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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und Tapferkeit auch Seelengröße und einen geläuterten und gereiften Charakter und nun erscheint die Botin vom Gral, die ihn früher verflucht hat, wieder und verkündet ihm, daß er zum Gralskönig erwählt sei. Gleichzeitig hat ihn sein Weib Kondmiramues mit ihren während der Abwesenheit Parcival’s geborenen Zwillingssöhnen aufgesucht, und mit ihr hält er nun seinen Einzug in die Gralsburg.


Bilder aus der baierischen Landesausstellung in Nürnberg: Altbaier im „Elitesaale“.
Originalzeichnung von Professor Rudolf Geißler.

Wolfram erhebt sich in seinem „Parcival“ über die zeitgenössische Dichtung nicht blos durch die Lebendigkeit der Schilderung und die innigen Züge, mit denen er Personen und Ereignisse ausstattet, sondern vor Allem dadurch, daß er in den Kranz der Abenteuer, aus welchen sein Epos besteht, eine große, ethische Idee hinein gewunden hat. Das ist die Entwickelung seines Helden vom Manne der bloßen ritterlichen Etikette zum sittlich freien, edlen Menschen. An diese Idee hat Richard Wagner angeknüpft. Das Fragen, das theilnehmende Fragen des Wolfram’schen Parcival nennt Wagner „Mitleid“ und macht es zum Angelpunkt seines Drama „Parsifal“.

Die Geschichte des „Parsifal“ von Wagner ist im Wesentlichen dieselbe, wie wir sie soeben aus dem Wolfram’schen Epos wiedergegeben haben. Wagner mußte den Stoff natürlich vereinfachen und konnte von der reichen Ausbeute an Heldenthaten, welche Parcival bei Wolfram verrichtet, nur sehr geringen Gebrauch machen. Auch der große Kreis von Bekannten und Freunden, die mit dem Parcival im Epos in Berührung kommen, mußte im Drama auf eine geringe Zahl zurückgeführt werden.

Den Charakter des Parcival hat der Dramatiker im Ganzen so beibehalten, wie ihn der Epiker geschaffen. Auch Wagner’s Parsifal ist der unerfahrene, unverdorbene, herzensgute und kühne Jungling, ale den ihn Wolfram schildert. Wagner legt auf das Moment der Unerfahrenheit oder Thorheit ein so großes Gewicht, daß er sogar die Schreibart des Namens seines Helden darnach bestimmt hat. In Widerspruch mit allen Philologen, die „Parcival“ als einzig richtig erklären, hat Wagner sich die von Görres aufgestellte Variante „Parsifal“ zu eigen gemacht, die nach dem Persischen bedeutet „reiner Thor“.

Um die für das Drama nöthigen Conflicte und Gegensätze zu gewinnen, sah sich Wagner genöthigt, außer jenen erwähnten Vereinfachungen und Verkürzungen auch noch Umbildungen an dem von Wolfram und anderen Quellen gebotenen Stoffe vorzunehmen. Die wesentlichste besteht darin, daß er den Ritter Klingsor, der bei Wolfram nur eine Nebenrolle spielt, in den Vordergrund stellt. Dieser Klingsor, bei Wolfram ein harmloser adliger Sonderling, welcher auf seiner abgelegenen Burg, Schastelmarveil bei Wolfram genannt, allerhand Schabernack und Zauberspuk treibt, wird bei Wagner ein gefährlicher Feind des Gral. Seine Burg und die des Gral treten gegen einander wie Hölle und Himmel; bei Wagner spielt ein großer Kampf zwischen Klingsor und den Gralsrittern in dem Momente, wo Parsifal in die Handlung eintritt. Klingsor’s Armee besteht aus Frauen von teuflischer Schönheit, welche die Ritter des Gral berücken und einen nach dem andern in die Gewalt des Zauberers führen. Auch Amfortas, der König des Gral, hat sich seine Wunde dort geholt, im Garten des Klingsor. Der Sieg neigt sich auf des Letzteren Seite; das Gralsritterthum wird schimpflich untergeben, wenn auch Parsifal der Macht der Verführung unterliegt. Gegen ihn, den gefürchteten Anhänger des Gral, bietet Klingsor die Kundry auf. Diese Kundry ist bei Wolfram einfache Grafsbotin, bei Wagner ein Doppelwesen: im ersten Acte gehört sie zum Gral, im zweiten zu Klingsor. Parsifal widersteht ihr aber durch die Macht des Mitleids, welche ihm im Augenblicke der Versuchung das Bild des Amfortas vor die Seele ruft, der im gleichen Falle einst fiel und nun leidet. So wird Parsifal bei Wagner Gralskönig.

Die Handlung vertheilt sich in dem Musikdrama über die einzelnen Acte folgendermaßen: im ersten kommt Parsifal in das Gebiet des Gral und wohnt einer Feier des Liebesmahls auf der Burg bei. Die Herrlichkeit der Anemonia, ebenso die Leiden bes Amfortas lassen ihn scheinbar unberührt, und er wird deshalb wieder aus der Burg hinausgewiesen.

Der zweite Act spielt auf dem Zauberschlosse Klingsor’s. Als hier Kundry’s Künste an Parsifal machtlos abprallen, eilt Klingsor herbei und schleudert nach jenem einen Speer. Dieser Speer gehört unter die heiligen Reliquien des Gral und ist von Amfortas, als dieser auf demselben Platze, wo jetzt Parsifal steht, dem Sinnentaumel erlag, an Klingsor verloren worden. Parsifal wird von dem Speere nicht getroffen, sondern ergreift ihn und schlägt mit demselben gegen Klingsor das Zeichen des Kreuzes. Daraufhin sinkt die ganze Zauberpracht krachend zusammen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_577.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2023)