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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

erkiest und barg derweilen hinter Schloß und Riegel ihren Schmerz. Herr Rotmund hinwieder gedachte seine Zuflucht zu Schuster und Schneider zu nehmen. Er sah an seiner stattlichen Gestalt herab; sie vermochte sich gar wohl mit Wilhalm’s Länge zu messen, und wenn nur erst der scharlachne Rock mit den weißen Atlaspuffen ihn zierte, mußten seinem Weibe die Augen aufgehen. Stracks schritt er zur Ausführung seines Fürhabens und begab sich zuerst in die Werkstatt von Hans Sachs.

„Macht mir die Stiefel so hoch es angeht!“ sagte er zu dem sangeskundigen Meister, „das giebt ein mannhaftes Ansehen. Und daß mir die Quästlein lustig fliegen beim Reiten und beim Schreiten die Rädlein kräftig schnurren!“

Er richtete sich stolz auf.

Aber Hans Sachs lächelte unmerklich in seinen lockigen Bart hinein. Mit dem Seherblick des Dichters errieth er, was hinter der glatten Stirn des Rathsherrn für Gedanken sich bewegten: daß der hübsche Mann dräuend ausschauen wollte, damit sich sein aufstutziges Weiblein vor ihm fürchtete.

„Reich mir einmal den Schuh der Frau Rotmundin her!“ rief er einem Lehrling zu. „Nein, nicht den mit dem Röslein darauf. Der ist für die Elsbeth Imhofin bestimmt. Frau Rotmundin wählte nit ein solch alltägliches Symbolum. Auch nicht den großen mit dem gestickten Namenszug; er gehört der Stadtschultheißin. – Das ist er. Was meint Ihr, Herr Rotmund, wird er Eurer Eheliebsten gefallen?“

Er hielt ihm den Schuh hin. Er war der schmalste von allen und hatte die höchsten Hacken. Oben darauf war eine güldne Flamme gestickt; die sah so spitz und zierlich aus, daß sie Herrn Rotmund an das Zünglein seiner schönen Frau gemahnte.

Er wurde kleinmüthig und meinte:

„Wollet selbst mit meinem Ehegemahl Rücksprache nehmen! Ich wage kein Wort in einer so heiklen Sache zu sprechen. Ihr wißt, Meister, die Stürze! O! das ist ein Kreuz!“

Er drückte sich zur Thür hinaus, und hinter ihm erhob sich ein Gelächter, in das selbst der kleinste Schusterjunge einstimmte, der die Pechpfannen hin- und herschleppte.

Dann nahm der Meister den Pfriemen wieder zur Hand und sang dazu:

„Wenn um die Haub’ ein Krieg entbrennt,
Das Weibsvolk auf das Rathhaus rennt,
Schultheiß und Rath den Kopf sich hält,
Dann unter der Haub’ das Beste fehlt.
Nehmt’s schwankweis auf! Kein Schad’ erwachs
Der Stadt daraus! Dies wünscht Hans Sachs.“

Die Gesellen sangen’s nach, und die Leute blieben draußen stehen und suchten die neuen Reime aufzufangen und sangen sie weiter.

Auch die Rotmundin hörte das Liedlein, als sie mit ihrer vertrauten Magd vorüberschritt, und sie murmelte:

„Spottet nur! Wir wollen Euch schon zeigen, daß unter der Haub’ das Beste nicht fehlt: ein Sinn klug wie die Schlange und ein Gesichtlein sanft wie die Taube.“

Sie schritt nach der Gasse, in der Veit Stoß wohnte. Der künstliche Bildschnitzer saß in seiner Werkstatt und genoß bei Meth und Nüssen die Feierstunde. Als er das Rauschen eines schweren seidenen Gewandes über die Steinfliesen vernahm, sprang er auf und knöpfte den mit Pelz und Quasten verbrämten Hausrock zu. Seine schwarzen Augen hafteten fragend an dem verhüllenden Sturz.

Frau Rotmundin lüftete den dichten Schleier und lächelte, als es in den dunklen Augensternen des Bildschnitzers bei ihrem Anblick feurig aufleuchtete.

„Was habt Ihr zu gebieten, hohe Frau?“ fragte er in gebrochnem Deutsch, das den Polen verrieth.

„Nur zu bitten hat die Frau Rotmundin den berühmten Meister,“ sagte sie süß und machte ein hübsches Neigerl. „Aber es muß Geheimniß bleiben zwischen Euch und mir.“

Meister Veit drückte seine Finger betheuernd auf die schwarzbärtigen Lippen.

