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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zur Folge gehabt, welcher während der diesjährigen Festspiele den Gesinnungsgenossen einen Sammelpunkt und orthodoxen Mittagstisch bietet. Das ist eine Erscheinung, welche für eine baierische Stadt etwas Ueberraschendes hat.

Wichtiger und unbedingt ehrenvoll für Bayreuth ist die Thatsache, daß Wagner dort für seine Bühnenreformen von vornherein Verständniß fand und daß die Bürgerschaft schnell bereit war, für die Errichtung des Wagner-Theaters Opfer zu bringen, und sie auch wirklich brachte. Man schenkte einen Bauplatz, baute eine Straße, errichtete Alleen und Anlagen und zeigte sich in jeder Beziehung bereitwillig und entgegenkommend. Der Künstler traf in der kleinen Stadt auf viele große Herzen und sah sich bald von einer Reihe Männer ungeben, die seine Ideen zu den ihrigen machten und dieselben energisch durchführten.

Daß die sogenannte „Wagner-Gemeinde“ im letzten Jahrzehnte so ansehnlich gewachsen, daß ein so eigenartiges Unternehmen, wie die Bühnenfestspiele in Bayreuth, wirklich in’s Leben treten konnte, ist zu einem nicht geringen Theil auf die Begeisterung und Thatkraft der treuen Freunde zurückzuführen, welche Wagner an Ort und Stelle fand.

Eine gewisse Disposition zur Kunst liegt allerdings in Bayreuth in der Luft; denn diese Stadt ist eine ehemalige Residenz. Hier thronten Hohenzollern, die nächsten Verwandten der Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen, und hielten einen Hof, der in Pracht dem Vorbilde von Versailles nach der Mode der Zeit so gut nacheiferte, wie es eben ging. Die geliebte Schwester Friedrich’s des Großen, Wilhelmine, war bekanntlich an einen markgräflichen Vetter von Bayreuth verheirathet und hat in ihrer geistreich unzufriedenen Weise das Leben an den Fürstenhöfen von Bayreuth und Ansbach sehr lebhaft geschildert. Damals bot Bayreuth alles, was zur standesgemäßen Repräsentation eines großen Fürstenhauses für nöthig galt. Auch eine italienische Oper war darunter. Das Haus, in welchem diese Oper sich hören ließ, war eines der größten und prächtigsten in ganz Deutschland. Es ist mit seiner inneren Einrichtung noch vollständig erhalten, und eine Besichtigung desselben bietet Anlaß zu interessanten Betrachtungen und Vergleichen.

In der Stadt und ihrer Umgebung predigen noch viele andere steinerne Zeugen von der Herrlichkeit jener vergangenen Zeit. Daher stammt noch die große Anzahl imposanter Gebäude mit den schönsten Erkerbauten, daher die Schlösser und der prächtige Hofgarten. Geht man die Friedrichstraße hindurch, kann man das neunzehnte Jahrhundert vollständig vergessen. Auf beiden Seiten stehen sie, eins am andern, die alten Adelshäuser mit ihren Parkmauern und großen Einfahrtsthoren; die Simse, die Fensterläden – Alles ist noch unverfälscht geblieben, und zur Abendzeit ist’s Einem, als müßten jeden Augenblick die schweren Flügelthüren knarren und die goldstrotzenden Carossen mit den Dienern in Puder und Perrücken und mit den federschweifgeschmückten Rossen in die Straße lenken, um eine hinter der andern ihre zarten Insassen zu den hohen Herrschaften jagend zu führen. In der Bayreuther Vorstadt St. Georg, da, wo jetzt das durch den Attentäter Kullmann in den Mund der Leute gebrachte Zuchthaus steht, trifft man einen trockenen ebenen Platz, der den Namen „See“ führt. Wie in anderen Residenzen hatte man in der Markgrafenzeit in der That auch in Bayreuth an jene Stelle alle verfügbaren Wasser zusammengeleitet und veranstaltete dort nächtliche Seeschlachten bei Fackellicht und andere nautische Vergnügungen. Eines der schönsten Denkmäler jener Zeit ist das ganz nahe bei Bayreuth gelegene Lustschloß Eremitage, einer der gewinnendsten Rococobauten, die noch existiren, hinter anderen an Zierlichkeit zurücktretend, aber unübertrefflich in dem harmonischen Anschluß an die grüne Natur des großen, schönen, alten Parks, in welchem er steht.

Mit dem Beginn der Napoleonischen Kriege war die markgräfliche Zeit dahin. Es giebt nichts Traurigeres, als solche alte, abgelegte Residenzstädte. Wenn sie für den Verlust nicht in der modernen Arbeit, durch große Industrien einen Ersatz finden können, welken sie dahin wie verlassene Bräute, und ihr Leben hat nur noch wenige Reize in quälenden Erinnerungen. Für Bayreuth kam endlich ein Ersatz für den Markgrafen, und zwar in einem Kunstgrafen. Der Beherrscher der neuen Oper, Richard Wagner, zog hier ein und legte hier im Jahre 1872, gerade an seinem Geburtstage, den 22. Mai, den Grundstein seines neuen Theaters. Für sich selbst baute Wagner auf dem Wege zur Eremitage ein Wohnhaus, welches schon von außen durch den ganz eigenen Charakter einfacher Vornehmheit das Auge fesselt. Ein Sgraffitobild auf der vorderen Wand zeigt die Gestalt von Wotan, dem Helden des „Ring der Nibelungen“; links von ihm steht die Schröder-Devrient, rechts Frau Cosima Wagner mit dem Sohne des Componisten, dem kleinen Siegfried. Das Haus führt den Namen „Wahnfried“, und zur Erklärung der eigenthümlichen Wortbildung dient eine besondere Inschrift, welche lautet:

