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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

können – es sollte Niemand daran rütteln, schon um der Schwächeren willen – Niemand, der nicht muß. Das muß aber, wer vor sich selbst, diesem höchsten Richter, fühlt und weiß, daß seine Ehe ein Hohn auf diesen großen Gedanken ist. Und ein solcher Hohn wurde die meinige – ich muß es wiederholen – in dem Augenblicke als Sie kamen. Nein, sie ist es ja von jeher gewesen; ich hatte es nur nicht gewußt oder mich betäubt – was geht uns das heute noch an? Seit ich aber wissend geworden, da mußte der Kampf beginnen, der Sieg jedoch war mir von Anfang an sicher.“

„In diesen wenigen Tagen!“ warf Hollfeld bestürzt ein. „Es scheint uns da wohl Manches errungen, was die Zeit wieder ändert oder doch mildert.“

„Nicht bei mir!“ versetzte Bob heftiger. „Ich habe es Ihnen schon gestanden, es zum wenigsten angedeutet – muß ich mich noch mehr demüthigen? Es giebt ja Leichtsinnige unter uns, die dergleichen tragen, auch Glückliche, die solche Liebe ihres Weibes bezwingen, denen die Kraft – die Willensherbigkeit zu eigen, sich ihr Weib zu Füßen zu werfen, daß es nichts mehr weiß und sieht, als diese Gewalt über sich, über all sein Empfinden – und darum vergessen lernt, was gewesen! Mir ist solche Kraft nicht gegeben: für mich blieb Alma stets die geschlossene Blüthe, die ihren Duft, ihr süßestes Sein – wie aus Instinct, möchte ich sagen – wahrte, liebend wahrte für den Einen, den sie sich erwählt hatte. Und könnten wir sie darum gering achten? Könnten Sie es – Sie, der dieser Eine ist? Aber auch ich bin meiner so weit Herr geworden, daß ich Alma wie Ihnen gönne, was mir nicht beschieden war.“

„Wo hinaus wollen Sie?“ erwiderte Hollfeld gepreßt. „Möchten Sie mich mitstraucheln machen, daß Sie mir Bilder wachrufen, das Herz fiebern lassen um Unmögliches?“

„Diese kurze Unmöglichkeit! – Ein Jahr! So will es das Gesetz – und warum sollten Sie gesetzlicher sein als das Gesetz?“

„Auch Alma weiß darum?“

„Noch nicht!“

„Nun, ebenso wenig wie ich,“ rief Hollfeld etwas erlöst, „könnte sie darein willigen –“

„Meinen Sie?“ fragte Bob, indem er nun umkehrte, mit dunkler Stimme. „Und sie ist Ihnen doch keine Fremde? Ich weiß zufällig durch einen Brief ihres Vaters, der sich nach seiner Art damit rein zu waschen suchte, was sie Ihnen damals angethan hat: das ist einmal ihrem Charakter gemäß, muß also getragen werden. Und so wird sie auch jetzt vielleicht Thränen finden, sich wieder gezwungen dünken, doch schließlich thun, was wir nun Beide wünschen müssen. Dabei mag es ihr noch zu einer gewissen Erleichterung werden, daß ich durch eine Schuld meinerseits momentan mit ihr gespannt stehe. Aber noch einmal: richten dürfen wir da nicht. Sie ist ein holdes, schwaches Weib – nichts weiter – ein echtes Weib in ihrem Denken, Fühlen und Handeln, so scheu wie lenkbar und sanft im Dulden. Nur ihr eigenstes Selbst – wie ich ja schon sagte – das wußte sie zu schützen, zu behüten. Darum gepriesen der, der diesen Schleier heben darf!“

„Wohl! Gepriesen der! Und dennoch – es kann ja nicht sein –“

„Wollen Sie mir sagen, warum nicht?“ fuhr Bob in weichem Tone fort. „Sie lieben Alma noch; daß sie nicht weniger für Sie fühlt, weiß ich seit dem Tage, wo ich Sie zusammen gesehen – und aus jener Schuld, einer traurigen Probe, zu der ich mich hinreißen ließ, von der sie Ihnen wohl einmal sprechen wird. Beurtheilen Sie mich dann nicht zu streng! Auch unserer Scheidung können wenig Hindernisse in den Weg gelegt werden: keine Kinder fordern eine Mutter; Alma mag es leicht erscheinen, ihrer Abneigung Worte zu leihen. Mir? Was bedeute ich noch? – Vermögensfragen dürften ebenso wenig Schwierigkeiten –“

„Wenn auch nicht bei Ihrer Scheidung,“ unterbrach Hollfeld hastig, „so würden doch gerade diese, selbst wenn sonst an meine Vereinigung mit Alma zu denken wäre, dieselbe unmöglich machen. Ich bin arm – noch Jahre –“

