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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Blignières erging es wenig besser, bis sich einige besonnenere Officiere in’s Mittel legten und die geängsteten Excellenzen in das Gebäude hineinschafften, wo sie streng bewacht wurden. Dann schickte man eine Deputation ab, um den Khedive zu holen. Ismaïl, der von dem Muthe seines Großvaters wenig geerbt hatte, zögerte anfangs; denn sein Gewissen war nicht rein, aber er ließ sich doch durch einige schnell herbeigeeilte Generalconsuln, unter denen sich auch der deutsche befand, bestimmen, hinzufahren.

Er wurde von der Soldateska mit dem lauten Zurufe empfangen: „Allah schenke Dir tausend Jahre!“

Geld, viel Geld wäre ihm jedenfalls ein willkommeneres Geschenk gewesen – und gleich darauf erklärte er vom Balcon des Palastes, daß alle gerechten Ansprüche berücksichtigt werden sollten etc. Pro forma wurden einige der Haupträdelsführer verhaftet, aber schon nach einigen Tagen wieder freigegeben; das Ministerium reichte seine Entlassung ein, und der Khedive hatte jetzt freie Hand, oder glaubte wenigstens, sie zu haben. Er erließ verschiedene Proclamationen, in welchen er an den Patriotismus der Aegypter appellirte, ein volksthümliches Ministerium verhieß und nur in der Volkspartei seine Stütze finden wollte. Das ägyptische Volk staunte mit Recht über diese Sprache, für die es gar kein richtiges Verständniß hatte; die Fellachen, die bis dahin immer nur Prügel erhalten hatten und zahlen mußten, waren auf einmal die guten Freunde des „Efendina“ geworden und sollten sogar neue Vertreter nach Kairo schicken; denn auch von einer Wiedereinberufung der sogenannten Notabeln, der lächerlichsten aller Komödien der Ismaïl’schen Regierung, war in jenen Proclamationen die Rede. Nur das Eine leuchtete auch dem letzten Fellachen ein: die Nützlichkeit der Beseitigung der fremden Minister und ihres Anhangs, vornehmlich der verhaßten „Ingilis“ – denn bis in das kleinste Dorf hatte sich bereits ihr Einfluß geltend gemacht, und wenn der Mudir (der Gouverneur) dem Kaimakam (dem Untergouverneur) und dieser dem Schech el Beled (dem Dorfschulzen) das strenge Eintreiben immer neuer Steuern gebot, wobei natürlich jeder von ihnen sein Schäfchen im Stillen schor, so sagte der Letztere stets zu den Fellachen: „Der Ingilis hat es so befohlen, und Efendina muß gehorchen.“

Ein Efendina, der gehorchen muß, das war den braunen Nilbewohnern im blauen Baumwollenhemde etwas Unerhörtes.

Aber Efendina mußte gar bald von ganz anderer Seite Befehle vernehmen und gehorchen. Der Staatsstreich, oder richtiger die in Folge desselben verheißene volksthümliche Regierung erwies sich als eitel Windbeutelei, ja die Gesammtlage des Landes war schon dergestalt zerrüttet und der Karren schon so tief festgefahren, daß es dem Khedive, selbst bei dem besten Willen, an dem man aber gründlich zu zweifeln berechtigt war, unmöglich gewesen wäre, jetzt noch ernstlich und durchgreifend zu reformiren. Dabei fehlte es ihm in dieser letzten entscheidenden Stunde, wie während seiner ganzen Regentschaft, an befähigten, energischen und vor Allem an uneigennützigen Männern. Sein Hauptminister und Intimus war ja von jeher der Muffetisch gewesen, und was der geleistet und wie ihm gelohnt wurde, haben wir bereits im vorigen Artikel gesehen. Höchstens wäre noch Nubar zu nennen, sein langjähriger Minister der auswärtigen Angelegenheiten, dessen diplomatischer Schlauheit er alle nach und nach in Constantinopel erlangten Zugeständnisse und Begünstigungen, darunter als die wichtigste die directe Erbfolge für seinen ältesten Sohn, zu verdanken hatte, freilich unter Aufwendung ungeheuerer Geldsummen zu Geschenken und zu Bestechungen im Betrage von vielen Millionen Pfund Sterling. Nubar Pascha war auch der Einzige, der seinem Herrn die Wahrheit sagen durfte, was im Orient noch weit mehr bedeuten will, als im Occident; als er dies aber auch in Bezug auf die unsinnige abessinische Expedition im Jahre 1875 gethan hatte, fiel er in Ungnade und wurde entlassen. Er zog sich in’s Privatleben und zwar nach Paris zurück, wie man sagte, mit einem Vermögen von über eine Million Pfund Sterling. Er war vor zwanzig Jahren als armer armenischer Schreiber nach Aegypten gekommen – das Prädicat „uneigennützig“ dürfte also schwerlich auf ihn passen. Nur durch England und Frankreich gezwungen, hatte ihn der Khedive nochmals als Minister angenommen.

