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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

      Aber mit einmal
Faß’ ich den Freund, faßt er mich am Arme:
„Sieh dorthin, dorthin!“
„Tritt hierher, hierher!
So siehst du satter das Wundergebilde.“

     Eines Felsens gehöhltes Halbrund, wie eine
Urne, umhemmte den drängenden Quell,
Und den Fels umstanden die ragenden Stämme,
Die Säulen im Chor den Altar umsteh’n.
Doch die Urne füllte das ruhlose Wasser,
Und in lichten Strängen,
Dreifach getheilten, dann wieder vereinten,
Floß es vom Rand
In krystallenem Falle zur Tiefe weiter.
Von oben aber malte der Aether
Im Wasserspiele die Wipfel der Bäume,
Wie wenn vom Jenseits aus ewigen Tiefen
Himmlische Maien herüberwehten.

     Aber mein Kind an Armen und Händen
Fester hielt ich und sprach zu ihm:
„Sieh, heute so sonnig,
Doch andere Male
Bei Sturm und Donner wandelt die Welle,
Wandelt bei immer wechselnden Lichtern,
Und so wandeln, mein Kind, wir selber,
Wandelt die ganze fluthende Zeit,
Ein junger Zustrom,
Ein kleiner Aufhalt,
Ein kurzer Fall.

     Doch das Auge der Welt schaut zu, schaut zu,
Und vom Auge der Welt sind wir auch ein Theil,
Ich und du, mein Kind,
Und der Freund, der uns führt,
Und wir sehen verwundert,
Wie das Wasser kommt,
Wie das Wasser geht,
Und wir auch dazu.“

     Doch der Freund, der Meister des Pinsels, zaubert
In Farben das Bild, zu erfreuen die Herzen,
Und ich versuch’ es
In unzulänglich tastenden Worten.

J. G. Fischer.




Bob Zellina.
Novelle von Karl Theodor Schultz.
(Fortsetzung.)

„Sie werden,“ begann Bob das Gespräch, „wenn Sie mich angehört haben, hoffentlich vergeben, daß ich Sie bis auf Ihren Spaziergang verfolgte.“

„Ich bitte gehorsamst.“

„Wäre es Ihnen genehm,“ setzte Bob hinzu, „so dächte ich, wir gingen noch ein Stück weiter am Meere hin.“

„Befehlen Sie ganz über mich!“ unterbrach Hollfeld und schloß sich Bob, der bereits wieder vorwärts schritt, an.

„Nicht wahr,“ fuhr dieser fort, „Sie gestatten mir so zu sprechen, wie es der Augenblick mir eingiebt? Vielleicht manchmal formlos – sogar mit Gedankenstrichen? Es würde mir schwer fallen, müßte ich die Worte wägen.“

„Ich kann nur wiederholen,“ versicherte der Officier mit höflicher Wärme, „daß Sie über mich verfügen dürfen, Herr Zellina. Durch welcherlei Vertrauen Sie mich ehren wollen – ich stelle das Was und das Wie völlig in Ihr Ermessen.“

„Besten Dank!“ antwortete Bob, indem er leicht den Kopf neigte. „Und so denn ohne weitere Einleitung! – Ich habe nie gewußt, Herr Baron, daß meiner Heirath eine Herzensgeschichte vorangegangen; diese Vermuthung lag mir ganz fern, da der Widerstand, den Alma meiner Werbung entgegensetzte, zu gering blieb, um irgend ein Mißtrauen zu erwecken; er fand auch in ihrem Verhältniß zum Vater eine ausreichende Erklärung – wenigstens für mich, dessen – erste Liebe Alma war! Solche erste Liebe, wissen wir ja, ist nicht besonders hellsehend. So ging ich mit dem Gefühl in die Ehe, zwar keine heiß Liebende mein zu nennen, doch mindestens ein Herz, welches sich noch zu verschenken hätte. Ich hoffte ja damals noch von Tag zu Tage, nun müsse sich mir der Kelch erschließen, und das wurde mir anfangs nur ein Reiz mehr; später steckte ich schon weitere Grenzen, immer weitere – und endlich – doch was soll ich Ihnen mit Einzelheiten lästig fallen? – endlich sah ich ein, daß mein Ringen umsonst. Aber da eile ich doch zu sehr. Bevor Sie kamen, hoffte ich wohl immer noch – leise, schwach.“

Die Weise seines Sprechens hatte etwas Monotones, aber ihre Wirkung war darum nur um so eindringlicher.

