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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Alma hatte sich ohne ein Wort des Widerspruchs in diese Veränderung gefügt, obwohl sie es eigentlich lieber gesehen, daß der Modus des ersten Jahres ihrer Ehe, den Winter in der Stadt zuzubringen, beibehalten worden wäre. Doch machte ihr das große ländliche Hauswesen auch genügend Freude, um nicht zu viel zu vermissen, besonders da gerade von Sunditten aus ein reger Verkehr mit benachbarten Gutsbesitzer-Familien möglich war. Das Rege des Verkehrs wechselte allerdings: mitunter schienen sowohl Bob wie Alma desselben wahrhaft zu bedürfen, und man fuhr in der einen Woche mehrere Mal aus, um in der nächsten wieder ebenso oft Gäste zu empfangen, die mit einer gewissen Dringlichkeit eingeladen wurden. Es folgten aber auch Zeiten, wo ihm die geringste Veranlassung genügte, ganze Monate lang nicht das Haus zu verlassen: kaum daß die Stadt, wo Bob die Villa des Vaters als Absteigequartier behalten hatte, in Geschäften oder Alma’s Eltern wegen aufgesucht wurde. Und merkwürdiger Weise kamen sich die Eheleute in diesem Wechsel der Stimmungen stets entgegen.

Schon nach dergleichen Aeußerlichkeiten behauptete man übrigens ziemlich allgemein, daß die Ehe der Sunditter Gutsherrschaft eine glückliche wäre – und etwaige vereinzelte Zweiflerstimmen wurden immer bald zum Schweigen gebracht.

Aber selbst, wenn es Jemand gewagt haben würde, Alma persönlich über ihre Gefühle auszuforschen, so hätte sie einen Zweifel an der Vollkommenheit ihrer Ehe wahrscheinlich nur für etwas Kurzsichtiges oder gar Böswilliges angesehen. Was Bob bestimmte, war ihr genehm; was sie anordnete oder für nöthig fand, hieß er gut – es war in Wahrheit ein kaum anderes, nur weit vielseitigeres Leben, als das, in welchem sie sich einst an der Seite ihres Vaters so wohl befunden hatte. Freilich war es zu dieser Höhe ihres Glückes eigentlich erst im letzten Jahre gekommen, seit Bob so viel stiller und dadurch dem Vater – während der liebenswürdigen Zeiten desselben – gleichsam ähnlicher geworden war: in den früheren Jahren hätte sie sich wohl über allerlei Nervositäten ihres Mannes, zuweilen sogar gewaltsame Ausbrüche von Heftigkeit beklagen können. Daß ihr Kinder versagt worden, blieb allerdings ein leiser Schatten – dieses immer ungetrübtere Zusammenleben mit ihrem Gatten ließ aber ja selbst dieses Entbehren kaum recht empfinden.

Ob der Gatte gleichfalls so freundliche Antwort auf irgend eine thörichte Frage nach seinem Glücke gegeben hätte? Wie gern nähme man es an! Wer Bob jedoch früher gekannt, vor Allem in seiner letzten Wiener Zeit, wäre schon durch sein zerstreutes und abgespanntes Wesen – was Alma „still“ nannte – kaum darauf gekommen, daß es derselbe Mann sei, der damals so viel Leben sprühte und in seinen Kreisen wegen des weltmännisch Feinen seines ganzen Auftretens und einer dabei gleichsam unberührten Reinheit des Herzens eine gewisse Aufmerksamkeit erregt hatte.

Heute schien jenes reiche innere Leben einer Art von Gleichgültigkeit gegen Alles gewichen zu sein. Höchstens bemerkte man ein Bemühen – und selbst das mehr äußerlich – der Gattin nachzueifern und, wie diese, nur in dem neuen Berufe aufzugehen. Da keine Kunst, selbst Musik nicht, die Bob in Wien gleichsam mit zur Lebensluft geworden, ein tieferes Bedürfniß für Alma war, vernachlässigte auch er nach und nach, wie selbstverständlich, sein früher so bewundertes Clavierspiel, ja regte nach einigen Absagen, welche er sich von Alma aus den nichtigsten Gründen geholt hatte, nicht einmal mehr zu Fahrten nach der Stadt an, wo ein reges Musikleben herrschte und darum gediegene musikalische Genüsse nicht zu den Seltenheiten gehörten.

Für jeden tiefer Blickenden, als Alma, für jede wahrhaft liebende Frau hätte ein solches Aufhören von Gewohnheiten, die mit dem ganzen Menschen verwachsen sein mußten, etwas Beunruhigendes gehabt – sie empfand es aber eher angenehm, daß in all solchen Beziehungen keinerlei Ansprüche mehr an sie gemacht wurden, und nahm es nur leichthin als eine jener freundlichen Rücksichten Bob’s, an welche sie sich längst gewöhnt hatte – die sie nun beinahe schon als ihr einfaches Recht ansah.

