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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Sagen schimmern, sondern ein zusammenhängender Bau, der von einem bestimmten Grundgedanken getragen wird. Das Problem, das den Dichter vor Allem beschäftigt, ist dieses: hat in Bezug auf die Geschichte der Menschheit der Pessimismus Recht oder der Optimismus?

Die Einkleidung dieser „Nächte des Orients“ ist eine sagenhafte. Der Dichter, europamüde, wandert in den Orient, trifft dort einen alten Magier, der ihm ein die Pforten der Vergangenheit erschließendes Elixir giebt: der Dichter sieht die Jahrhunderte an sich vorüberziehen: die phantastische Urwelt, die Zeit der Pfahlbauten, Hellas mit seiner Sclaverei, die Renaissance mit ihren Hexenprocessen und Folterungen, das Rococozeitalter und dasjenige der Revolution. Ali erläutert dem Poeten diese Bilder mit scharf einschneidendem Sarkasmus, und Schack selbst hat die dunkelsten und grellsten Farben gewählt, um das Elend der Menschheit in diesen wechselnden Epochen darzustellen. Desto begeisterter wendet sich der Poet der Zukunft zu, feiert die Friedensära der Menschheit im Psalmen- und Hymnenton und zuletzt in einer Schlußparabase noch das deutsche Reich mit schönem patriotischem Aufschwung.

Zu den aschgrauen und blutrothen Bildern aus allen Zeiten, welche den gleichen Geist der Weltverzweiflung athmen und beträufelt werden mit dem Hohn aus jener Giftblume der Philosophie, welche der weise Ali im Knopfloch trägt, bildet diese Schlußwendung, dieses verklärte Hineinblicken in den Glorienschein der Zukunft einen leider nicht genugsam vermittelten Gegensatz, wenngleich der Glaube an den Fortschritt der Menschheit ein schöner und erhebender ist.

Im Uebrigen halten wir diese Dichtung für das bedeutsamste Werk Schack’s: das Colorit derselben ist meisterhaft, besonders das orientalische; die Landschaft wird zum Culturbild; die Form ist krystallklar und vermeidet alles Dumpfe und Trübe. Schon in seinen „Gedichten“ zeigt sich Graf Schack als ein Landschafter ersten Ranges; bald trifft er das glühende exotische Colorit Freiligrath’s; bald giebt er uns historische Landschaften im Stile eines Claude Lorrain. Keine seiner größeren Dichtungen verleugnet diese Vorzüge.

Die Balladen in den „Gedichten“ zeigen die glänzende Ausführung, wie sie Schiller liebte: sie bilden den Uebergang zu den episch-lyrischen Gedichten. Hier begegnen uns zuerst jene Novellen in Versen, welche Schack als „Episoden“ (1869) bezeichnet. Der poetische Weltwanderer führt uns hier nach Venedig und Constantinopel, nach Damaskus, in das alte Hellas und in die Märchenwelt.

Die dichterisch bedeutendste Episode ist wohl „Giorgione“; sie schildert eine Liebe des alternden Malers, der zu Gunsten seines Lieblingsschülers resignirt. Hier ist echt venetianisches Colorit: man wird an die Bilder von Paolo Veronese erinnert.

Den griechischen „Episoden“ schließt sich als neueste weiter ausgeführte Dichtung das Werk. „Die Plejaden“ an (1881) mit seinen farbenreichen Schilderungen des griechischen Lebens zur Zeit der Perserkriege und des üppigen asiatischen Satrapenthums: ein Milesisches Märchen, in welchem die himmlischen Gestirne leuchtende Sinnbilder sind für ein über den Menschengeschicken waltendes Verhängniß.

„Lothar“ (1872) ist ein älteres Werk Schack’s. Der Held ist ein deutscher Idealist, der, wohin ihn auch das Leben verschlagen hat, den Idealen seiner Jugend, seiner burschenschaftlichen Begeisterung, treu bleibt. An Byron erinnert nur die stimmungsvolle Landschaftsmalerei und der Haß gegen die Machthaber der geisttödtenden Restaurationsepoche, die Weltwanderung, an deren Faden sich eine Reihe von Abenteuern knüpft. Die Schilderungen spanischer Landschaften und Guerillakämpfe, die Wüstenscenen des sechsten und siebenten Gesanges, die Bilder aus Aegypten und Palästina sind Glanzpartien des Werkes, in welchem Reflexion und Schilderung sich in anmuthender Weise ablösen.

Von einer anderen Seite lernen wir den Dichter kennen in dem Roman in Versen „Durch alle Welten“ (1870), einem humoristischen Epos in Octavreimen und im Stil von Byron’s „Don Juan“; doch wie diese Schöpfung des britischen Dichters die tiefpoetische Episode der Haiden enthält, so finden sich auch in Schack’s „Roman in Versen“ glänzende dichterische Partien, wie besonders die zwei Gesänge „Die Pacific-Eisenbahn“ und „Im Urwald“.

