Seite:Die Gartenlaube (1882) 503.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

mußte sie immer wieder an ihn denken. Allerlei wollte ihr nun sonderbar vorkommen — und gerade seit dem Nachmittage bei Grumbachs, obgleich er dort sehr heiter geschienen hatte. Schon gestern, den ganzen Tag hindurch war er gleichsam unnahbar geblieben: nichts von seiner gewöhnlichen Aufmerksamkeit. Selbst ihren Gästen gegenüber hatte er sich augenscheinlich Zwang anthun müssen und schien wie erlöst, als sie Nachmittags abreisten. Um Wichtiges mußte es sich handeln — sonst wäre er nicht während des Erntebeginns fortgefahren, was er nie zu thun pflegte. Und wie flüchtig er — ganz gegen seine Gewohnheit! — Abschied genommen, ohne einmal zu fragen, ob sie nicht Aufträge hätte! Sie persönlich konnte nicht im Spiel sein, war sie sich ja keiner Schuld bewußt!

An Hollfeld dachte sie nun auch, und eher wie verschämt, als daß sie dabei ein Unrecht empfand. — Noch viel vortheilhafter hatte er sich entwickelt. So fesselnd war Alles, wovon er sprach! Wie viel er erlebt hatte! Das Leben in einer Großstadt mußte wohl interessant sein, und sogar bei Hofe war er vorgestellt worden. Ueber die Vergangenheit war natürlich zwischen ihnen kein Wort gefallen; nur fragend angesehen hatte er sie einige Male. Eine rechte Frau bemerkt das aber nicht. Er hatte sich nur verwundert und es gewissermaßen beklagt, daß sie so ganz im Landleben aufgegangen sei. Es war im Grunde auch seltsam — was muß aber mit der Zeit nicht still werden, wenn Dasselbe einen Tag wie den andern füllt?

In einem Seufzer hob sich Alma’s Brust, als aber ihr Blick dabei über den Garten fort in die reiche, blühend schöne Landschaft fiel, wußte sie, was es ihr so verhältnißmäßig leicht gemacht hatte, sich hier an’s Landleben zu gewöhnen.

Sie lauschte. Wenn Bob nicht erst Nachmittags gefahren wäre, so müßte dieses Rollen das ihres Jagdwagens sein. Oder kam noch Besuch? — Mit diesem Gedanken ging sie nach dem Hinterzimmer.

Es war wirklich der Jagdwagen; sie öffnete einen Flügel des Fensters und wollte Bob zuwinken. Er blickte aber nicht herauf.

Selbst das nicht? Dann konnte sich seine Stimmung kaum gebessert haben. Oder sollten etwa wieder so unerquickliche Zeiten bevorstehen, wie in früheren Jahren? Das wäre doch eine harte Prüfung. Und Mancherlei deutete beinahe darauf hin.

Mit dem bestimmten Empfinden, jedenfalls auf Abwehr gerüstet sein zu müssen, schloß sie das Fenster und ging ist das vordere Zimmer zurück. Als Bob noch immer nicht herüberkam, nahm sie ihren vorigen Platz wieder ein und die Näharbeit auf’s Neue zur Hand.

Endlich gingen ein paar Thüren, und Bob trat rasch herein. Sie stand auf, setzte sich aber bei seiner oberflächlichen Begrüßung wieder; auch sagte sie nichts über seine Blässe, welche sie erschreckt hatte, da dieselbe allmählich einer starken Röthe wich. Er mußte sehr erregt sein.

„Die Eltern,“ warf er hin, „grüßen beiderseits. Sie sind wohl. Die Mutter scheint sich in Lisdroy ganz erholt zu haben — — sie sprach überhaupt befriedigt von dem dortigen Aufenthalte.“

Bob hatte die Sätze unzusammenhängend herausgestoßen; so trat Alma an ihn heran und sagte in herzlichem Tone:

„Dir fehlt etwas?“

„O, nichts — nichts!“ wehrte er kurz ab. Nach einer Pause des scheinbaren Besinnens fuhr er aber in derselben abgebrochenen Weise fort: „Mir fehlt wirklich etwas. Wie so Menschenloos ist — ‚Heute roth — —‘ es hat mich seltsam ergriffen.“

„Was? Ein Unglück?“ fragte Alma besorgt.

Er nickte.

„Ich war bei Grumbachs angefahren —“

„Eins der Kinder —“

„Nein — nein! Von den Officieren — Du kanntest ihn von früher —“

„Hollfeld?“ Alma sah Bob, der sich ihr plötzlich zugewandt hatte, wahrhaft entsetzt an.

„Heute Morgen — sein Pferd stürzte — er ist —“

„Todt!“ rief Alma, schwerfällig nach der Wand fassend.

Bob nickte wieder.

„So lieb war er Dir?“

Sie erwiderte nichts, blickte nur regungslos vor sich hin; endlich sagte sie kaum hörbar:

„Er war mein Jugendfreund.“

Bob lachte grell auf.

