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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„So will ich morgen mit dem Frühesten zu dem Pater Cyprianus in die Predigerkirche gehen,“ schlug Frau Rotmundin vor. „Er sieht recht stattlich aus in seiner weißen Dominicanerkutte und wird mir gewiß Trost zusprechen, wenn ich ihm mein Leid über Herrn Rotmund klage.“

„Untersteh Dich nicht!“ drohte ihr Mann erschrocken.

„Oder zu den Barfüßern? Oder in das Schottenkloster?“ fragte sie mit unschuldigen Augen.

„Die Mönche sind insgesammt böse Würmer,“ sprach Herr Rotmund mit gepreßter Stimme.

„Armes Männlein,“ beklagte ihn sein Ehegespons und streichelte den gesträubten blonden Bart glatt, „was hast Du für morsche Stützen und Stäbe von Deinen ehrwürdigen Vorvätern ererbt! Die Stürze sind nicht mehr werth wie die Mönche.“

Herr Rotmund öffnete den Mund; sie schloß ihn mit ihrer weichen Grübchenhand.

„Sei gut, Franzel! Laß mich die neue Haube nach der Augsburger Art aufsetzen! Du bekommst auch morgen Spargel in Wein gesotten mit Butter und Essig. Von unserer Meierei draußen in Gostenhof hat der Gärtner einen Kober voll geschickt.“

Er seufzte tief.

„Und wenn ich Dir auch die Erlaubniß geben wollte, es ist ja gar kein solcher leichtfertiger Tand allhier zu haben.“

„Was das betrifft,“ lachte Frau Rotmundin und lief nach der Fensterlade, „ein Häuble hab' ich schon.“

Triumphirend schwenkte sie den flimmernden flatternden Hauptschmuck ihrem Eheherrn unter der Nase.

Herr Rotmund starrte entsetzt darauf hin.

„Thue sofort das schamlose Ding von Dir!“ sagte er zornroth und suchte ihr den Putz aus den Händen zu nehmen.

Aber tapfer, wie der Fähnrich seine Fahne, vertheidigte die Frau ihre Haube. Sie warf ihr Gebände ab, drückte sich das schimmernde Spitzdächlein über die lichtbraunen Locken, faßte zierlich den Schleier und zog ihn in anmuthigem Bogen über die Schulter unter das Kinn. Dann trat sie vor ihren Herrn und lächelte ihn mit ihren Schelmengrübchen an.

„Bin ich nit hübsch?“ fragte sie.

Herrn Rotmund gelang es nur mit großer Gewalt die Augen von ihr zu wenden.

„Und wenn ich auch wollte, nur der gesammte Rath hat darüber zu entscheiden,“ stammelte er.

„So versprich mir, daß Du helfen willst, unsere Sache durchführen!“ bat sie.

Herr Rotmund sah verstört umher.

„Da ist der Schreyer und der Pfinzing und der Holzschuher –“

„Die werden schon mürbe werden.“ tröstete sie.

„Aber was wird die herbe Ursel sagen?“ murmelte er.

„Ist Dir die böse Haut lieber als Dein armes Weib?“ fragte sie wehmüthig.

„Nein – ja – nein; es geht nicht,“ stöhnte Herr Rotmund in Verzweiflung.

Ein lauter Schrei antwortete ihm; die Rotmundin schwankte. Ihr Eheherr wollte ihr zu Hülfe kommen; aber sie spreizte die Finger gegen ihn, als kämen Krällchen aus den weichen Sammethändchen hervor.

Die Gürtelmagd stürzte herein, und nun sank die Rotmundin weinend zusammen.

„Es ist mein Tod. Bringe mich zu Bett. Nein, aufstehen kann ich nit. Nein, Herr Rotmund soll mich nit anfassen, nimmer, nimmer! Ruf’ die Barbaraköchin!“

Die beiden Mägde trugen sie in die Schlafkammer, die kleine Leiter hinauf, welche an die mit Pfühlen hochgefüllte Bettstatt gelehnt war, und legten sie auf ihr Lager.

„Zieht die Vorhänge zu!“ wimmerte sie. „Ich kann den Rotmund nimmer sehen.“

Der arme Ehemann lief um das schwarz und roth bemalte, reich vergoldete Bettgehäuse herum, das die Gürtelmagd mit den bunt gewirkten Vorhängen an beiden Seiten schloß. Auch sie schob die Unterlippe vorwurfsvoll bis unter das Stumpfnäschen.

Rotmund versuchte zwar durch die gothischen Fensterchen zu spähen, welche am Kopfende in der Holzwand der Bettstatt angebracht waren, aber drinnen war es so dunkel wie in seiner Seele.