„Bevor ich kam?“ fragte Hollfeld erregt. „Ich habe Ihre Frau Gemahlin jetzt ein einziges Mal längere Zeit, das heißt ein paar Minuten allein gesprochen, sonst blos Worte mit ihr gewechselt, wie das eine allgemeine Unterhaltung mit sich bringt. Und selbst in jenen Minuten des Alleinseins! – sie hatte nach meinem Leben in Berlin gefragt, ich schilderte ihr das – –“

,O Herr Baron,“ fiel Bob ein, „ich bin überzeugt, daß weder von Ihrer noch von Alma’s Seite das Geringste begangen werden könnte, was meiner Ehre zu nahe träte. Mit meinem Ausdruck – ,bevor Sie kamen!‘ wollte ich auch nicht anklagen: ich mußte ihn brauchen, da er mir zum Ausgangspunkte für Neues geworden ist, für etwas Neues, von dem ich herzlich hoffe, daß Sie es hinnehmen werden — nicht blos als Nothwendiges, auch als das einzig Rechte und darum Gute. – Bevor ich davon spreche, muß ich aber Wahrheit gegen Wahrheit fordern. Ich will nichts von Schonung. Ich bedarf deren nicht mehr: Sie mögen das im Augenblick noch nicht so begreifen – ich stehe nun aber darüber, und Alles ist für mich wie ein Fremdes.“

Bob war stehen geblieben und hatte unverwandt in die Ferne gesehen, hinüber nach der zarten Linie, in der sich das Meer vom Himmel schied.

„So weit ich verstanden, wollten Sie eine Frage thun?“ begann Hollfeld die Unterhaltung von Neuem.

Bob wandte sich langsam um und sagte:

„Gewiß – eine Frage, auf welche die Antwort so selbstverständlich ist. – Was Sie damals für Alma empfanden – es ist nicht anders geworden?“

„Herr Zellina!“

„Ich kann es Ihnen noch leichter machen: es braucht nur einer Antwort, wenn ich im Irrthum sein sollte. Dann hätten Sie also vergessen, und das wäre jetzt ein Unglück, Herr von Hollfeld.“

„Ich fasse Sie nicht.“

„Sie werden es sogleich; denn ich darf ja nun annehmen, daß Alma uns noch Beiden so lieb ist – wie sie es freilich nur um Sie verdient hat.“

„Um mich?“ fragte Hollfeld finster. „Wenn Sie wüßten! – Aber unser Gespräch ist so seltsam – auf Alles wäre ich eher vorbereitet gewesen, als darauf. Ja wie Sie eben kamen, fragte ich mich, ob irgend ein Zufall Ihnen eine Veranlassung gegeben haben könnte, mich zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Und nun?“

„Nun,“ rief Bob schmerzlich lächelnd, „stehen sich zwei Männer gegenüber, einander gleichwerthig, gleich liebend – vielleicht sogar ebenso glücklich. Wir müssen dieses Glück nur tief genug fassen. Ihnen soll jene blaue Blume erst jetzt erblühen – für mich hat das große Welken schon begonnen, dem Keiner von uns entgeht, und wenigstens das Alterthum pries auch Den, der bereits überwunden hatte. Ja, Hollfeld!“ – er reichte ihm die Hand, in welche dieser einen Augenblick die seinige legte – „fort mit allem Aeußeren, Fremden! Lassen Sie uns thun, als ob wir Freunde wären! Schon seit Tagen habe ich nicht anders an Sie gedacht, nur als solcher zu Ihnen gesprochen – in Gedanken! Jetzt also in Worten. Und dem Freunde muß es ja leicht werden, bis in das Herz des Freundes zu sehen und nach dieses Herzens Wunsch zu thun. – Ich werde mich auch äußerlich von Alma trennen –“

„Um nichts –“

„Lassen Sie mich aussprechen!“ unterbrach Bob bittend. „Was nichts war und nie etwas werden kann, hat nirgends ein Recht, zu bestehen. Ich bin gewiß nicht für leichtgesinntes Scheiden: die Ehe ist vielleicht das Höchste, Unirdischste, was wir erringen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_514.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)