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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


um die leeren Cassen wieder zu füllen, und verfiel dabei auf alle nur erdenklichen Mittel. Die Steuerschraube wurde noch fester eingesetzt, obwohl das arme Volk schon bis auf’s Blut ausgesogen war, was wörtlich zu nehmen ist; denn die Abgaben gingen nur noch mit Beihülfe der Bastonnade ein, die im ganzen Lande in ununterbrochenem Flor stand und nur zum Schein in den beiden Hauptstädten aus Furcht vor den Generalconsuln unterdrückt war.

Auch die Vorauszahlung der Steuern auf ein halbes, dann auf ein ganzes Jahr war beliebt worden; sie sollte aber erst nach fünf Jahren rechtsgültig werden, sodaß durch dieses Manöver eigentlich doppelte Steuern gezahlt wurden. Auch eine sogenannte freiwillige Anleihe für alle Besitzenden wurde im Lande ausgeschrieben, und wer zögerte, nicht gutwillig gab und sich dadurch als ungefügiger Unterthan erwies, für den hatte man nach orientalischer Manier allerlei Mittel und Wege, ihm das Leben so sauer wie möglich zu machen. Die Anleihe sollte unkündbar sein, aber mit acht Procent verzinst werden; man hätte leicht das Doppelte versprechen können, da man doch nicht die Absicht hatte, die Zinsen zu zahlen, was sich auch bald genug herausstellte. Dabei wurden an den Börsen von Paris und London verschiedene neue ägyptische Anleihen angelegt, aber die dortige hohe Finanzwelt war schwierig geworden, witterte Unheil und ließ sich ihre Bereitwilligkeit horrend bezahlen.

Im Hintergrunde dieser abenteuerlichen Jagd nach dem Mammon stand inzwischen nach wie vor der nimmersatte Großherr in Stambul, der den gesetzlichen Jahrestribut von 160,000 Beuteln (gegen 20 Millionen Franken) schon wie gewöhnlich vorweg erhalten hatte und unter allerlei Vorwänden immer neue Summen verlangte; je mehr er bekam, desto mehr verlangte er. Die hohen Zinsen für die Staatsschuld, die schon damals über 2 Milliarden Franken betrug, absorbirten den größten Theil der gesammten Staatseinnahmen, und die Bekämpfung der furchtbaren Nilschwelle vom Jahre 1874, welche Mißwachs, Viehsterben und Pferdeseuche im Gefolge hatte, verschlang neue Summen.

Preisgekrönter Entwurf zum Reichstagsgebäude von Paul Wallot in Frankfurt am Main.

Und trotzdem wäre es bei der außerordentlichen Ertragsfähigkeit des Landes und unter Hinzunahme des unermeßlichen Privatvermögens des Khedive, das, gering angeschlagen, 8 bis 10 Millionen Pfund Sterling betragen soll, doch vielleicht noch möglich gewesen, das Schlimmste abzuwenden und eine einigermaßen befriedigende Bilanz des Budgets herzustellen, wenn nur der Khedive seinen verschwenderischen Hofhalt und seine unsinnigen Anlagen und Bauten beschränkt und vor Allem das Brandschatzungssystem in den einzelnen Provinzen von Seiten der Gouverneure unterdrückt hätte. Aber das Erstere erlaubte ihm seine Eitelkeit und Prachtliebe nicht, und zu dem Letzteren fehlte ihm die persönliche Energie und die Unterstützung uneigennütziger Vaterlandsfreunde.

Die Vicekönigin-Mutter (um nur einige „Kleinigkeiten“ im Vorübergehen zu erwähnen) bezog nach wie vor monatlich ihre 100,000 Franken; die an Mansur-Pascha verheirathete Lieblingsschwester des Gewaltigen erhielt eine gleiche Summe, und der Unterhalt seiner eigenen Harems verschlang monatlich mehr als das Zehnfache jener Summe; denn er hatte vier legitime Gemahlinnen, was bekanntlich der Koran gestattet, und mithin vier besondere Hofhaltungen, da jede Gemahlin einen besonderen Palast bewohnte und zwar jede mit einer hohen und niederen Dienerschaft von wenigstens zweihundert Personen an Frauen, Sclaven, Sclavinnen, Eunuchen etc. Und dabei kamen noch immer in Alexandria zur Ausstattung der neuen, wenn auch erst halbfertigen Paläste, ganze Schiffsladungen von Pariser Luxusmöbeln, von Lyoner Sammet- und Seidenstoffen an, Porcellan- und Krystallservice, goldene und silberne Tafelgeräthe u. dergl. m., und Alles zu dreifach höheren Preisen. Eine einzige solcher „Commissionen“ hat damals manchen Agenten zu einem vermögenden Manne gemacht.

Aber auch am Nil geht der Krug nur so lange zum Wasser, bis er bricht, und der erste Krach geschah am 9. April 1876, wo ein vicekönigliches Decret die Zinsen der Staatsschuld eigenmächtig auf fünf Procent herabsetzte und außerdem die Zahlung der fälligen Coupons um sechs Monate hinausschob. Das war, wie Talleyrand vom russischen Feldzuge prophezeite, le commencement de la fin, der Anfang des Endes. Jetzt gingen auch dem Einfältigsten die Augen auf, und die Optimisten, die bis dahin die schreienden Mißbräuche der Finanzverwaltung, zumeist wohl nur, um dabei im Trüben zu fischen, bemäntelt hatten, verschwanden von der Bildfläche. Jenes Decret sprach auch von einer speciellen Commission zur Reorganisation der Staatsfinanzen, zu welcher auch europäische Finanzcapacitäten hinzugezogen werden sollten, und zwar speciell englische und französische. Was damals dem großen Publicum als ein freier Entschluß des Landesherrn zu einer endlichen Reform erschien, war es schon nicht mehr; die Engländer und Franzosen, als Hauptgläubiger Aegyptens, hatten sie dem Khedive einfach octroyirt: willst Du nicht gutwillig, um den Schein Deines Hoheitsrechtes zu wahren, so kommen wir, ohne Dich weiter zu fragen.

Hier ist es nöthig, auf die von jeher in Aegypten herrschende Rivalität zwischen den Franzosen und Engländern hinzuweisen, die von Jahr zu Jahr, wo die Frucht reifer und reifer wurde, immer mehr hervortrat; denn Jeder hätte sie gar zu gern für sich allein gepflückt. Beim Khedive selbst war übrigens längst eine Sinnesänderung zu Gunsten der Engländer eingetreten, und natürlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_517.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)