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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

im Jahre 1875 2,500,000 Mark mehr gekostet hat, als er einbrachte, in das klarste Licht gestellt. Im günstigsten Falle ließe sich annehmen, daß das Ergebniß der übrigen Bahnen diese Mindereinnahme ausgleicht, soviel steht jedoch unter allen Umständen fest, daß der Personenverkehr auf Eisenbahnen zur Verzinsung des Capitals nichts beiträgt, daß vielmehr der Güterverkehr allein die Verzinsung decken muß.

Hier fällt sofort die so sehr nahe liegende Parallele mit dem Briefverkehr in’s Auge. Unsere Generation erinnert sich noch sehr gut der Zeit, in welcher ein Brief aus Amerika in die Thaler hinein kostete, wo eine arme Familie durch ein Schreiben eines amerikanischen Angehörigen in große Verlegenheit gesetzt werden konnte und in der That gesetzt wurde, weil das zur Bestreitung des Portos nöthige Geld nicht vorhanden war. Heute aber geht bekanntlich eine Postkarte für zehn Pfennig nach San Francisco und nach Japan. Hätte man vor Einführung unseres einheitlichen Portotarifs die jetzigen Zustände als erreichbar hinstellen wollen, man wäre für irrsinnig gehalten worden. Es sei ferner daran erinnert, daß vor Einführung des einheitlichen Zehnpfennigportos bei uns, als Briefe innerhalb zehn Meilen zehn, innerhalb zwanzig Meilen zwanzig, darüber hinaus dreißig Pfennig kosteten, die stärksten Befürchtungen ausgesprochen wurden, daß die Postverwaltung durch die Portoherabsetzung ein großartiges Deficit haben werde; heute weiß Jedermann, daß diese Preisverminderung der Post ungeahnte Ueberschüsse liefert. Um der Post das ehemalige Porto eines Briefes von Deutschland nach Amerika zu ersetzen, müssen heute fünfundzwanzig geschrieben werden, und siehe da, es werden mehr als das Doppelte geschrieben.

Die Seiseralp in Südtirol.
Nach der Natur gezeichnet von Richard Püttner.


Was bei der Postverwaltung geschehen, läßt sich aber bei der Passagierbeförderung auf Eisenbahnen und anderen Beförderungsmitteln ebenfalls thun und wird voraussichtlich die gleichen Resultate zeitigen.

Man muß ja dabei noch beachten, daß der Brief, der eine ganze Strecke zu durchwandern hat, durch eine Menge Hände geht, daß ein Werthbrief irgend welcher Art auf seiner Reise sogar unzählige Mal gewogen, gebucht und übergeben wird, während der reisende Mensch keinerlei Kosten der Beaufsichtigung und Controlle verursacht, sobald man sie ihm erläßt, was, wie das Beispiel der Berliner Stadtbahn beweist, ganz gut sich macht.

Der einzige erhebliche Einwand, daß die Neuerung eine bedeutende Einbuße an Einnahmen im Gefolge haben werde, scheint in keiner Weise stichhaltig zu sein, weil das Bedenken, die Erleichterung des Verkehrs werde doch nicht so viele Mehrreisen zur Folge haben, daß der Ausfall an den jetzigen hohen Billetpreisen ausgeglichen wird, den in ähnlichen Verhältnissen gemachten Erfahrungen widerspricht. Auch hier ist zuerst auf die Briefpost hinzuweisen.

Derjenige, dem es bei den früheren Briefportotaxen auf Geld nicht ankam, schrieb Briefe, wann es ihm beliebte; ebenso reist heute zu jeder Zeit der Reiche; derjenige, welcher mit seinen Mitteln haushalten mußte, schrieb früher nur, wenn es nothwendig war; ebenso wie er heute nur reist, wenn die Nothwendigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_445.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2023)