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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

mußte wie dem Wanderer die versunkne Stadt, welche in jedem Jahrhundert nur einmal auftaucht. Und er sollte alsdann mit der verstocktesten Geschlechterin am Arme umherstolziren, mit der Elsbeth Imhofin? Nein, die war für ihn, den aufgeklärten Mann, keine Gesponsin – es sei denn, daß sie ihren starren Sinn breche. Und gleich auf dem Flecke sollte sich der Handel entscheiden. Sie sollte sich seinem Willen beugen – das kam ihr um so mehr zu, als der liebe Gott ihr kein allzu helles Lichtlein im Kopfe entzündet hatte – oder er wollte ihrer ledig sein, daß das Gedenken an sie nimmer seinen fröhlichen Muth darnieder schlagen konnte.

Da war ja schon das gothische Thürmchen, welches das Imhofische Haus auszeichnete.

Mit trotzigen Schritten und stolz erhobnem Haupte trat er ein. Eine kühle Luft wehte ihm aus dem weiten Hausflur entgegen. Er kannte hier jeden Winkel und wußte, welcher der dunklen Gänge, in die er blickte, nach dem Wurzgärtlein, und welche nach dem Contor und den Speichern führten.

Die Thür der Küche war offen, und Elsbeth stand drinnen. In sein grollendes Gemüth schlich ein heimisches Gefühl, da er sie an der Anrichte hantiren und dem Gesinde das Mittagsbrod zutheilen sah, so gerecht und ruhig, wie es seine gute Mutter selig auch geübt hatte. Sie trug das Gebände, den Goldlatz und das Schürzenfleck wie jene, und an ihrer Seite hing ein mächtiges Schlüsselbund. Jetzt wandte sie ihm die Augen zu.

Er erwartete, daß sie ein wenig erschrecken werde bei seinem Anblicke. Aber sie erröthete nicht und erblaßte nicht. Er grüßte sie mit der neuen spanischen Reverenz, indem er die Spitze des rechten Fußes rückwärts gleiten ließ und das Knie beugte, während er mit der linken Hand den Hut so tief abnahm, daß die Feder die Fliesen streifte, aber sie schaute seiner kunstvollen Verneigung zu wie dem Seilfahrer, der sich beim Schützenfest zu zeigen pflegte, und als er geendet hatte, sagte sie trocken. „Grüß’ Gott!“ ohne in ihrer Verrichtung sich stören zu lassen.

Dagegen nahte ihm eilig die alte Imhofin.

„Je, Wilhalm, grüß’ Euch Gott, mein lieber Bub’!“ rief sie. „Kommt Ihr endlich? Waren Eures Besuches kaum mehr gewärtig. Folgt mir in das Wohngemach!“

Wilhelm schaute die Elsbeth an. Sie sprach:

„Sobald ich die Speis’ vertheilt habe, komm’ ich auch. Der Hirsebrei möchte sich sonst zu sehr verkühlen.“

Da schritt er zornig der Mutter nach durch die spitzbogige Thür in das Gemach.

Hier war noch Alles wie sonst. Es herrschte noch dasselbe Zwielicht; die kunstvoll geschmiedeten starken Eisengitter vor den in Blei gefaßten runden Fensterscheiben warfen wie sonst ihre Schatten auf den Gypsfußboden, der das ihm wohlbekannte Sternmuster von eingelegten bunten Steinen zeigte. In der Fensternische lag noch Wockenstab und Spindel, und es roch auch noch so wie früher nach Gelbveiglein, die Elsbeth in jedem Frühjahr in’s Fenster stellte. Dereinst athmete er den Duft gern ein; jetzt schien er ihm den freien Athem zu benehmen. Die Imhofin lud ihn auch auf den alten Ehrenstuhl mit den Leopardenköpfen an den Armlehnen und den Greifenklauen an den Füßen zum Sitzen ein und sprach gütevolle Worte zu ihm, die er nicht vernahm, da er die Augen ungeduldig nach der Thür richtete.

Als sich diese endlich öffnete und Elsbeth, jetzt ohne Küchenschurz, hereintrat, rief er sie in hochfahrendem Tone an:

„Habt Ihr Euren Hirsebrei endlich ausgetheilt, der Euch so über Alles wichtig dünkte?“

Elsbeth hielt die Wimpern gesenkt. Sie hing das Schlüsselbund an seinen Ort in den Wandschrank. Dann kam sie langsam näher und antwortete:

„Es muß jedes Ding in der Reih bleiben, so ein Hauswesen bestehen soll.“

„Aber wenn einer der Gefreunde nach langer Reise heimkehrt,“ rief er unmuthig, „und Euch besucht, so ist er nicht das Ding, das untenan tritt, sondern er steht obenan. Und eine edle Jungfrau, welche weiß, was sich ziemt, muß ihn vor Allem willkommen heißen.“

Sie hing den Kopf, während er sie schalt. Dann sagte sie:

„Ihr habt Euch auch Zeit genommen und manches Unnütze vollbracht, ehe Ihr an uns gedacht habt.“

„Was wäre denn unnütz, das ich vollbracht habe?“ fragte er scharf.