„Hier, wo mein Wähnen Frieden fand,

Wahnfried

sei dies Haus von mir genannt.“

In dem großen, ganz im dunkelsten Grün gehaltenen Vorgarten hat Wagner bereits die Stelle herrichten lassen, wo einst sein sterblicher Theil zur Ruhe bestattet werden soll.

Die Vollendung des Bühnenhauses selbst verzögerte sich bis zum Jahre 1876. Obwohl man sich auf die verhältnißmäßig sehr niedrige Bausumme von 300,000 Mark eingerichtet hatte, war diese doch nur mühsam zusammen zu bringen. In Wien waren von Freunden und Gönnern des Wagner’schen Unternehmens 100,000 Gulden gezeichnet worden. Da kam die große Finanzkrisis, und es blieben für Bayreuth nur 7000 Gulden. Diese Erscheinung wiederholte sich in allen Orten, und es bedurfte der größten Anstrengungen von Seiten Wagner’s und seiner Freunde, daß die von dem Dichtercomponisten seit Jahrzehnten gehegte Idee des eigenen Theaters nicht wieder bloß Idee blieb.

Die für das erste Festspiel ausgewählten Künstler verfügten sich schon im Sommer des Jahres 1875 nach Bayreuth und hielten dort Vorprobe. Das nächstfolgende Jahr machte dann Bayreuth zur wirklichen Feststadt und brachte seinen Namen in aller Leute Mund. Der interessanteste Abschnitt der damaligen Festspielperiode fiel in die Zeit der letzten Proben. Anders als diesmal waren bei ihnen Zuhörer zugelassen worden, fast lauter Musiker und künstlerische Leute. Da konnte man sich in Bayreuth um etliche Breitegrade weiter nach Süden versetzt glauben. Ein solches buntes, lebhaftes Treiben hatte die alte Frankenstadt lange nicht mehr gesehen; die Häuslichkeit siedelte auf die Straße über, und bis in die späte Nacht saßen in den Gassen fröhliche Menschen.

Der Ruf der einen Restauration von „Angermann“, nach der alle Welt hinstrebte und in der nur Wenige Platz hatten, drang damals bis in die amerikanischen Zeitungen. Vor dem Hause und in dem Hause entwickelte sich ein wahres Zigeunerleben. Man saß auf Tonnen und half sich, wie man konnte; als aber nach Beendigung der Proben die eigentlichen Zuhörer eintrafen, ward es für die bescheidene Stadt etwas schwierig, dieser plötzlichen Völkerwanderung Genüge zu leisten. Es gab kleine Unbequemlichkeiten in Quartier- und Verpflegungssachen, über welche manche Gäste ein großes Lamento erhoben. Bei dem diesmaligen Festspiel hat man sich die Erfahrungen des Jahres 1876 zu Nutze gemacht, und wir können Jedermann, der Lust hat einer Vorstellung des „Parsifal“ beizuwohnen, versichern, daß er bei billigen Ansprüchen auf Comfort Nichts vermissen wird. Bayreuth ist keine Großstadt wie Berlin, und Museen kann man daselbst nicht besuchen, aber es ist ein ganz anderer Ort als Oberammergau, das zur Zeit der Passionsspiele doch Zehntausende aufnimmt und versorgt. Wer nach Bayreuth reist, dem rathen wir, sich vorher durch Bestellung beim Secretär Ullrich einer Wohnung zu versichern; denn es ist, wenn auch nur als Ausnahme, vorgekommen, daß Gästen, welche jene Vorsicht unterlassen hatten, für ein einfaches Zimmer 20 Mark abverlangt worden sind. Auf dem angegebenen Wege erhält man gutes Logis zu vollständig civilen Preisen, und für Speise und Trank leisten siebenzig und etliche Bierwirthschaften die ausreichendsten Garantien. Besonders gut ist diesmal das Fuhrwesen in der Feststadt, namentlich die Schnelligkeit der Beförderung wäre für manche größere Orte als Muster zu empfehlen.

Einen wunderschönen Blick über die reichgefügte, waldreiche Landschaft, in welcher die Feststadt mitten drin liegt, hat man auf dem Hügel, der das Festspielhaus trägt. Von Bayreuth selbst ist es ungefähr fünfzehn Minuten entfernt und zu finden, ohne daß man fragt. Fortwährend wallen Pilger dort hinaus. Auch wenn nicht gespielt wird, bieten die Restaurationen am Theater einen angenehmen Aufenthalt. Steigt man einige Schritte höher, so kommt man in einen herrlichen Laubwald, aus dem man manchen schönen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_551.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2023)