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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Dr. Birch-Hirschfeld, Schuldirector Kunath, Werkzeugfabrikant Wermann, Dr. Götze, Geh. Schulrath Kockel, Geh. Reg.-Rath Böttcher und Professor zur Strassen.

Beide Vereine übernahmen Garantien und hatten die Genugthuung, bei dem Ministerium des Innern auf Sympathien zu treffen, sodaß auch die sächsische Regierung ansehnliche Mittel bewilligte. Das Finanzministerium gab passende Räumlichkeiten dazu her; das Cultusministerium ertheilte den theilnehmenden Lehrern den nöthigen Urlaub; man berief den Meister von Emden, Herrn Clauson von Kaas, auch als Führer und Meister nach Dresden, und die ausgesandten Circulare erregten lebhaftes Interesse. Das fesselnde Bild des Malers Limmer zeigt uns dreiundsechszig Theilnehmer in der flottesten Thätigkeit, und ich würde den Leser sofort ohne alle weiteren Umstände in die sang- und klangfröhliche Werkstätte einführen, wenn nicht gerade in letzter Zeit harte Verurtheilungen des Handfertigkeitsunterrichts, und zwar von gewichtigen Seiten, laut geworden wären. Diesen muß ich zunächst entgegentreten.

Man fürchte jedoch keine pädagogischen Disputationen! Ich werde mich überhaupt hüten mit dem gelehrten Deutschland zu hadern; auch ist die reinpädagogische Seite durch die neueste Broschüre des Herrn Clauson von Kaas[1] erschöpfend behandelt worden; nur als praktischer Mann, als ein Mann, der selbst den Handwerkerschurz getragen, der seine Hand in mannigfachen Dingen üben mußte, bevor er die Feder ergriff, möchte ich einige Worte reden.

Zuerst möchte ich mich gegen die Opposition der Handwerker wenden, die sich besonders in Emden fühlbar gemacht hat. Die Handwerker haben meiner Ueberzeugung nach von diesen Bestrebungen nur Gutes zu hoffen und nichts zu fürchten. Was hat denn die Handwerke am meisten niedergebracht? Die unselige Waarenunkenntniß der Käuferwelt. Wie wenige Menschen wissen ein gutes Stück Arbeit von einem schlechten zu unterscheiden! Und in neunzig unter hundert Fällen giebt der Preis den alleinigen Ausschlag. So ist es gekommen, daß die Handwerker ihr Heil nur zu oft im Unterbieten finden und sich am geringeren Material und an der geringeren Arbeit schadlos zu halten suchen. Die Schulwerkstätten werden keine Concurrenten der sonst schon nicht auf Rosen gebetteten Handwerker schaffen; dazu sind die Ziele zu eng gesteckt; der Hausfleiß wird Niemandem auch nur ein Butterbrod wegnehmen, er wird aber das Verständniß für ein gutes Stück Arbeit im Volke vermehren, und das wird beitragen, die Schundpreise und die Schundwaare in den Kehrichtwinkel des Arbeitsmarktes hineinzufegen, wohin sie gehören.

Ich gebe nicht sehr viel darauf, daß der neue Lehrling aus der Handfertigkeitsschule schon manche Kenntniß des betreffenden Handwerks mit zum Lehrmeister bringt, ich kann es aber nicht hoch genug anschlagen, daß er verschiedene Verrichtungen aus verschiedenen Handwerken erlernte und so seinen praktischen Gesichtskreis erweiterte, und daß er sie nach einem bestimmten System erlernte. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Die Systemlosigkeit in der Anweisung der Lehrlinge in den Werkstätten ist ein Unglück der Handwerkerjugend, und wenn hier ein Stück Pädagogik eingeimpft werden könnte, so würde es ein Segen für die Menschheit sein. Oft besteht die ganze Anweisungskunst des Meisters in der abgeleierten Phrase: „Der Lehrling muß mit den Augen stehlen.“ Wollte er das Kind beim rechten Namen nennen, so müßte er sagen: „Du mußt Dir selber helfen; ich verstehe es nicht, Jemandem etwas beizubringen.“ Zweifellos wird auch mit der Schuldisciplin an der Werkbank der Sinn für Ordnung wachsen, und man wird vielleicht später nicht so viele Werkstätten finden, in denen vor Abfällen, Geräthen und Gerümpel ohne Gefahr gar nicht vorwärts zu dringen ist.

Im Uebrigen richtet der Dilettantismus nirgends großen Schaden an, und erfahrungsgemäß nimmt Niemand mehr den Tischler und den Drechsler in Anspruch, als wer zu Hause selbst an der Hobelbank baut und leimt. In Skandinavien freilich hat sich der Unterricht viel mehr als bei uns auf die Selbsthülfe zuzuspitzen, weil in den nordischen Einöden die Handwerker meilenweit entfernt wohnen. Bei unseren hochentwickelten Industrien, unserer Arbeitstheilung, aus der ja einst auch die Handwerke entstanden sind, wird der Dilettantismus an der Werkbank niemals concurrenzfähig werden, und zudem ist das auch gar nicht die Absicht der obersten Leiter. Dagegen wird der Schüler aus der Schulwertstätte Achtung vor dem Arbeiter und seiner Arbeit mit in’s Leben hineintragen; denn er wird erfahren, daß die Arbeit einen ganzen Mann fordert, und noch durch die dickste gelehrte Brille wird er allezeit hindurch erkennen, daß eben die Arbeit einzig und allein die Grundsäule der Cultur bildet.

