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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

war, wie vor zweihundert Jahren, da der berühmte Sebald Schonhofer sie dort erhöhte; sie achtete nicht des Getümmels auf dem Herrenmarkt, wo die Fischweiber vor ihrem Schaff saßen, die Bäuerinnen Milch und Butter feil hielten und die Zeidler aus dem Reichswald, dem der alte Kaiser Karl der Vierte den Ehrennamen „Unseres Reiches Bienengarten“ verliehen hatte, den Lebküchlern so große Honighäfen verhandelten, daß man hätte meinen können, man sei im Lande Gosen, wo Milch und Honig fleußt. Sie wandte nicht das Haupt, als unter dem Schall einer riesenhaften Trommel die Stadtsöldner in Krebs und Pickelhaube, den Spieß über die Schulter gelegt, nach ihrem Wachtposten am Frauenthor hinabtrabten, auch nicht, als eine Schaar Wallfahrer mit Fähnlein und Kerzen unter Gesang die Straße nach St. Sebald hinaufzog; sie schien nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt zu sein. Manchmal strich ihre runde Hand leise, wie liebkosend, über den Fenstersitz neben ihr, der, reich geschnitzt und mit einem Polster aus gepreßtem Goldleder belegt, eigentlich der Deckel einer kleinen Lade war; dann fühlte sie in die an goldenem Kettchen hängende Tasche, in der es wie Papier knisterte.

Da öffnete sich die Thür. Die junge Frau fuhr, wie auf verbotenem Wege ertappt, aus ihren Träumen empor und zog das Händchen aus der Tasche – ihr Eheherr trat bei ihr ein.

„Welch wichtigen Dingen sinnt die Frau Rotmundin nach?“ fragte er, indem er auf sein Weibchen zueilte und den Arm um sie schlang.

„Ich schaue den Werkleuten zu.“ antwortete sie, „die da drüben am Haller’schen Hans den Umbau beginnen. Der Wilhalm gedenkt es einzurichten, wie er es in der Welt draußen gesehen hat.“

Sie deutete hinüber nach dem hohen Gebäude, das über der Spitzbogenpforte ein steinernes Wappen trug und an dessen dicken Mauern Arbeiter mit Meißel und Hammer thätig waren.

„Bin begierig zu erfahren, wie es ausschauen wird.“

„Mein holdes Herzgespann hat von jeher für alles Neue eine kleine Schwachheit gehabt,“ erwiderte lachend Herr Rotmund und ließ sich auf der Fensterlade nieder.

Das Herzgespann mochte gerade vor einer rothen Glasscheibe sitzen; denn ihre milchweiße Haut erschien jetzt purpurn gefärbt.

„Wollet Ihr Euch nicht auf den Armsessel setzen, wie es dem Herrn des Hauses gebührt?“ fragte sie eifrig. „Das Lädlein möchte zu gebrechlich sein für solch großen Herrn.“

Herr Rotmund legte prüfend die Hand an das Polster.

„Warum wirst Du so blaß?“ fragte er erschrocken.

„Ich?“ lachte sie. „Der blaue Mantel der Delila in der Fensterscheibe giebt nur das winterliche Licht. Bin ich noch immer blaß?“

Und sie neigte das Gesicht mit den Schelmengrübchen in Wangen und Kinn so dicht zu dem Antlitz ihres Eheherrn, daß sich dieser nicht versagen konnte, sie beim Kopf zu nehmen und auf ihren Rosenmund zu küssen.

„In dem gläsernen Häuslein! Vor den Augen der ganzen Stadt!“ schmollte sie, und das feine Näschen hoch hebend, zog sie sich beleidigt in das tiefe Gemach zurück.

Herr Rotmund eilte ihr nach, und während sie sich von ihm unter tausend Schmeicheleien versöhnen ließ, wurde des gebrechlichen Lädleins vergessen – die kluge Frau hatte ihren Zweck erreicht.

„Was wollte der Städtknecht schon wieder zu so früher Zeit?“ fragte sie und blinzelte durch die krausen dunklen Wimpern nach ihm hin.

„Er sagte eine Rathssitzung für heute Nachmittag an,“ antwortete Herr Rotmund und machte ein unbefangenes Gesicht. „Und wo läuft Deine Gürtelmagd herum? Sie sollte mir eine Hemdkrause stärken und glätten, war aber nicht zu finden.“

„Ich habe sie entsendet, aus daß sie mir ein paar Tische voll Frauen für heute Nachmittag ladet,“ entschuldigte hastig die Rotmundin.

Kommen auch die Imhofischen?“ fragte der Rotmund.

Sie nickte.

