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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 29.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Bob Zellina.

Novelle von Karl Theodor Schultz.
(Fortsetzung.)


Alma bat ihn, ihres früheren Zusammenseins auf diesem Balcon nicht zu gedenken.

„Ei, ei,“ sagte Bob neckend, „woran man nicht gerührt haben will, das pflegt noch eine Macht zu sein: vielleicht gar eine unüberwindliche?“

Er lachte übermüthig auf.

„Ein so liebenswürdiger Papa,“ begann er wieder ernster, „ist aber eine Macht; ich hatte das gar nicht geglaubt, und mußte es schwer empfinden lernen.“

„Schwer?“ versuchte auch Alma zu scherzen, da er schwieg, „die paar Tage –“

„O, nicht in Jahren,“ fiel er hastig ein, „habe ich so viel bange Stunden durchlebt, wie in den paar Tagen, wie Du lächelnd sagen darfst.“

„Wirklich lächelnd?“ dachte sie bei sich, „meine Stunden waren andere noch!“ Sie blickte in die Weite und sagte:

„Nun ist Alles lange überwunden.“

„Das war,“ versetzte Bob, aufmerksam geworden, „als hättest Du doch gelitten?“

Sie sah ihn still an.

„Es lag in der Betonung Deiner Worte,“ fuhr er, wie sich entschuldigend, fort. „Du dachtest dabei nur an mich – ich verstehe nun schon. Und aus ganzer Seele danke ich es Dir; denn die Schwäche muß ich gleich von Anfang eingestehen – ich bin eifersüchtig. Ich werde es bei Dir immer sein; das fühle ich mit wahrhaftem Entzücken, eifersüchtig auf jeden Deiner Gedanken, den geringsten Deiner lieben Blicke. Du erschrickst darüber?“

Alma schüttelte das Haupt.

„Nein, Du dürftest es auch nicht. Obgleich wir Zellinas aus dem Süden stammen und uns vielleicht noch Tropfen heißeren Blutes bewahrt haben – was man dem Worte nach eifersüchtig nennt, das bin ich nicht. Nichts vom armen Othello! Ich bin nur mit Eifersucht der Wahrheit ergeben: Gemachtes oder gar Erheucheltes vermöchte ich nicht zu ertragen. Und das war immer so. Darum bin ich selbst von meinem Berufe, wo ich überall Täuschungen und Härteres in den Kauf nehmen mußte, niemals voll befriedigt worden, und ich freue mich unaussprechlich unseres neuen Lebens. Verborgen auf dem Lande, nur mit Dir und der Natur vereint – Alma, mir ist, als gingen wir schon auf Erden aller Seligkeit entgegen. Schilt mich nicht Schwärmer! Warum hast Du mich trotz des Wehes dieser letzten Tage so wahrhaft beglückt? Sah ich, fühlte ich doch, daß mein gutes Glück mich nicht irre geführt; Du wie ich – wir sind ganz Wahrheit. Eine Andere hätte vielleicht mehr an Aeußeres gedacht, sich wohl gar gebunden, obgleich in ihr nichts für mich gesprochen hätte. Du überwandest vorher, was in Dir gegen mich gewesen, und erst, als Du fühltest, wie Du mich glücklich machen dürftest, da gönntest Du Dich mir. Ist es anders?“

Alma senkte den Kopf, daß ihre Locken über Bob’s Arm fielen. Ein Bitten kam aus ihrem Herzen heraus, seine Wahrheit mit der ihrigen zu lohnen, wirklich ganz das zu sein, was er zu finden wähnte, doch ein kluges Zögern flog einem Hauche gleich hinterher, und der Hauch siegte über das Schwere. Selbst hier – wozu ein solch Erörtern und Bekennen? So zart war Alles geblieben; darüber zu sprechen – das hätte nur wieder herbe oder traurig machen können. Und sie hatte ja mit dem Vergangenen gebrochen.

„Bin ich auch nicht, was Du mir zutraust,“ sagte sie, „– es werden zu wollen, darf ich Dir versprechen.“

„Alma! Meine Alma!“ rief Bob da mit einem Jubelton, daß selbst die Natur aufzuhorchen schien. Einen Augenblick verstummte alles Rauschen in den Ulmen; das Geschrei der Eulen brach plötzlich ab – und ein blasser Strahl des Mondes ruhte wie segnend auf den jungen Häuptern.




Der geheimnißvolle Kreislauf von Herbst und Winter, Frühling und Sommer hatte sich beinahe vier Mal wiederholt. Zwar stand jetzt das Getreide noch überall auf den Feldern, doch fielen bereits hier und da wieder früh ergilbte Blätter, und die natürliche, reifende Sommerhitze ging in die schwüle Gluth letzter Augustwochen über.

Für das Haus und die Familie Zellina hatten die vergangenen vier Jahre mancherlei Veränderungen gebracht. Schon im Frühjahr nach der Hochzeit Bob’s erlag der Geheimrath seinen nach und nach immer peinigender gewordenen Leiden. Da er sich in Folge des Steigerns derselben von seiner gewohnten Umgebung allzu schwer getrennt hätte, Frau von Lossen es auch wie eine Pflicht empfunden, treu bei ihm auszuharren, war deren Vermählung mit Ruland erst im Beginne des Herbstes nach des Geheimraths Hingange in aller Stille erfolgt.

Der Tod des Vaters hatte Bob genöthigt, längere Zeit hindurch in der Stadt zu wohnen, da er das väterliche Bankgeschäft, nachdem das Erbgut seiner einzigen Schwester herausgezahlt worden, sofort auflöste, um sich seinem Geschmacke nach fortan ganz auf’s Land zurückzuziehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_473.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)