Den Humor in dramatischer Dichtung pflegte Graf Schack als Jünger des Aristophanes und Platen’s; von seinen zwei politischen Lustspielen: „Kaiserbote“ und „Cancan“ (1873) ist das erste 1850 in der trübsten Zeit einer nach hoffnungsfreudigem Aufschwung erfolgten Reaction gedichtet, das zweite nach den glänzenden Siegen des Jahres 1870. Jenes schließt, nach Verspottung politischer Unbildung und Unreife, mit der Verheißung einer schöneren Zukunft; dieses athmet einen pathetischen Haß gegen den Kaiser Napoleon den Dritten. Die Form dieser Dichtungen ist krystallklar wie diejenige Platen’s: sie enthalten neben satirischen Studien schwunghafte Parabasen, aber bei dem jetzigen niedrigen Stand der Bühnenkomik haben derartige dramatische Lustspiele höheren Stils leider keine Aussicht aus die weltbedeutenden Bretter zu gelangen.

Gilt doch fast dasselbe von dem ernsteren Drama der Zeitgenossen, das immer mehr von der Bühne zu verschwinden droht und, wenn es einmal dort erscheint, oft von einer unreifen oder böswilligen Kritik, welche gewohnt ist, die größten Nichtigkeiten zu verherrlichen, zu Grabe getragen wird. Auch Graf Schack hat vier Trauerspiele geschrieben: „Heliodor“ (1879), „Atlantis“ (1879), „Die Pisaner“ (1872) und „Timandra“ (1879). Die beiden ersten haben eine geschichtsphilosophische Tiefe, welche sie für das flache Niveau unserer Bühnen unmöglich macht. Das erste läßt mitten im Streit des fanatischen Christen- und Heidenthums, der in die Epoche Alarich’s verlegt ist, als den versöhnenden Gott der Zukunft Eros, den Gott der Menschenliebe verkündigen; das zweite behandelt einen verfrühten Versuch, „in der neuen Welt“, in welcher, wie Schack annimmt, der Schwerpunkt der Entwickelung der Menschheit ruht, das Banner der Freiheit aufzupflanzen. Die in München mit Erfolg aufgeführten „Pisaner“ haben zu ihrem Helden den aus Gerstenberg’s Trauerspiel bekannten „Ugolino“, den Kriegshelden der Pisaner, der von seinem Gegner Ruggieri und von seinen nach dem Frieden mit Genua strebenden Landsleuten in den Hungerthurm geworfen wird. „Timandra“ ist die Mutter des Sparterkönigs Pausanias, der mit seinen verrätherischen Verbindungen mit Persien im Mittelpunkte der Handlung steht. In der Hauptsache ist es derselbe Stoff, welchen Heinrich Kruse in „Das Mädchen von Byzanz“ behandelt hat.

Alle diese Stücke haben künstlerischen Aufbau und Zusammenhalt, nichts Zerfahrenes; sie sind frei von allen Auswüchsen der Shakespearomanie, und die Diction ist edel und schwunghaft, auch dramatisch markig, wie z. B. in dem prächtigen racheathmenden Monolog Ruggieri’s im dritten Act der „Pisaner“.

Das Bild des Dichters Schack erhält seine ergänzenden Farben durch das Bild des Gelehrten; wir können hier nur auf seine grundlegenden Werke über das spanische Drama und die Poesie der Araber verweisen; als meisterhafter Uebersetzer des „Firdusi“ und anderer persischer Dichtungen hat er sich zuerst in weiteren Kreisen bekannt gemacht.

Während die Dreierlichter unserer Miniaturlyriker zum Theil in der dumpfen und stockigen Atmosphäre geistiger Beschränktheit brennen, gehört Graf Schack zu den vielseitig und hochgebildeten Geistern, welche die Aera unserer Classiker in der Gegenwart fortzusetzen berufen sind und die mit ihrer Fackel hinausleuchten auf die Entwickelungsbahn der Menschheit.

Rudolf von Gottschall.     


Schwindsucht und Höhenklima.

Von Dr. Driver.

In der zweiten Sitzung der vierten Jahresversammlung des „Internationalen Vereins gegen Verunreinigung der Flüsse, des Bodens und der Luft“ zu Mainz im September 1880 hielt Professor A. Vogt aus Bern einen Vortrag über: „Schwindsucht und Höhenklima“. Nach dem Referat über diesen Vortrag in der Zeitschrift „Gesundheit“ war der Gedankengang des Redners, einer Autorität auf diesem Gebiete, folgender:

Die neuesten Untersuchungen, welche in Baiern und der Schweiz angestellt wurden, haben bestätigt, daß die Schwindsucht in zunehmender Höhenlage abnehme, was mit den Erfahrungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_562.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)