„Ist bös Wetter bei ihnen eingezogen,“ erzählte er, „seit der Haller wieder da ist. Weißt? Er ist der erkieste Eidam für die Elsbeth. Die Sippen haben früher Verspruch mit einander gehalten. Und nun läßt er sich nimmer bei ihnen sehen. Ist doch schon seit einigen Wochen heim, und heute begegnete er zufällig dem Imhof zum ersten Mal in der Zechstube. Der schaute aus, als müsse er eine Spinne verschlucken, aber der Haller achtete sein gar nit; er strich davon, wie eine welsche Zibetkatze. Ich kann ihn nimmer leiden.“

„O, leiden mag ich ihn wohl,“ sagte die Rotmundin mit einer weichen Stimme. „Er ist stattlich geworden, seit er in der Fremde war. Seine braunen Augen blicken zwar meist zornig oder geringschätzig, als sei ihm allhier nichts mehr gut genug, aber wie freudig blitzen sie auf, so er von seinen Reisen berichtet. Und sein trutziger Mund mit dem verzwirbelten Schnauzbart darüber, der hoffärtig in die Luft sticht, weiß zierlich die Worte zu setzen, wenn er erzählt, wie die Frauen im schönen Augsburg sich itzo kleiden dürfen.“

Sie seufzte tief. Dann fuhr sie fort:

„Ach mein! daß die schöne Zeit vorbei ist, da auch ich in die Welt hinauslugen durfte! Nun bin ich ein eingesperrtes Weiblein.“

„Sei froh, daß Du ein Weiblein bist,“ fuhr der Rotmund heraus, „und nicht nach mir schmachten mußt, wie die Elsbeth nach dem Haller!“

„Wer weiß, ob ich schmachten müßt, wenn ich die Elsbeth wär’,“ neckte sie.

Er drohte ihr mit dem Finger. Dann meinte er nachdenklich:

„Hab’ schon manchmal gesonnen, wie wunderlich es mit der Elsbeth zugeht. Sie ist doch jung und schön. Aber nimmer kann ich es mir für ein Mannsbild als eine Wonne denken, sie zum Herzgespiel zu haben. Wie mag es nur kommen?“

Die Rotmundin senkte die Wimpern. Sie wußte, was der Elsbeth fehlte. Sie konnte nicht schmollen, trotzen, einen Mann torquiren mit Nichtbeachten und Schweigen und ihn wieder aus dem Elend in den Himmel erheben durch Seufzen, zärtliche Blicke und süß Getändel. Und die Rotmundin meinte, daß dies die höchste Kunst sei, die eine Frau erlernen müsse. Aber sie hütete sich es zu verrathen.

„Da kommt meine Gürtelmagd zurück,“ sprach sie ausstehend. „Und horch! schlägt es nicht schon zwölf Uhr? Richtig! auf der Frauenkirche beginnt das Männleinlaufen.“

Die große Uhr am Giebel der Kirche schlug die Mittagsstunde und trieb aus Kupfer geschmiedete Pfeifer und Trommler und die sieben Kurfürsten des Reiches auf ein steinernes Chörlein hinaus, allwo der Kaiser Karl der Vierte, der einstige Schützer und Förderer der Stadt, thronte, vor dem sie sich verneigten. Mit dem zwölften Schlage schnarrte gravitätisch der Herold als der letzte im Zuge in das Uhrgehäuse zurück, und zugleich drehte sich Herr Rotmund wie ein Kreisel in das Speisezimmer, wohin ihn sein Frauchen gedrängt hatte, auf daß der gebratene Auerhahn, den die Köchin mit einem gehämmerten Sode auftrug, nicht kalt werde.

„Wir speisen heute zu so vornehm später Stunde wie der König von Frankreich,“ schäkerte sie. Bevor sie ihm aber folgte, zog sie die Thür noch einmal zu und trat zu ihrer Magd.

„Kommen sie?“

„Alle,“ erwiderte die Magd.

„Es hat doch kein fremdes Ohr unser Geheimniß erlauscht?“ fragte die Gebieterin gespannt.

„Keines!“ versicherte die Dienerin.

„Die herbe Ursel wird doch nichts von unserem Fürhaben erfahren?“ meinte die Rotmundin besorgt.

Die Magd schüttelte pfiffig den Kopf.

„Ich bin deshalb nit über den Panierberg gegangen, sondern durch die Hinterpforten in die Geschlechterhäuser, welche von dem Erbhaus der gestrengen Jungfrau aus gesehen werden können.“

„Das war brav,“ lobte die Frau. „Du darfst Dir zur Belohnung mein Brusttuch mit der geknüpften Borte nehmen. Trage es sonder Furcht! Ich zahle die Strafe, so die Kleiderordnung auf die Hoffahrt setzt. Die hochmögenden Herren dürfen sich schon daran gewöhnen, daß ihnen Trotz geboten wird. – Nun hole mir vom Lebküchler Honigkuchenwecklein, gefüllt mit süßen Feigen und Mandeln! Dann nimm die silberne Kanne dort vom Kandelbrett und laß sie Dir im Keller mit Malvoisier füllen! Richte mein Gemach, dieweil wir zu Mittag essen!“ – –

Die abwärts steigende Sonne warf lange Streiflichter über das braune Holzgetäfel des Frauengemachs, als die Gäste sich versammelten.

Die ersten, die da kamen, waren die Imhofischen, eine würdige Matrone mit ihrer erblühenden Tochter. Sie nahten mit leisem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_490.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)