Wir können uns hier auf eine Charakteristik der übrigen Minister nicht einlassen; denn das Gewitter, welches in seinem Schooße den Donnerschlag der Absetzung birgt, zieht schon herauf. Die Vertreter Englands und Frankreichs waren nämlich nicht müßig gewesen; sie hatten nach London und Paris den Verlauf der Dinge gemeldet, mit dem Bedeuten, daß sie unter den obwaltenden Umständen die Interessen der Gläubiger nicht mehr genügend vertreten könnten, worauf die beiden Cabinete eine identische Note an den Sultan schickten, mit dem Ersuchen, der tollen Wirthschaft am Nil durch einen souverainen Machtspruch ein schnelles Ende zu machen.

Die Pression von der Themse und Seine muß am Goldenen Horn sehr stark gewesen sein; denn wider Erwarten ging die Pforte diesmal von ihrem gewöhnlichen Verzögerungs- und Lavirsystem ab, und der Sultan, der noch vor kaum einem Monat große Summen aus Kairo erhalten hatte, um, wie gewöhnlich, ein Auge zuzudrücken, decretirte die Absetzung des unbotmäßigen Vasallen. Ob, wie damals allgemein das Gerücht ging, aus Varzin gleichfalls eine ernste Mahnung gekommen war, die sogar den Ausschlag gegeben haben soll, lassen wir auf sich beruhen; möglich ist es ja immerhin – und schon der Umstand spricht dafür, daß der deutsche Generalconsul der Erste war, welcher einen officiellen Protest bei dem neuen Ministerium einreichte.

Die Pforte war übrigens noch sehr gnädig gewesen, indem sie den Khedive unbehelligt abziehen ließ und ihn nicht zur Rechenschaft zog; aber sie mochte wohl ihre guten Gründe dazu haben; denn wenn der abgesetzte Vasall die volle Wahrheit gesagt hätte, so würde die Welt erfahren haben, daß der Hauptblutsauger Aegyptens von jeher der Sultan selbst gewesen, der Jahr für Jahr den an sich schon ungeheuren Tribut immer doppelt und dreifach empfangen, das heißt erpreßt hatte.

Kläglicher ist aber wohl selten ein entthronter Fürst abgezogen als Ismaïl Pascha; keine Hand erhob sich für ihn, nicht einmal zu einem Abschiedsgruß; keine Stimme der Theilnahme für ihn wurde laut, und die ihm am meisten verpflichtet waren, verließen ihn zuerst. Wie es im „Wallenstein“ heißt:

„Vom Staube hat er Manchen aufgelesen,
Zu hoher Ehr’ und Würden ihn erhöht,
Und sich nicht einen Freund damit erkauft,
Nicht Einen, der in Noth ihm Farbe hielt.“

Um ihm keine Demüthigung zu ersparen, mußten seine beiden Söhne, Hussein und Hassan, ihn in’s Exil begleiten; an dem Ersteren war nicht viel verloren, aber der Zweite hätte wohl ein besseres Loos verdient.

Er hatte als anerkannt tüchtiger Officier einige Jahre in Berlin bei den Garde-Dragonern gedient, seine militärischen Kenntnisse erweitert und auch sonst deutschen Ernst und deutsches Wesen kennen gelernt; er hätte mithin unter Leitung würdiger Männer, die nur leider in Aegypten so rar sind, seinem Vaterlande sehr nützlich werden können, aber der Herr Papa machte ihn sofort nach seiner Rückkehr zum Kriegsminister und zum Generalissimus der Armee, und diese Doppelwürde, über die man in Berlin gewiß gelächelt hat, berauschte ihn dergestalt, daß er von da an nur mehr noch den großen Herrn spielte und es wie die anderen seines Gleichen machte.

Ismaïl’s Nachfolger war sein ältester Sohn Tewfik (sprich: Taufik); denn der Sultan hatte doch nicht gewagt, den Firman vom 27. Mai 1866, der dem Khedive die directe Erbfolge zusicherte, umzustoßen, und das um so weniger, als gegen den jungen sechsundzwanzigjährigen Prinzen nichts Ungünstiges und nichts Mißtrauen Erweckendes vorlag.

Tewfik trat die schwere und verantwortliche Erbschaft muthig an und hatte jedenfalls den besten Wille, die Mißgriffe, Fehler und Verkehrtheiten seines Vorgängers nach Kräften wieder gut zu machen. Dies ehrenvolle Zeugniß wird ihm die Geschichte für seine ersten Regierungsjahre jedenfalls ausstellen, gleichviel ob seine Regentenlaufbahn schon geschlossen ist und er einem neuen Khedive Platz machen muß, oder ob er sich durch die augenblicklichen Wirren, deren Ausgang zur Stunde, wo wir dies schreiben, noch gar nicht abzusehen ist, glücklich durchkämpft.

Sein Hauptaugenmerk waren natürlich sofort die Finanzen; denn es mag hier nochmals wiederholt werden, daß die ägyptische Frage nichts als eine Geldfrage ist: die Capitalisten Europas, speciell Englands und Frankreichs, haben dem Lande ungeheuere Capitalien geliehen und verlangen jetzt ihr Geld zurück oder doch Sicherheit für pünktliche Zinszahlung und Amortisation. Alles Andere ist für die Gläubiger Nebensache; ob Tewfik, Arabi oder wer sonst Khedive ist, bleibt ihnen vollständig gleichgültig, wenn sie nur zu ihrem Gelde kommen. Was jetzt so viel in englischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_535.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)