Seite:Die Gartenlaube (1882) 587.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Seine fürstliche Durchläuchtigkeit schaut in seinem schwarzen Wams“ neben den andern Herren in ihren gepufften Gewändern aus wie eine schlanke Edeltanne neben breiten Aepfel- und Birnbäumen. Gelt, Herr Rotmund?“

Der Erzherzog blickte sich rasch um.

Aber schneller als er, war Herr Rotmund vor sein Weib getreten: er trug als bestellter Tanzordner einen so langen rothseidnen Rock, daß er sie gänzlich verhüllte, wie ein Vorhang ein kostbares Gemälde.

„Sei nit zu keck!“ flüsterte er ihr zu. „Es ist so eine Sünd’ und Schand’, daß jetzt auf unsren Tänzen Alles paarweise läuft wie in der Arche Noah. Früher hättet Ihr fünf Pfund Heller Strafe dafür zahlen müssen. Und unterfang Dich nit etwa heut, Dich zu verdrehen, wie die Augsburgerinnen thun.“

Sie machte unschuldige Augen und glitt wieder vor ihn hin.

„Was ist’s weiter, sich mit dem Arm zu umschlingen und im Kreise zu drehen und zu schleifen? Man muß sich halt nur nichts dabei denken. Und wenn Seine fürstliche Durchläuchtigkeit sich mit mir verdrehen will, muß ich es unweigerlich thun. Hast es selbst gesagt.“

Herr Rotmund drohte mit seinem weißen Stabe, den er als Tanzordner führte. Aber er hatte keine Zeit mehr; denn der Erzherzog gab das Zeichen zum Beginn und reichte der Schultheißin die Hand.

Die damals im zierlichen Tanzschritt nach der Weise des von einem Nürnberger Kind gedichteten und in Töne gesetzten Minneliedes sich wiegten, dachten nicht, daß ein Jahrhundert später die neue ketzerische Gemeinde sich mit derselben Melodie Trost in das bedrückte Gemüth singen würde, indem sie die Worte unterlegte: Befiehl du deine Wege.

Nach vollbrachtem Ehrentanz führte der Erzherzog die Schultheißin zurück auf ihren Platz, und seine Augen suchten nun gespannt unter der Frauenschaar. Jetzt leuchteten seine Blicke auf; er hatte die Rotmundin hinter ihrem Manne hervorlugen sehen. Mit raschen Schritten eilte er auf sie zu, um sie zum Tanz aufzufordern. Der Rotmund aber schritt diesmal grimmig mit dem Imhof, dem andern Tanzordner, dem Reigen voran.

Düster schaute auch Wilhalm drein, da er bemerkte, daß viele der fremden Gäste die Elsbeth Imhofin anstarrten. Und als jetzt der welsche Bischof sich ihr näherte, um sie zum Tanze aufzuziehen, trat er rasch an sie heran.

„Ihr habt zwar eine geringe Meinung von mir,“ sprach er mit grollender Stimme, „aber zu einem Reigen werdet Ihr Euch mir nicht versagen; denn ich habe gesehen, daß Ihr sogar mit dem ohnnützen Fuchsschwänzer, dem Domherrn, getanzt habt.“

Sie war erröthet. Stumm streifte sie die Handschuhe ab, wie das beim Tanzen üblich war, und reichte ihm ihre Fingerspitzen. Aber Wilhalm nahm mit festem Griff ihre Hand. Sie war eiskalt. Er sah Elsbeth von der Seite forschend an – da senkte sie die langen Wimpern.

So schritten sie in der Reihe den Tanzordnern nach. Was jene übten, mußten Alle thun. Herr Imhof sah sich um, und da er den Wilhalm neben der Elsbeth erblickte, wie in früheren gesegneten Jahren, machte er ein Gesicht wie ein schlauer Fuchs.

„Herzen wir uns einmal!“ flüsterte er Herrn Rotmund zu. „Es ist guter alter Brauch.“

Herr Rotmund aber hatte von der andern Seite nach seinem Ehegemahl ausgelugt, das süß lächelnd aus dem Sturz den sie führenden Erzherzog anstrahlte.

„Um aller Heiligen willen flehe ich Euch an: laßt nur heute das Herzen sein!“ erwiderte er fast laut.

„Ach was,“ sagte Herr Imhof, „die guten Alten wußten, was sie thaten, als sie es einführten.“ Und er drückte Herrn Rotmund in seine Arme. Auf der Stelle herzte sich der ganze Reigen.

Herrn Rotmund wurde es schwarz vor den Augen. Er sah nicht, wie zart der junge Fürst den Arm um sein Ehegemahl schlang und ihre Hand leise an sein Herz drückte.

Auch Wilhalm wollte die Elsbeth umschlingen. Sie aber riß sich los und trat aus dem Reigen. Er eilte ihr nach.