„Ich will mit meinem Nachbar, Herrn Haller, ein Feston in welscher Manier über die Straße machen, wenn der Ferdinandus einzieht. In der Mitte soll der kaiserliche Adler schweben und einen Kranz halten. Aber wo soll ich den Vogel finden? Der Schreiner schnitzt höchstens einen Storch, aber nicht den Herrn der gefiederten Heerschaaren. Das kann nur der Meister Stoß. Thätet Ihr wohl einer unberühmten kleinen Frau die Liebe?“

„Alles, was Ihr wollt, schönste Frau!“ sagte der Meister und klappte ritterlich mit den rothen Absätzen zusammen.

„Aber Herr Rotmund darf es nicht wissen, beileibe nit,“ sagte sie furchtsam. „Der will nichts Neues.“

„Ah!“ machte lächelnd Veit. „Strebt Ihr auch nach der neuen Haube? Wozu begehrt Ihr andern Schmuck als den natürlichen, den Euch Gott so herrlich verliehen hat?“ Er warf einen glühenden Blick auf die weiße Stirn, über die eine volle lichtbraune Locke sich schob.

Sie hielt seinen Augen lächelnd still. „Haare hat selbst die Bettelmagd,“ schmollte sie lieblich, „aber eine Haube kann nicht Jede haben.“

„Einen Bettlerschmuck nennt Ihr dieses herrliche Gelock!“ brauste Veit Stoß auf. „Schaut meine Jungfrau Maria an im Rosenkranz von St. Lorenzo! Nur die eignen langen Haarwellen umfließen sie.“

„Fern sei es von mir, mein schwaches Fleisch neben die erhabne Himmelskönigin zu stellen!“ wehrte die Rotmundin ab. „Aber die allerseligste Jungfrau verschmäht doch auch nicht, zum Oeftern den strahlenden Heiligenschein zu tragen. Und wie reich ist der mit Perlen und Edelgestein besetzt!“ stellte sie ihm, zutraulich in seine Augen blickend, vor. „Seid gut, Meister Veit, und laßt uns armen Frauen die kleine Freud’! Und ich bekomme meinen Adler – nit wahr? Und Ihr sagt’s nimmer dem Rotmund, daß ich da gewesen bin – nit wahr? Das ist Geheimniß zwischen uns – gelt?“

Sie blinkte ihm so bedeutungsvoll zu, daß Meister Stoß einwilligend sich geneigt und sie wieder zur Thür geleitet hatte, ohne recht zu wissen, was er that. Und seine Blicke folgten ihr, wie sie zierlich über die Schrittsteine wandelte, ihren Schanz sorgfältig vor dem Staub und Schmutz der Straße hütend, bis sie hinter den hölzernen Laubengängen verschwunden war.

(Fortsetzung folgt.)




Zum Verständniß der Ereignisse in Aegypten.

Von Adolf Ebeling.
III.

Die augenblickliche Volksbewegung im Pharaonenlande ist keineswegs ein Ergebniß der neuesten Zeit, sondern ihr Entstehen ist auf wenigstens vier, fünf Jahre früher zurückzuführen. Der Funke hat nur lange unter der Decke geglommen und im Stillen immer neue Nahrung gefunden, bis endlich aus dem angehäuften Brennstoff die helle Flamme hervorschlug; man kann mithin die bedrohlichen Anzeichen früherer Jahre mit dem unterirdischen Donner vergleichen, der dem Ausbruch des Vulcans vorhergeht.

Diese ersten directen Anzeichen traten bereits im Frühjahr 1877 hervor, wo auf einmal in Kairo das Gerücht ging, man habe unter den Studenten der Aszhar-Moschee eine Verschwörung gegen die christliche Bevölkerung Aegyptens entdeckt. Die Aszhar-Moschee ist die eigentliche Universität von Aegypten und zugleich die bedeutendste der ganzen islamitischen Welt. Nicht allein aus allen Gegenden Afrikas, sondern auch aus der Türkei, aus Syrien und Arabien, ja sogar aus dem fernen Indien und Mittelasien strömen dort die Studenten zu vielen Tausenden zusammen, um den Koran zu studiren und seine Auslegungen zu hören; denn darauf beschränkt sich das ganze Wissen der mohammedanischen Gelehrten. Durchschnittlich zählt die Universität zwischen 8000 bis 10,000 Studenten, die meist von den damit verbundenen Stipendien der Stiftungen leben und auch dort wohnen, natürlich nach orientalischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_540.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)