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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 33.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der Krieg um die Haube.

Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Als der Vetter „Schalksnarr“ das nächste Mal von Leipzig, dessen Hochschule viele fränkische Schüler zählte, gen Nürnberg kam, schmückte er sich mit den Gaben der launischen Göttin und hielt dann Einzug im Patricierhause. Ursula war nicht daheim. Sie wohnte der Einweihung des Grabdenkmals bei, das die Schreyer’sche Familie an der Sebalduskirche von dem berühmten Steinmetzen Adam Krafft hatte errichten lassen. Die würdige Feier hatte Alle in gehobne Stimmung versetzt und dem Standesgefühle Ursula’s volle Befriedigung gewährt.

Mit stolzen Schritten trat sie in das Gemach, wo der Vetter, ihrer harrend, auf und ab gewandelt war. Sie meinte, das Aufleuchten der blauen Augen, den lachenden Mund mit den elfenbeinweißen Zahnreihen noch vor sich zu sehen. Was hatte sie damals nur so herbe gestimmt? War es das dreiste Wesen des gelahrten Schülers, das den Hochmuth der herangewachsnen Patriciertochter kränkte? oder waren es die verhaßten Schellen oder sein Scherzwort über den Sturz:

„Warum setzt Ihr ein solches Eulennest auf, holdselige Muhme? Warum tragt Ihr einen Maulkorb?“

Es war ihm nicht so schwer zu verargen; denn er hatte wohl auf den Willkommenkuß gerechnet und erschaute nun nichts als ihre Augen.

Aber Ursula verstand den Spaß falsch. Sie richtete sich auf und erwiderte herbe:

„Weil ich aus reinem Patricierblut stamme, trage ich den Sturz, wie der Narr die Schellen trägt. Jedem das Seine!“

Als sie die dunkle Röthe sah, die bis unter seine schwarzen Locken stieg, wurde sie blaß. Aber er vermochte ihre Bewegung nicht zu erschauen. Der Sturz ließ nur die großen Augen frei, denen der Schreck über das eigne Wort und dessen Wirkung ein starres Ansehen gab.

Er that einen Schritt nach der Thür. Noch einmal blickte er sie fragend an. Noch war’s Zeit. Aber die Brust war ihr wie zugeschnürt. Nur ihre Lippen öffneten sich; der Sturz verhüllte den schwachen Versuch.

Er ging.

Nach einer Stunde verließ er das Gemach ihres Vaters; die Hausglocke schallte; von diesem Fenster aus hatte sie ihm nachgesehen, wie er von dannen schritt, um nie wiederzukehren.

Er hatte erklärt, daß er nach Bologna gehe, um weiter zu studiren, und erst zurückkommen werde, wenn Ursula sich vor ihm beugen müsse. Es war dem stolzen Patricier nicht schwer geworden, ihn ziehen zu lassen. Ursula kam nun in die Jahre, wo sie heirathen sollte, und der vertraute Verkehr mit dem unebenbürtigen Vetter konnte dem nur im Wege sein. Um ihn einigermaßen zu entschädigen für die Hülfe, die er ihm früher für seine Niederlassung als Rechtsverständiger in Nürnberg verheißen hatte, schickte ihm der alte Herr Briefe mit Empfehlungen, Geld und ein Pferd nach der Herberge, in welche er trotzig übergesiedelt war. Die Diener kamen mit allen Wohlthaten und der Nachricht zurück, der junge Mann sei in’s Elend gegangen.

Ursula harrte damals täglich auf eine Botschaft von ihm; er hatte ja bei jedem Zwist zwischen ihnen den ersten Schritt zur Versöhnung gethan. Aber die Zeit verging – er ließ nichts von sich hören. Als ihr Vater starb, meinte sie, er müsse ein theilnehmendes Zeichen an sie gelangen lassen – es blieb aus.

Nun waren schon zwanzig Jahre seitdem hingeschlichen, die fremden Blumen im Treibhaus eingegangen, die leuchtenden Schmetterlinge in den Glaskästen, über die sie sich so oft mit ihm bewundernd gebeugt hatte, verblichen; Ursula war die herbe Jungfrau geworden. Sie trug auf dem Haupte den Sturz, im Kniestück ihres schwarzen Sammetrockes das eingestickte Wappen und konnte mit gutem Fug und Recht dereinst unter der schweren Steinplatte der Familiengruft ihre Ruhestatt suchen.

Wenn es nur keine Zeit gegeben hätte, wo die Knospen an der Blumenesche sich wie braune Perlenschnüre reihten, wo Veilchenduft die Luft erfüllte und der Schlag des Finken aus den Zweigen tönte! Heut hatte er wieder geschmettert: Bin ich nicht ein schöner Bräutigam?

„Friedel!“ flüsterte sie schmerzlich.

Die kunstvoll mit Eisen beschlagne Thür öffnete sich; die Dienerschaft trat ein. Es war die Stunde, wo die herbe Hausherrin Abrechnung hielt und Befehle für den kommenden Tag gab. Die Hausmagd stellte zwei silberne Leuchter mit gelben Wachskerzen auf den Tisch. Der alte Knecht brachte einen Gruß vom Stadtschultheißen; dieser thäte der gestrengen Jungfrau kund, daß der Erzherzog Ferdinand binnen Kurzem gen Nürnberg auf Besuch kommen werde mit vielen Fürsten, Bischöfen und Dienern, und ließe fragen, ob sie sich mit Kleidern und Stürzen dazu schicken wolle.

Die runde Köchin lachte und sagte:

„In den Fleischbänken ging vorhin die Red, es sollten die Stürze abgeschafft werden.“

Und die Leibmagd erzählte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_537.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)