„Blos Dein Jugendfreund? Also Lüge gegen Lüge! So würdig sind wir unser? Nun, ich darf die meinige zurücknehmen. Ja, starre mich nur an: der Bob hat gelogen — mit Absicht gelogen — vielleicht das erste Mal in seinem Leben! Dein Hollfeld lebt — verstehst Du mich nicht? — lebt! Ich weiß nichts von ihm — bloßer Spaß war Alles — brutal, wie? Ich mußte aber wissen, wie Dir um’s Herz ist.“

„Bob!“ rief Alma, die Hände vor das Gesicht schlagend.

„O, warte nur ab!“ fuhr dieser dumpf fort. „Solcher bitterliche Spaß bringt mitunter gute Frucht. Einen Theil der Schuld hat auch Dein Vater: er wollte mir einreden, Alles wäre bloße Liebelei gewesen. Da sann und sann ich, wie das Wahre zu finden wäre — und mein armer Kopf gab nichts Anderes mehr her, nichts als lauter brutales Zeug; so nahm ich denn das erste Beste, was am sichersten schien. Du wirst das wohl vergeben müssen. Der Himmel schütze Dich, daß Du nicht noch mehr zu vergeben brauchst! Wenn Du ahntest, wie mir im Herzen — nicht da, im Kopf, in dem wüsten Kopfe! — ah! — Doch denke, Du hättest eben nur geträumt — was träumt sich nicht! Damit half ich mir wohl — damals, als es noch anders um uns stand.“

Er lächelte, wie plötzlich Alles vergessend, still in sich hinein. Dennoch hörte er Alma’s Schritte und fuhr auf: „Du willst fort?“

„Ja,“ sagte sie mit vor schmerzlicher Erregung zitternder Stimme, „sollte ich darauf antworten? Oder könntest Du mich verurtheilen noch mehr zu hören?“

Als Bob sie nur mit seinen flehenden, todttraurigen Augen ansah, ging sie stumm weiter und verschwand in der Portière, welche das Nebenzimmer von dem ihrigen trennte.




Einige Tage waren vergangen, herrliche, lichte Sonnentage. Erntewagen, bis zur höchsten Höhe aufgeschobert, schwankten nun unablässig mit ihrer goldenen Last in den Sundittener Hof wie in die Höfe seiner beiden Vorwerke. Es war in diesem Jahre ein Segen ohnegleichen, als hätte die Natur einmal versuchen wollen, wie viel sie ihren geliebten Menschenkindern zu schenken vermöchte. Frohsinn herrschte allerwegen; selbst in die kleinste Hütte war es gleich einem Strahle gedrungen, der auch hier Licht auf die Zukunft warf.

Ein Einziger hatte von dem Allem nichts bemerkt, obwohl es ihn Tag für Tag unstät hinausgetrieben: Bob mied die Menschen; er suchte die einsamsten Waldwege auf oder machte lange Ritte, und oft war es Nacht geworden, bevor er auf schaumbedecktem Pferde zurückkehrte. Je ferner Allen — um so wohler, hatte es geschienen, fühle er sich, bis er eines Morgens den Befehl gab, zwei Pferde zu satteln, da ihn der Reitknecht nach Lisdroy begleiten solle.

Dieser war förmlich froh, einmal mitgenommen zu werden. Hatte er doch schon zu den anderen Knechten gemeint: dem Herrn müsse etwas sonderlich Schweres in den Gliedern stecken — daß es nur kein Unglück gäbe!

Die Pferde waren schnell gesattelt — man ritt. Und je näher die Beiden ihrem Ziele kamen, um so ruhiger, um so ergebener sah Bob nach dem Meere hinüber, welches sich in mattem Blau, nur hier und da gleichsam von einem dunkleren Flaume überhaucht, vor ihnen ausbreitete.

Nach Bob’s Berechnungen mußten die Officiere mit ihren Aufnahmen bereits bis nach Lisdroy gekommen sein, und da heute ein Sonntag, durfte er annehmen, Den, welchen er suchte, wenigstens am Orte zu treffen — was auch der Fall war.

Hollfeld — so erfuhr Bob von dem Burschen des Herrn Lieutenant — sei so eben an die See gegangen, nach der Königshöhe zu. Dieser Zufall berührte Bob angenehm: spricht es sich doch im Angesichte des Meeres leichter als in der Enge eines Zimmers.

Er ging die bekannte Straße, die wenigen Villengärten entlang, später durch das Wäldchen, bis er, aus diesem heraustretend, nach den Dünen abbog. Drüben auf dem schattigen Wege an der Königshöhe promenirten Gruppen von Menschen; vor ihm am Strande suchten nur einige Knaben Bernstein, und in der Ferne unterschied er eine einzelne Gestalt. Ob es ein Officier sei, vermochte er noch nicht zu erkennen. So eilte er vorwärts und sah nun auch bald im grellen Lichte der Sonne, die inzwischen aus einer verschleiernden Wolke hervorgetreten war, das Glitzern von Uniformknöpfen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_503.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)