„Auch das habe ich reiflich bedacht,“ fiel Bob in derselben gelassenen Weise ein. „Ich kenne ja die Vorurtheile, die Alle, welche zur Gesellschaft gehören, dem armseligen Gelde entgegenbringen: man nimmt wohl, ohne sehr hinzusehen, des Anderen Leben an, zertritt meinetwegen sein Herz – verfügt aber bei Leibe nicht über dieses so Unnütze, wenn das Uebrige fehlt. – Darum werde ich auch Alma nur die Summe übergeben, deren Zinsen ihr schon bisher als Nadelgeld gehörten. Und ich würde so unendlich gern reicher geben, da ja Niemand auf der Welt darum verkürzt würde. Sie ist immer meine Frau – meine liebe, getreue Frau gewesen. Ich wage es aber nicht, um bei Ihnen keine Scrupel zu erwecken; denn dieses Wenige werden Sie ihr doch gönnen? Sie könnten nicht verlangen, daß meine Frau entbehre. Schon das Gesetz würde das fordern, über Nothwendiges hinaus aber biete ich nicht. Sie schweigen?“

„Mann – Freund!“ rief Hollfeld. „Sie kehren mir das Herz um und um – ich begreife ja Ihren Edelmuth, die ganze Größe Ihres Wollens – und trotzdem, ich kann nicht. Denken Sie auch an mich! Bis jetzt hatte ich Sie kaum gekannt, wenn mich aber etwas an Sie erinnerte – daß dann nicht gerade freundliche Gefühle in mir wach wurden, vermöchten Sie mich deshalb anzuklagen? Und von Ihnen soll ich die Gattin, Ihre Gattin – und noch Vermögen dazu nehmen! Wäre das möglich ohne Einbuße an Selbstachtung – an Ehre?“

„Wer von uns,“ versetzte Bob langsam, „ist wohl stets so rein geblieben, daß Nichts – Nichts in seiner Vergangenheit wäre, über das er nicht erröthen würde, wenn er es sich recht zurückriefe? Und doch muß man es tragen und trägt es, weil wir dunkel fühlen, das sei einmal Menschenart, Menschenloos. So gebe ich Ihnen zu – ein gewisser Vorwurf möchte bleiben; es wäre gütiger vom Geschick gewesen, wäre es ohne diesen Vorwurf gegangen, aber fragen wir uns, was hier auf dem Spiele steht! Hollfeld, nicht blos Ihr Glück – das unserer Alma vor Allem, verlangt diese winzige Demüthigung von Ihnen – in Wahrheit winzig, wenn Sie denken – was Anderen aufgegeben wird. Zudem sehen Sie mich wohl nie wieder – von dem Ganzen erfährt Niemand etwas Bestimmtes. Sie gehen nach Berlin zurück – bald hat alle Welt uns wieder vergessen; sie hat viel mehr zu thun, als an uns zu denken. Worin also läge das, was Ihrer Selbstachtung zu nahe treten sollte?“

„So rasch faßt das mein Gewissen nicht,“ erwiderte Hollfeld ausweichend. „Sie mögen auch in Vielem Recht haben, doch mein Gefühl hat nicht minder Recht.“

„An meiner Wittwe würde Ihr Gefühl aber nichts auszusetzen wissen?“ fragte Bob in finsterem Ernst.

Hollfeld preßte die Hand auf’s Herz und sah ihn an, als ob er ihn nicht verstanden hätte.

„Ich bin darauf nicht gekommen,“ fuhr Bob eintönig fort. „Vielleicht nur aus Schätzung Ihrer Person. Erst hier am Meere fiel auch das mir ein. So lasse ich Ihnen die Wahl: Tiraden darüber widerstehen mir – Sie dürften aber auf mich bauen. Wählen Sie frei – das oder das! Ein Drittes gäbe es nicht.“

„Sie sind furchtbar, Zellina!“ rief Hollfeld, indem er einen Schritt zurücktrat. „Ich lese in Ihren Augen –“

„Daß ich sterben kann,“ fiel Bob mit wehmütigem Lächeln ein. „Wer kann das nicht, wenn sein Abend gekommen? Und der meine ist da! Ueberlegen Sie nun! Ich will schweigend neben Ihnen hingehen, doch lassen Sie es uns jetzt zu Ende bringen! Ich bin tief erschöpft und bedarf des Friedens.“

Nach einer Strecke stummen Dahinwanderns sagte Bob, der auf Hollfeld gesehen hatte: „Nennen Sie es vor Allem keinen Zwang oder doch nur einen, wie ihn der Arzt anwenden muß! Wäre ich früher darauf gekommen, hätte ich Ihnen die Wahl erspart. Jetzt geht es wohl nicht mehr – jetzt würde, wie ich Sie nun zu kennen glaube, ein solcher Todter noch viel mehr im Wege stehen als der Lebende.“

„Viel mehr!“ versetzte Hollfeld schaudernd. „Dann wäre es ganz undenkbar.“

„O, so geben Sie mir die Hand!“ bat Bob ungestüm. „Jetzt höre ich es schon wie fernherüber, wenn Sie Alma sagen werden: ‚Endlich mein!‘ Und nehmen Sie immer an, Freund, daß auch ich nicht unglücklich sei: ich dachte bisher nur zu viel an mich selbst und gab so den Uebrigen nicht, was ihnen gebührte. Das soll nun anders werden. – Sie nannten vorher mein Wollen groß: ich las oder hörte aber einmal, das Große thue nur, wer nicht anders könne. Das ist es. Nicht einmal des Dankes also bedarf es, weil ich einfach so thun mußte. Und Sie müssen nun auch – nicht wahr? Fort mit allem Kleinen! Blicken wir auf’s

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