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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


andere Dämonen des Menschengeschlechtes und – nach unserer frohen und festen Ueberzeugung – siegreich dagegen ankämpfen.

Und ferner: wie viele gute und mitleidige Menschen giebt es, die erst nach und nach, durch unzählige böse Erfahrungen hart geworden sind, die für all ihre Opfer nichts als Undank geerntet haben, ja denen vielleicht geradezu in’s Gesicht gesagt wurde, daß sie durch ihre Milde und Güte nur Schaden angerichtet haben! Die Fälle sind nicht selten, wo sich Eltern für einen Sohn aufopfern, Schwestern für einen Bruder, der Freund für den Freund, und wo der so oft Gerettete, so reich Unterstützte doch nur Schande und Unglück über seine ganze Familie bringt.

„Ihr hättet ihn sich selbst überlassen, ihm nicht immer wieder beispringen sollen,“ heißt es dann. „Ihr habt ihn gehindert, die eigene Kraft zu entfalten. Ihr selbst seid es, die ihr ihn zu Grunde gericht habt, durch eure Hülfe.“

Kann es etwas Trostloseres geben, als solche Anklagen, wenn deren Begründung nicht zu leugnen ist? Und hat diesen armen Opfern treuester Nächstenliebe gegenüber der Spruch: „Jeder ist sich selbst der Nächste“, nicht seine volle Berechtigung?

All diesen düsteren Bildern wollen wir zum Schluß noch ein freundliches aus unserer Erfahrung anreihen: wir haben es erlebt, daß entzweite Geschwister sich seit Jahren zum ersten Mal wieder trafen im Hause gemeinsamer Verwandten, welche durch schweres Unglück an ihre Hülfe gewiesen worden waren. Anfangs scheu und fremd an einander vorübergehend, lernten sie bald in der gemeinsamen Sorge um die hülfsbedürftige Familie den eigenen Zwist vergessen, und kaum kann es ein ergreifenderes Bild geben, als ihre schließliche Versöhnung bot, alle Sonderinteressen begrabend im gemeinsamen Wirken für unverschuldetes Unglück. – Wer Solches erlebt hat, wem in schwerer Zeit freiwillig Hülfe geboten wurde, und oft von Seiten, wo er sie nie gesucht hätte, – der kann sich unmöglich der Ansicht anschließen, daß der Spruch: „Jeder ist sich selbst der Nächste“, die ganze Welt regiert, und ihre gesellschaftlichen Zustände untergräbt. Ja, wir müssen noch weiter gehen: wir müssen uns in gewissen Fällen sogar auf die Seite dieses hart klingenden Spruches stellen.

Gerade um seinem Nächsten zu rechter Zeit und in angemessener Weise helfen zu können, muß man auch – und vielleicht sogar zunächst – an sich selbst denken. Wie kannst du Mann und Kinder pflegen, wenn du nicht zunächst – ja, liebe Hausmutter, zunächst! – auf deine eigene Gesundheit achtest? Kein Egoismus, sondern nur die richtige Art der Fürsorge für deine Lieben ist es, wenn du unablässig auch für die Erhaltung deiner eigenen Körperkraft, für die Frische und Gesundheit deines Geistes sorgst.

Was nützt es deinem kranken Liebling, wenn du dich selbst aufreibst in seiner Pflege, wenn du, statt dich zuweilen für Stunden durch Andere vertreten zu lassen, dann zuletzt die Pflege ganz in fremde Hände legen mußt?

Oder wie kannst du Andere hülfreich durch Geldmittel unterstützen in bösen Zeiten, wenn du nicht zunächst für dich selbst gesorgt, das heißt, deine eigenen Mittel klug zu Rathe gehalten hast? Und endlich: Wie kannst du Anderen Freude und Frieden bringen, wie kannst du ein anderes Herz beglücken, wenn Freude, Friede und Glück dir im eigenen Herzen fehlen?

Alles was man – ob geistig oder materiell – seinem Nächsten spenden will, das muß man doch zuerst auch selbst besitzen, und in diesem Sinne aufgefaßt, scheint uns der Spruch: „Jeder ist sich selbst der Nächste“, nicht nur berechtigt – er enthält sogar in dieser seiner ursprünglichen Bedeutung gewiß ebenso viel Wahres, wie all unsere anderen guten alten Sprüche.




Aus der Samariterschule.

Welche Hülfe kann der Samariter bei Verblutungen leisten?
Von Prof. Esmarch in Kiel.
(Schluß.)

Da es ein großer Unterschied ist, ob eine Blutung aus einer verletzten Pulsader, aus einer Blutader oder aus den kleinen Haargefäßen kommt, so muß den Zuhörern zunächst klar gemacht werden, wie diese Adern sich von einander unterscheiden und wie das Blut in denselben kreist. Das war schon in der ersten Vorlesung geschehen, in welcher der Blutkreislauf mit Hülfe einer ganz einfachen schematischen Darstellung des Herzens und der Adern den Schülern geschildert wurde.

