Seite:Die Gartenlaube (1882) 492.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


„Das mag für das Land Italia sich schicken,“ haderte die Frau Imhofin, „aber bei uns wird’s ein Zugloch werden, und der Haller wird die Gicht bekommen. Das hat er dann von seiner Unrast.“

Während die anderen Gäste mit leisen Ellenbogenstößen sich zu verstehen gaben, daß sie wohl wußten, um welcher Ursache willen die Imhofin dem Haller aufsäßig war, blieb Elsbeth stumm. Sie hatte keinen Schrei ausgestoßen wie ihre Gespielinnen. Nur verwundert, als traue sie ihren Augen nicht, blickte sie nach dem Hause hinüber, das jetzt der junge Haller im dunklen, mit Marder verbrämtem Wams verließ.

Einen forschenden Blick warf er zu ihr herauf. Er wollte wohl aus ihrem Antlitz lesen, ob sie Sorge hegte, des versprochenen Bräutigams verlustig zu gehen. Statt dessen stand ein schier albernes Staunen darauf geschrieben. So mußte er deutlicher werden. Er wandte, ohne zu grüßen, seine Augen ab und bot Herrn Rotmund die Tageszeit, der seine Steintreppe herabstieg. Dann schritten sie selbander über den Herrenmarkt.

Die Rotmundin schaute ihnen nach. „Wenn der Franzel,“ sagte sie, „sich doch auch kleiden wollte wie der Haller! Sieht er in seinem grünen mit roth gepufften Wams nicht aus wie ein bunter Sittig neben einem edlen braunen Falken?“

„Ihr verunglimpft den Haller,“ meinte Elsbeth, „wenn Ihr ihn einem so wilden Vogel vergleicht, der nur mit Hunger zu zähmen ist.“

„Ein tüchtiger Mann liebt es,“ erwiderte die Rotmundin, „wenn die Schnabelweide, die er begehrt, schwer zu erringen ist. Je höher sie hängt, desto werther wird sie ihm.“

Jetzt hatten die beiden Männer den Weg nach dem Rathhause eingeschlagen. Da rief die Rotmundin ihrer Gürtelmagd zu: „Stelle jetzt die Leckerlein zur Ruhe! Geh’ vor die Thür und hab’ Obacht, daß uns Niemand belauscht!“

Dann erhob sie sich und begann feierlich zu den aufhorchenden Frauen zu sprechen:

„Liebe Muhmen und Basen, Freundinnen und Gevatterinnen! Es ist Euch bewußt, in welch kläglichem Zustande sich das hiesige Frauenvolk befindet. Während überall dasselbe sich schmücken darf nach seinem Gefallen, werden wir allhier seit unvordenklichen Zeiten verunziert mit einem Kopfputz, so ‚Sturz‘ genannt wird. Als Tochter einem der Geschlechter angehören, heißt so viel, wie zum Unglück geboren sein; denn also huckt sich das Scheusal auf ihr Haupt und läßt nur die Augen herausschauen, damit sie an den Leidensschwestern sehen mögen, welch ungefügen Anblick der Sturz der schönsten Frau verleiht. In dieser Sorge hab’ ich mich gen Augsburg gewandt, wo die Frauen allen Weibsbildern des heiligen römischen Reiches deutscher Nation voranstehen in Zierd und Anmuth. Und heut’ hab’ ich die Frucht meines muthigen Unterfangens geerntet. Ich hab’ Euch berufen, auf daß Ihr Euren Antheil daran erhaltet. Wohlbedacht hab’ ich die grämlichen Alten daheim gelassen und nur die Frauen gewählt, die gleich mir erkannt haben, daß eine edle Seele lieber in einem hübschen Gehäuse, denn in einem abschreckenden wohnen mag. Liebe Elsbeth, erhebt Euch vom Fensterlädlein! Ihr hütet, gleich einem Lintwurm, unseren größten Schatz und einzigen Trost.“

Die Rotmundin klappte den Sitz auf und enthob der Lade ein wunderbares Gebilde. Sie las die getrockneten Zweige des wohlriechenden Krautes Botris davon ab, welches vor Motten schützen sollte, und stellte es auf den blank gebohnten Tisch.

Das Gebilde trug die Gestalt eines spitzen Thürmleins, war aus schwerem schwarzem Goldstuck gefertigt, mit Perlen gestickt, und von seiner höchsten Spitze, aus welcher edle Steine und rothes Gold gleißten, schwebte ein langes Schleiergewebe herab. Es war die neueste Augsburger Haube.