Da die Gatten außerdem in getrennten Flügeln des Schlosses wohnten – was man aus dem Stadtaufenthalt (wo eine bauliche Veränderung dazu gezwungen) mit nach Sunditten hinübergenommen hatte – so sahen sie sich oft Tage hinter einander nur während der Mahlzeiten. Bei diesen gab es aber, in der Regel von Alma angeregt, so viel Wirthschaftliches zu besprechen, daß das innere Leben der beiden Gatten überhaupt wenig oder gar nicht hervortrat. Mindestens bei Alma nicht; in Bob rang sich wohl bei der geringsten Veranlassung immer noch die Hoffnung empor, daß ihm für sein aufopferndes Dienen endlich der Lohn würde, der einzige, den er ersehnte: Alma ihren unerschütterlichen Gleichmuth verlieren, in ihren Augen wieder den Goldglanz von ehemals aufleuchten zu sehen; sie ergab sich ja in Alles, was er verlangen mochte – mit einem Lächeln konnte sie gewähren – aber Liebe, Liebe mußte anders geben.

Dieses Bewußtsein, nicht geliebt zu werden, war ihm eben vom Beginn seiner Ehe an unerbittlich aufgegangen, und er fühlte es noch heute in demselben, eher geschärften Maße in sich. Wie oft hatte er sich gefragt, ob Alma überhaupt anders könne, ob es nicht Naturen gäbe, die, gleichsam den Blattgewächsen ähnelnd, nie eine Blüthe trieben? Was bedeutete dann sein Ringen – er konnte davon nicht lassen. In noch schwereren Stunden flüsterte es ihm sogar zu: nur dich kann sie nicht lieben; du allein vermagst in ihr nichts zu wecken; Andere vermögen es. Und er beobachtete sie dann im gesellschaftlichen Verkehr, in Freundeskreisen und bei Festen – in stiller Qual, halb fürchtend, halb hoffend; doch blieb sie sich in jeder Umgebung unverändert gleich – selbst im wildesten Tanze ganz Ruhe. Sah sie dabei aber einmal zufällig nach der Richtung, wo er stand, oder nickte ihm gar beim Vorübertanzen zu, so bat er ihr wohl heimlich Alles ab und verurtheilte sich ob seines Kleinmuthes. War sie doch, was er einst von ihr gefordert hatte: in jedem Zuge wahr und nichts erheuchelnd. Durfte er ihr also um ihrer Eigenart willen zürnen?

Es nahm nur von dem vielen Traurigen nichts. Auf Ganzes hatte er gehofft und bloßes Stückwerk höhnte ihm überall entgegen. Wie verachtenswerth wollte ihm in solchen Stunden das Menschsein vorkommen! Doch mußte es getragen werden; denn trotz Allem wußte er es immer klar, daß selbst dieses Leben noch ein gewisses Glück in sich schloß – besaß er die Eine doch, die ihm Alles war. Und konnte nicht in jedem Augenblick die Liebe über sie kommen? War das noch nie dagewesen? O gewiß! Darum warten – geduldig warten! Müde durfte das mit der Zeit machen, doch nur müde.




Schon im Frühjahr war in der ganzen Gegend davon die Rede gewesen, daß ein Theil des großen Generalstabs eine Neuaufnahme der Küste veranstalten würde. Wegen anderweiter Aufgaben war es wohl damals nicht dazu gekommen; jetzt im Spätsommer, kurz vor den Manövers, trafen aber plötzlich noch Generalstabs-Officiere zu diesem Zwecke ein und wurden in Sunditten wie verschiedenen benachbarten Gütern einquartiert.

Alma, welche an jeder militärischen Einquartierung eine ganz besondere Freude hatte – da sie auch ein Militärkind sei, wie sie gern behauptete (ihre Mutter war die Tochter eines Majors gewesen) – nahm die Herren mit gewohnter Auszeichnung auf. Bob erschienen Gäste, da die Ernte beginnen sollte, jetzt weniger bequem. Dennoch widmete er sich denselben in ihren unbeschäftigten Stunden auf’s Zuvorkommendste, ging und ritt mit ihnen aus oder begleitete sie auf Besuchen in der Nachbarschaft, welche auch Alma mitzumachen pflegte.

So hatte er heute die Einladung seines nächsten Nachbarn, eines Herrn von Grumbach, zum Beginn der Ernte desselben angenommen und fuhr nun mit seinen Gästen und Alma schon am frühen Nachmittag von Hause fort. Als sie kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, kam ihnen eine Cavalcade von Damen, Officieren und anderen Herren entgegen gesprengt, um ihnen das Geleite nach Krackow, der Besitzung Herrn von Grumbach’s, zu geben.

Nach der Vorstellung der Officiere und einem lebhaften Hin und Her von Begrüßungen setzte sich der ganze Zug wieder in Bewegung und langte schließlich unter lautem Lachen und Scherzen in Krackow an. Alma vorzugsweise schien sich in wahrhafter Aufregung zu befinden: das Blut kam und ging in ihren Wangen, und sie hatte sich mit fieberischer Lebendigkeit an der Unterhaltung betheiligt, welche auf ihrer Seite, dem Gatten abgewendet, geführt worden. Es war nämlich vorher, beim Begrüßen der Officiere unter einander, ein Name gefallen – als der eines noch nachträglich in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_474.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)