender Theilnahme in die Augen des Vaters, welche dieser nachdenklich zu ihm aufgeschlagen hatte.

„Das klang fast sentimental,“ bemerkte der Commerzienrath mit einem Lächeln, das jedoch mehr ein Zucken seiner schmalen Lippen war. „Dergleichen Anwandelungen wirst Du jetzt öfters erleben – überhöre sie stets! Man möchte sich eben zuweilen mit seinen sechszig Jahren noch nicht ganz im alten Register fühlen – trotz der weißen Haare und seines malitiösen Rückgrats. Es sticht und züngelt da heute wieder, als dürfe uns auch nicht einmal diese letzte Freude gelassen werden.“

Er wies mit der zitternden Hand nach der Tafel.

„Willst Du Dich nicht gleich auf Deinen Platz setzen?“ bat der Sohn. „Ich glaube – es fuhr ein Wagen vor, das werden Rulands sein.“

„Nein, Bobby,“ versetzte der Vater kopfschüttelnd; „so ganz läßt sich der Alte noch nicht als Invalide behandeln. Alma hat sich neulich über uns Beide gefreut, fand die Figuren so ähnlich, selbst noch den Ausdruck unserer Augen – das Vergnügen müssen wir ihr heute wieder machen. Gieb mir nur den Arm; für einige Momente stehe ich noch kerzengerade neben Dir. Dann freilich heißt es: still das Feld geräumt!“ Einem Seufzer gleich verklangen die letzten Worte.

Während die Männer langsam nach der Thür zum Wohnzimmer schritten, sagte der Commerzienrath in seiner scherzenden Weise, die aber doch diesmal einen Ton des Ernstes durchfühlen ließ:

„Und nimm Dich heute zusammen, Bob! Ein Haus ohne Frauen, ohne junge Frauen bleibt einmal triste; daran läßt sich nichts deuteln oder davon nehmen. Erinnere Dich, schon Franz von Valois fand einen Hof ohne Frauen wie

‚Ein Jahr, das nicht des Frühlings Wonne kennt,
Gleich einem Frühling, der vergaß,
Mit Rosen sich zu schmücken!‘

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_437.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)