„Sie kostet mich zwanzig Gülden,“ rühmte die Rotmundin, „ohne die sechshundert Perlen und ebenso viele Goldknöpfe, mit denen der Schleier verziert ist, und ohne die großen Perlen, die den Rand des Häubleins einfassen. Auch die Kleinodien im Mützendeckel habe ich dazu geliefert aus meiner Schmucklade. Seht, die Karfunkelsteine stellen die neue Blume dar, die man nach der Sonne benamset.“

(Fortsetzung folgt.)




Das historische Festspiel in Rothenburg ob der Tauber.

Von Karl Braun-Wiesbaden.
1.0Vorspiel.

Rothenburg ob (nicht an) der Tauber ist erst seit Kurzem den Deutschen bekannt.

Noch in dem „Bädeker von 1862“ findet man Rothenburg am Neckar, aber nicht Rothenburg ob der Tauber. Im Laufe der letzten zehn Jahre aber hat das baierische Rothenburg dem württembergischen vollständig den Rang abgelaufen. Und mit Recht; denn die Tauberstadt ist der Neckarstadt in ihrem monumentalen Charakter und in ihrer denkwürdigen Geschichte weit überlegen. Unter denen, welche der größeren Menge der deutschen Reichsbürger Kenntniß von diesem „Kleinod aus deutscher Vergangenheit“ brachten, nimmt die „Gartenlaube“ (Nr. 47 von 1868) die erste Stelle ein, und indem ich auf diesen Artikel und dessen Illustrationen verweise, will ich mich hier darauf beschränken, über das historische Festspiel zu berichten, welches am zweiten Pfingsttag in Rothenburg aufgeführt wurde und dessen Ruhm, von den zahlreichen Besuchern aus allen vier Gegenden der Windrose (auch Amerikaner waren darunter) inzwischen schon in der weiten Welt herumgetragen wurde.

Das Festspiel heißt „Der Meistertrunk oder Tilly in Rothenburg“, und wurde zur zweihundertfünfzigjährigen Jubelfeier des 28. bis 30. October 1631 von A. Hörber, Magistratsrath und Glasermeister daselbst, gedichtet. Das Stück wurde aufgeführt von Rothenburger Bürgern, deren Frauen und Töchtern.

Die Bühne im Rathhaus ist das obere Ende eines langen und ziemlich schmalen Saales, in welchem etwa 800 Zuhörer aus der Heimath und der Fremde Platz fanden und dem Stücke mit lautloser Aufmerksamkeit folgten, welche nur zuweilen von stürmischen und endlosen Beifallssalven unterbrochen wurde.

Die Schaubühne und deren Zubehör waren von einer wahrhaft primitiven Einfachheit. An dem Stück und der Aufführung hätte vielleicht ein Kritikaster Mancherlei zu bemängeln, aber die Wirkung der Aufführung war geradezu hinreißend, überwältigend, rührend.

Daß die Vorstellung einen ganz außerordentlichen Eindruck machte, daß ihr das Publicum mit athemloser Spannung folgte, obgleich sie zwei Stunden dauerte, daß viele Thränen vergossen, steht außer Zweifel. Nun könnte man sagen, es sei ganz natürlich, daß auf die Rothenburger ein solches Stück aus der Geschichte ihrer Stadt, auf welche stolz zu sein sie alle Ursache haben, gespielt von ihren Mitbürgern und deren Frauen und Töchtern, den Eindruck nicht verfehlen könne. Allein das trifft nicht zu. Die Rührung war nicht minder groß bei den Fremden, welche an und für sich an den Schicksalen der Stadt, an den Personen der Darstellenden und an den Personen, welche dargestellt wurden, kein Interesse hatten, – auf sie paßten die Worte: „Was ist ihm Hekuba?“ Ein alter Herr, der mir offen gestand, er habe vor kaum vierzehn Tagen zum ersten Mal von Rothenburg ob der Tauber Etwas vernommen, weinte Thränen, die er vergeblich zu unterdrücken versuchte. Und er war nicht der Einzige der Art unter den Fremden.

Abgesehen von dem Inhalt und der Form der Dichtung, hat dazu noch Mancherlei beigetragen.

Zunächst das Bewußtsein, daß wir uns in der Stadt befanden, um die es sich in dem Stücke handelt, und in dem Rathhause, in welchem vor dritthalb Jahrhunderten jene Scenen wirklich gespielt haben. Dann aber auch der Eindruck, welchen die Stadt während der paar Tage, die wir vorher in derselben verbracht, auf uns gemacht hatte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_492.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)