Mit den pädagogischen Einwänden will ich, wie ich Eingangs versprach, mindestens nicht in gelehrtem Stile rechten, nur das Eine wird man mir zugeben müssen: daß heute eine Menge producirtes Wissen in den Sand verrinnt oder unverwerthet verborgen bleibt, weil der Träger desselben in seiner einseitigen, rein geistigen Erziehung in der praktischen Welt draußen nichts damit anzufangen weiß. Der Handfertigkeitsunterricht soll die bisherigen Schuldisciplinen nicht einschränken, nein, er soll das Erstrebte nur besser verwerthen lernen. Man glaube ja nicht, daß es sich beim Hobeln und Feilen nur um einen guten Hobelstoß und einen guten Feilenstrich handelt! Nein, der Blick in das praktische Leben wird bei solcher Arbeit geschärft; wer sich im Kleinen behelfen lernt, wird sich auch im Großen leichter behelfen können; die Welt wird ihm praktisch verständlicher; die mannigfachen Arbeiten, die er geübt, werden ihm zum Schlüssel einer ganzen Kette der bedeutsamsten Culturfactoren werden.

Als nächstliegende Folgen dürfen wir die Bildung des Formensinns bezeichnen; sodann wird sich das Auge leichter in allen Größenverhältnissen zurecht finden, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn Derjenige, der einen Winkel mit dem Auge richtig einstellen lernt, nicht auch ein Geschütz gut einstellen und ein guter Artillerist werden sollte.

Die ermöglichte Selbsthülfe in kleinen häuslichen Dingen ist natürlich auch nicht zu verachten, wenngleich ich ihr keinen so hohen Werth beilege, wie Meister Clauson von Kaas. Wichtiger scheint mir der gesundheitliche Werth der Arbeit. Mir ist kaum eine turnerische Uebung bekannt, die alle Muskeln so wohlthätig anstrengte, wie die Trennsäge, mit der man nicht vor sich, sondern unter sich schneidet.

Die Gegner führen an, der Handfertigkeitsunterricht absorbire die Aufmerksamkeit zu sehr, und die anderen Disciplinen müßten darunter leiden; der Schüler brauche seine freie Zeit zur Erholung nöthiger; die Schule sei ferner berufen, des Lebens Ideale hochzuhalten, und der Schüler sei vor dem zu frühzeitigen Gedanken an Arbeit und Erwerb zu schützen, damit der Ernst des Lebens nicht die Blüthe der Jugend knicke etc.

Das sind gewiß Gründe, die uns Sympathien abzwingen, aber ich sehe nicht ein, warum die Ideale durch eine vierstündige Handarbeit, wie sie Clauson von Kaas per Woche verlangt, in der Schule sinken sollten; sie erhalten eher Zuwachs; denn es kommt ganz auf den Lehrer an, die Arbeit selber, das Lebenselement der Gesellschaft, unter die Ideale zu rücken.

Im Sommer will Clauson von Kaas den Handfertigkeitsunterricht ganz einstellen, weil hier die Gartenarbeit seine pädagogischen Absichten völlig erfüllt, und die vier Stunden per Woche werden wohl in der übrigen Zeit mit einigem guten Willen unterzubringen sein. Die geistige und die körperliche Thätigkeit concurriren ja nur wenig mit einander. Warum laufen wir denn meilenweit spazieren, wenn wir den Kopf überangestrengt haben? Es ist das ein Beweis, daß der Körper selbst nach einem Ausgleiche verlangt. An den allzufrühen Ernst, der schädlich auf das Gemüth des Knaben wirken soll, kann ich auch nicht recht glauben; das Kind faßt Alles kindlich auf, selbst schweres Unglück der Eltern, und dann müßte auch der äußerst wohlthätige Unterricht der weiblichen Handarbeiten wieder aus der Schule verbannt werden; er steuert ja gleichfalls dem späteren Erwerbe zu, wenigstens bei den unteren Volksschichten. Wir finden nichts Besonderes darin, daß auch die junge Dame, die späterhin nur noch selten eine Nadel zur Hand nimmt, sich in weiblichen Handarbeiten unterrichten läßt, und wir wollten etwas Verwerfliches darin erblicken, daß der Knabe die populärsten Werkzeuge gebrauchen lernt? Gewiß, wie Jene, wenn sie nähen lernt, eine umsichtigere Gebieterin im Hause werden wird, so wird der an der Werkbank unterrichtete Knabe einmal ein umsichtigerer Hausherr werden, wenn er auch nicht mehr Säge und Hammer selbst führt.

Auf eine Gefahr, die meines Wissens von den Gegnern bisher unberührt geblieben, will ich selbst aufmerksam machen; sie liegt darin, daß der Hausfleiß leider nicht selten zu einer

  1. Emden 1882, in Dresden durch H. Burdach.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_547.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2023)