„Daß Ihr den heiligen Florian vom Haus herabgeworfen habt,“ erwiderte sie.

„Er war im Weg; ich gedenke statt seiner ein Fenster anzubringen, welches die Treppe erhellt, daß es wenigstens in meinem Hause Licht werde,“ erklärte Haller.

„Aber,“ sagte die Mutter, warum habt Ihr den alten guten Kachelofen aus Eurer Unterstube auf den Kehrichthaufen in der Schütt fahren lassen? Eure liebwerthe Frau Mutter – Gott tröst’ sie! – hat so manche Aepfel und Birn aus selbigem gebraten.“

Wilhalm schürzte die Lippen.

„Das bunte Gehäuse mit seinen widerwärtigen Schildereien hatte keinen Raum mehr bei mir.“

„Es waren alle biblischen Historien darauf abconterfeit,“ sagte die alte Imhofin vorwurfsvoll.

„Ja,“ entgegnete Wilhalm spöttisch, „allzeit holte Kain zum tödtlichen Schlage gegen den Bruder aus, zückte Abraham das Opfermesser nach dem Sohne, wurde Moses in einem gebrechlichen Kästlein ausgesetzt. Es war ein Wunder, daß man an dem Platz je Ruhe gefunden hatte. Ich lasse einen neuen errichten; der hat Säulchen, wie ein Tempel, eine Mauerkrone und eine Farbe wie schwarzer Marmelstein.“

„Und,“ fuhr die Mutter fort, „warum habt Ihr eine schamlose Venusin statt des ehrbaren Ziehbrunnens aufgerichtet?“

Wilhalm hob das Haupt.

„Weil sie die Göttin der Schönheit ist bei dem Volke, das alles Herrliche geschaffen hat, und vor dem wir uns in Demuth beugen.“

„Wie heißt das Volk, und wo lebt es?“ fragte die Imhofin erstaunt.

„Es sind die Griechen, und ihre Macht ist längst dahin,“ belehrte Haller herablassend.

„Ein elendes Volk, das untergegangen ist!“ sagte verächtlich Elsbeth, die wie ein Steinbild dasaß. „Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo die thörichten Menschen wieder nach dem suchen, was Ihr jetzt auf die Schütt fahrt. Warum aber stürzt Ihr Alles auf einmal um?“

„Weil mir Alles widerwärtig ist, was mich an die alte Zeit erinnert,“ rief er ungestüm.

Da war es, als fahre Elsbeth zusammen.

Aber die alte Imhofin schlug die Hände in einander und rief:

„Wollt Ihr Alles lockern, was feststand? Ihr thut übel daran!“

„Und Ihr,“ rief er, empört über ihren tadelnden Ton, „thut übel, daß Ihr als Euer Recht festhalten wollt, was doch hinfällig geworden ist. Jetzt haben Euch noch einmal die kurzsichtigen Väter der Stadt Euren Sturz gerettet. Aber es wird die Zeit kommen, da auch Euer Sturz stürzen und Euer starres Herz sich beugen wird vor einem neuen Recht, das mit dem alten Plunder aufräumt.“

„Wollt Ihr damit sagen, daß auch das Recht wandelbar sei?“ fragte die alte Imhofin entsetzt.

„Ein Recht verjährt,“ antwortete er barsch.

Die Frau bekreuzte sich und wollte eben zu heftiger Widerrede den Mund öffnen.

Da erhob sich Elsbeth.

„Gemach!“ sprach sie. Und mit leiser Stimme, die ein wenig unsicher klang, fuhr sie gegen den Haller gewendet fort: „Ich merke, wo Ihr hinaus wollt. Der Verspruch ist Euch leid, der zwischen Eurer und meiner Sippe gehalten wurde. Warum sagt Ihr es nicht offen? Fürchtet Ihr Euch vor dem Wortbruch?“

„Wortbruch?“ rief Wilhalm und fuhr empor. Und eine so hochgewachsene Jungfrau sie war, er sah sie doch von oben an. „Ich habe mein Wort nicht gegeben; ich brauche es nicht zu brechen. Mein seliger Vater hat die Heirath zwischen Euch und mir mit Eurem Herrn Vater verabredet, und ich habe damals, ein halbes Kind, das ich war, nicht widersprochen. Ich wußte noch nicht, daß zur Brautschaft etwas Anderes gehöre, als die bräuchliche Mitgift. Aber draußen in der Welt habe ich vernommen von einem neuen Recht. Da hieß es, daß, wer ein Weib sich erkiesen wolle, wohl thue, wenn er sein Herz dabei frage. Und über Vater und Mutter solle dasselbige das erste Wort haben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_522.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2023)