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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 34.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der Krieg um die Haube.

Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)

Kaum hatte sich die Rotmundin entfernt, so kam in Meister Stoß der Künstler wieder zu seinem Recht. „Wozu strebt man nun nach dem wahrhaft Schönen?“ fragte er sich zornig. „Geht das Sinnen und Trachten der Menschen nicht immer dahin, zu verunstalten, was unser Herrgott schön gemacht hat? Da zieren sie einmal mit Schnäbeln und Ohren, die an den Kopf gehören, ihre Fußbekleidung, und ein andermal begehren sie, ihren Haarschmuck unter einem Thurm zu begraben. Aber ich will sie mit der Nase auf die wahrhaftige Schönheit stoßen.“

Er faßte einen fast vollendeten Engel scharf in’s Auge. Hoch bäumten sich die Locken desselben über dem reizenden Gesicht; die Flügel waren gefaltet wie bei einer ruhenden Taube; die Hände hob er anmuthig empor und schien so Ruhe zu erbitten, wie es seiner Bestimmung als Schmuck eines Kanzelfußes entsprach; ein langes Gewand flatterte ihm bis zu den Füßen herab, deren feine Zehenspitzen unter den knittrigen Falten des Saumes hervorsahen.

Meister Stoß begann mit emsiger Hand an dem Antlitz zu schnitzen und kicherte in sich hinein, als auf Wangen und Kinn sich Grübchen vertieften. – – –

Während so Jedermann bemüht war, Neues zu schaffen, hatte Wilhalm Haller sich bisher nur mit Einreißen beschäftigt. In seinem Hause wurde das Unterste zu oberst gekehrt. Alles Alte mußte ihm aus den Augen gebracht werden, und er war sichtlich darauf aus, von seinem Thun möglichst viel Gerede in der Stadt zu erregen. Besonders wenn die Elsbeth ihm einmal begegnet war, vom Sturz verhüllt und die Augen tief gesenkt, daß sie ihn nicht anzuschauen brauchte, schickte er gewiß am selbigen Tage ein altes schönes Stück Hausrath in die Verbannung auf den dunklen Hausboden.

Aber der Tag des Einzugs rückte näher, und auch er mußte für die Verhüllung und Ausschmückung seines zerklüfteten Hauses sorgen. Er begab sich nach der Cistelgasse und trat dort in Albrecht Dürer’s Haus ein. Beinahe wäre er wieder hinausgekehrt worden; denn Frau Agnes Dürerin, die heute ihren scharfen Tag hatte, wirthschaftete mit dem Besen umher und keifte mit einem Lehrjungen, der beim Reinigen der Malermuscheln die Hausdiele beschmutzt hatte.

„Das ist auch eine Frau, der nichts höher steht als Besen und Kochtopf,“ dachte Wilhalm verächtlich und folgte dem vorausschleichenden Lehrling in die Werkstatt des Malers.

Hier herrschte eifrige Arbeit. Der Meister mit dem sanften Gesicht und dem langen Haar stand vor einer großen aufgespannten Leinwand und malte an einem Madonnenbilde. Vor ihm saß auf einem Thronsessel ein Weib, das einen kleinen Buben im Hemd auf dem Arm hielt; der schwenkte ein Fähnlein in seiner dicken Hand und stellte den Heiland dar.

Es waren auch noch mehr Gäste da. Der Erzgießer, Meister Peter Vischer, wandte dem Eintretenden sein Antlitz zu, von dem ein langer Bart herabfloß, und bei dem Zeichenbrette des einen der Schüler, die an den großen Fenstern saßen, stand ein Mann, dem ein Kräuterbündel aus dem Zwillichwams hing. Der junge Patricier wurde mit Ehrerbietung begrüßt.

Er benahm sich, wie er es im Lande Italia gelernt hatte, drückte dem Meister die Hand, stand voll Bewunderung vor der thronenden heiligen Jungfrau Dürer’s, betrachtete den Entwurf zur Krönung der Maria, die das Domcapitel in Erfurt bei Peter Vischer bestellt hatte, und über welchen dieser mit Dürer sich berieth, und prüfte den Engelkranz, den des Malers Schüler Altdorfer malte. Dann nahm er auf dem dargebotnen Lehnstuhl Platz.

„Ich wünsche,“ sagte er, „ein Bild gemalt zu haben, so die Lücke in meinem Haus künstlich verhüllt. Es soll darauf der Götterbote Mercurius also dargestellt sein, wie er der Stadt Nürnberg die Botschaft bringt von dem Nahen seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit, und die Göttin Fama, wie sie sein Lob posaunend in ein Horn stößt, auf daß den fremden Gästen klar werde, auch in Nürnberg lebe Kenntniß der griechischen und römischen Abgötter und nicht Jedermann allhier verschließe sich starrköpfig den Segnungen neuer fürnehmer Bräuche.“

Er sprach trotzig und herausfordernd, wie jetzt immer. War ihm doch allzeit kampflustig zu Muthe!

Aber es wunderte sich Niemand darüber. Der Streit um den Sturz war allgemein bekannt, und über die Gesichter aller Anwesenden glitt ein Lächeln, welches bewies, daß seine Andeutung darauf bezogen worden war.

„Die armen Weiblein!“ flüsterte es hinter den Staffeleien der Schüler.

Albrecht Dürer rückte sein schwarzes Barett zurück, schüttelte den Kopf und sprach:

„Warum erheben die Frauen ihre Stimme, um an die Stelle einer häßlichen Hülle eine andre unschöne Form zu setzen?“

„Du damischer Ding!“ ertönte aus dem Flur herauf die Stimme der Rechenmeisterin, wie Herr Albrecht sein Ehegespons nannte. Dann stolperte ein zweiter Lehrling mit einem Oelkrug, aus dem er etwas verschüttet hatte, über die Schwelle.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_553.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2023)