Mit steter Hinweisung auf dieses Schema wurden dann in der zweiten Vorlesung die verschiedenen Arten der Blutung geschildert und darnach gezeigt, auf welche Weise auch der Laie selbst die gefährlichsten Blutungen bis zur Ankunft des Arztes zu hemmen vermöge:

Die Art der Blutung und ihre Gefährlichkeit ist sehr verschieden, nach der Art und Größe der Adern, welche geöffnet wurden.

Wenn das Blut in nicht starkem Strom aus der Wunde rieselt, so sind nur kleine Adern (Haargefäße) verletzt.

Wenn dunkelrothes (schwarzes) Blut in gleichmäßigem Strom ausfließt und wenn der Ausfluß durch Druck oberhalb der Wunde verstärkt wird, dann ist eine größere Blutader (Vene) geöffnet.

Wenn aber hellrothes Blut in starkem Strahl und absatzweise (pulsirend) aus der Wunde hervorspringt, dann ist eine Pulsader verletzt und große Lebensgefahr vorhanden.

Geringe Blutungen aus verletzten kleinsten Adern oder aus Blutadern hören meist auf, wenn man auf die Wunde drückt oder die Wundränder gegen einander drückt oder auch von selbst, weil die Mündungen der durchschnittenen Aederchen sich verengern (zusammenziehen) und das Blut in der Wunde zu einem klebrigen zähen Klumpen gerinnt.

Blutungen aus verletzten Blutadern (z. B. aus Beingeschwüren mit Krampfadern) sind bisweilen schwer zu stillen, weil oberhalb der blutenden Stelle ein Kleidungsstück einschnürt (Strumpfband). Nach Lösung dieser Strangulation steht die Blutung auf leichten Druck und Erhebung des Gliedes.

Fließt aber das hellrothe Blut trotz Druck auf die Wunde unaufhaltsam weiter, so muß eine größere Pulsader verletzt sein, und dann ist der Tod durch Verblutung zu fürchten.

In solchen Fällen ist rasche Hülfe nöthig. Man sende also sogleich zum Arzt oder bringe den Verwundeten zu ihm. Der Arzt wird die Blutung durch Zubinden der Ader dauernd stillen. Aber weil der Verwundete sterben kann, ehe der Arzt da ist, so muß der Laie stets versuchen, den Blutstrom einstweilen zu hemmen.

Das einzig wirksame Mittel dazu ist ein starker Druck auf die Wunde selbst, wenn dieselbe nur klein ist, oder auf den Stamm der Pulsader oberhalb der Wunde.

Man hebt zunächst das verwundete Glied in die Höhe, weil dadurch das Ausfließen des Blutes verlangsamt wird, und entblößt dann die Wunde und das verletzte Glied durch Aufschneiden der Kleidungsstücke bis an den Rumpf hinauf.

Dann legt man auf die Wunde ein zusammengefaltetes Stück Leinwand (Compresse, Taschentuch) und preßt dasselbe durch Umwickelung mit einer Binde oder einem Tuch fest gegen die Wunde. Quillt trotzdem das Blut hervor, so sucht man den Stamm der Pulsader oberhalb der Wunde auf (zwischen Herz und Wunde) und drückt sie mit den Fingern stark zusammen.

Es giebt gewisse Körperstellen, wo die Pulsadern so oberflächlich liegen, daß man sie wirksam zusammendrücken kann, und diese muß man kennen.[1]

Die große Pulsader des Armes kann man an der Innenseite des Oberarmes (da, wo die innere Naht des Aermels liegt)

  1. Die hier folgenden Abbildungen sind nach dem „Katechismus zur ersten Hülfeleistung in Unglücksfällen“ von Friedrich Esmarch, der soeben im Selbstverlage des deutschen Samaritervereins erschienen ist, im Holzschnitt ausgeführt worden. Bei dieser Gelegenheit verweisen wir noch unsere Leser auf das „Album für Krankenträger“ vom Oberstabsarzt Dr. G. A. Rühlemann, ein treffliches, mit vielen Illustrationen versehenes Buch, welches ursprünglich für die Krankenträger des deutschen Heeres bestimmt war, jetzt aber auch in außerdeutschen Armeen mehrfach Verwendung gefunden hat. Die deutsche Ausgabe dieses Albums erreichte innerhalb fünf Jahren eine Auflage von 14,000 Exemplaren, und neulich hat der Verfasser auch eine internationale Ausgabe (Preis 40 Pfennig) herausgegeben, welche einen erläuternden Text in sechs Sprachen nachweist.
    D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_483.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)