„O weh mir armen Weibe!“ jammerte es heraus. „Da gehen die steinherzigen Scharhanse hin und bestellen sich güldne und scharlachne Kleider, und wir sollen sitzen wie der Kauz im Fröschthurm. Ach, ich Aermste! Warum hab’ ich nit auf den Herrn Haller gewartet, bis er von Venezia heim kam? Der hätt’ mich gewiß gern gefreit, und da dürft’ ich auch ein Geschmuck auf dem Kopfe tragen und fröhlich sein.“

Bei den letzten Worten stand Herr Rotmund wie vom Donner gerührt. Dann stürmte er hinaus und warf die Thür krachend zu, daß das ganze Gemach erbebte, und die kostbaren Emailschalen, die in Gold gefaßten Krystallbecher auf dem Kandelbrett in’s Wanken kamen.

Als die Schaustücke und auch die erschrockne Gürtelmagd ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatten, öffneten sich die Bettvorhänge, und der Lockenkopf der Rotmundin lugte heraus.

„Nun geh gleich in die Apotheke, hole Baldrian und laß von der Barbaraköchin ein Tränkle daraus bereiten! Untersteh Dich aber nit, den Sud hereinzubringen! Meine Nase kann ihn nicht ertragen. Wenn’s nur im Hans recht darnach riecht!“

Als nach kurzer Weile die treue Dienerin wiederkam, erzählte sie, in der Apotheke sei ein Gedränge gewesen von den Gürtelmägden aus allen Geschlechterhäusern, die nach Cardobenedictenwasser, Theriak und ähnlichen hochangesehenen Mitteln gerufen hätten, und wären alle in großer Bestürzung gewesen, als sei ein Sterbslauf ausgebrochen. Und da sie sich klagend heimbegeben hätten, sei noch von der Burg ein Knecht gestürzt gekommen, um den Bader zu rufen, daß er dem Schultheiß die Ader schlage.

„Das geschieht den steifen Wockenstöcken schon recht,“ lachte die Rotmundin. „Wohlan, Ihr Herren! Die Fehde hat begonnen. Leib und Leben setze ich ein für unser Panier, die herzallerliebste Haube. – Nimm das Schriftstück aus dem Tischkasten im Chörlein und trage es morgen mit dem Frühesten auf das Rathhaus. Es soll unter den wohlweisen Rath fahren, wie der Schuß der scharfen Metz von Nürnberg unter verschlafene Söldner. – Dem Wilhalm Haller aber will ich die allererlesenste Gunst erweisen, daß der Elsbeth und dem Rotmund vor mir grauen soll. Nun, gute Nacht! Ich habe eine sanfte Ruh wohl verdient.“

Sie legte sich auf ihr rosiges Ohr und schlief flugs und fröhlich ein. – – –

Als sich am andern Morgen der Rath versammelte, gab es unter den Stadtknechten verwundertes Kopfschütteln. Es waren doch nur festliche Anordnungen heute zu treffen für den Besuch des Erzherzogs, und nur hoher Gnadenbezeigungen des fürstlichen Gastes durfte die Stadt sich gewärtigen, und doch kamen die hochmögenden Herren mit eitel verstörten Gesichtern, drückten sich die Hände so bekümmert und theilnahmsvoll, wie es sonst nur bei Leichenbegängnissen üblich war, und selbst der Schultheiß, der Herr Ritter von Obernitz, seufzte tief auf, während er seinen Degen im Vorzimmer ablegte.

Einzig Herr Wilhalm Haller, der Junggesell, sah ruhig aus, so man den hoffärtigen und unzufriedenen Zug nicht rechnete, der seit seiner Reife über seinen dunklen Augenbrauen brütete.

Als sich die Herren um die grün behangene Tafel reihten, blieben alle Blicke an einem Schreiben hängen, welches auf derselben niedergelegt war. Mit Schrecken erkannte Herr Rotmund auf demselben die dicken Striche und Haken, welche seine Frau Eheliebste dem Papier einzuverleiben pflegte.

Auf einen Wink des Schultheißen erbrach und las Wilhalm Haller die Bitschrift, und in seiner Stimme klang derselbe Trotz und Groll wie aus dem Gesuch der Frauen, in welchem sie um Entledigung der Stürze und um die Erlaubniß baten, die Augsburger Haube tragen zu dürfen. Gleich Steinbildern saßen die Väter der Stadt um den Tisch. Aber als der junge Rathsherr an die Unterschriften kam, gab es verlegenes Rücken und Räuspern. Da fehlte kaum eine Ehehälfte, kaum ein naseweises Töchterlein der ehrenfesten Männer; da war keiner, der nicht wenigstens ein artiges Bäschen unter den Bittstellerinnen hatte. Wilhalm Haller aber rief jeden Namen so nachdrücklich und laut aus, als verkünde er die Sieger beim Ringleinstechen.

„So scheint doch den Nürnberger Frauen endlich ein Licht aufzugehen,“ sprach er, als er zu Ende war.

„Werfet nit Alle in einen Topf!“ knurrte Imhof. Meine Eheliebste hat sich nit unterschrieben und meine Tochter das Haus verlassen, in dem ihr solche Zumuthung gestellt worden ist.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_507.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2023)