„Meint Ihr mir entfliehen zu können?“ rief er.

„Ich lasse mich nicht herzen auf Befehl und nur zum Spiel,“ entgegnete sie empört.

„Aber es ist mein Tanzrecht,“ brauste er auf.

„Rechte verjähren,“ antwortete sie kalt.

Er entsann sich seines Wortes wohl, aber auch ihrer früheren Reden.

„Ihr wollt ja in allen Dingen Euren Eltern gehorsamen,“ sprach er und trat ihr wieder näher. „Und Euer Herr Vater hat angeordnet, daß wir uns herzen sollen – Ihr seht es ja.“

Sie wich abermals zurück.

„Und Ihr meintet, die erste Stimme solle das Herz haben vor Vater und Mutter.“

„Ja, das Herz soll auch das erste Recht haben und behalten,“ rief er, „und mein Herz ersehnt nichts weiter, als Euch an sich zu drücken.“ Er streckte die Arme aus.

Da richtete Elsbeth sich stolz auf.

„Meint Ihr,“ fragte sie mit bebender Stimme, „eine Jungfrau lasse sich hin und her schieben, wie Ihr Einen alten Ofen jetzt hinauswerft und dann wieder hereinholt? Mich verlangt nicht nach den neuen Rechten, von denen Ihr redet. Mögen welsche Teufelinnen und solche, die sie sich zum Muster nehmen und Gaukelkünste üben, ihrer genießen! Uebet mit ihnen Geckerei, wie Euer wandelbarer Sinn Euch heißt! Wir aber wollen unsre Würde wahren.“

Damit schritt sie an ihm vorüber nach den Bänken hin, die in dem erhöhten Theile des Saales aufgestellt waren. Wilhalm aber war bleich geworden und kürte sich eine andre Tänzerin.

Das kleine Zwischenspiel ging in dem bunten Gewühl unbemerkt vorüber; Jeglicher hatte genug mit sich zu thun.

Als es dunkelte, erstrahlten in den Festräumen an die hundert große und kleine Lichter: die Tanzordner nahmen Wachsfackeln und führten damit den Reigen an. Selbst alte Herren, denen breite Pelzkragen die gebeugten Nacken deckten, sprangen den Ringelreihen so eifrig mit, wie die leichtfüßigen Junker, und die jungen Kaufleute tanzten um die Wette mit den geschmeidigen Prälaten den kecken polnischen Reidawac.

„Den Todtentanz! Laßt uns den Todtentanz aufführen!“ riefen die Junker vom husarischen Aufzuge.

„Wer soll den Todten vorstellen?“ fragte der Tanzordner, Herr Imhof.

„Welchem Andern als Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit gebührte diese Ehre?“ entgegneten die Frauen.

Aber der hohe Herr stutzte ob des grausen Namens. Er fürchtete auch, daß es auf einen Schabernack hinauslaufen möchte, und wollte erst sehen, wie es dem Todten erginge.

Pfalzgraf Ottheinz kannte bereits die Obliegenheiten des Todten und begab sich mit einer Eile, die dem jungen Fürsten schier verwunderlich erschien, auf die Purpurkissen, die in der Mitte des Saales aufgebaut und mit einem kostbaren Gobelinteppich bedeckt wurden. Behaglich streckte sich der ritterliche Herr, schloß die Augen, und nur an dem wie zwei Fragezeichen gekrümmten Bart konnte man erschauen, daß der Mund vergnüglich darunter lächelte.

Auf ein Zeichen hob die Musik das wehmütige Lied an, das Kaiser Max auf seinen Abschied von Innsbruck gedichtet und in Töne gesetzt hatte und dessen Weise mit den Worten auf uns gekommen ist: Nun ruhen alle Wälder. Paarweise zog die ganze Gesellschaft mit traurigen Gebärden um den Katafalk.

Nur der Narr, der mit untergeschlagnen Armen am Pfeiferstuhl lehnte, stand abseits. Er spähte gespannt nach den Zügen der vorüberschreitenden Frauen.

Da vernahm sein feines Ohr, wie die Schultheißin, die mit einem jungen Domherrn ging, sprach:

„Bittet uns von den Stürzen los! Sonst zeig’ ich Euch an wegen zu weit ausgeschnittner Schuhe.“

Dann hörte er die Frau Imhofin den Domprobst von Würzburg klagen:

„Wenn i nur wüßt, ob es nit doch besser wär’, wenn wir der Stürze ledig würden. Die Frage leg’ ich Eurer Andächtigket im Vertrauen vor.“

Hier flüsterte die Behaimin hinter ihrem Fächer aus Pfauenfedern dem jungen römischen Beichtvater des Erzherzogs, seinem Genossen bei allen lustigen Streichen, zu:

„Möchte wohl auch den Dichter Ovidius mir von Euch erklären lassen, hab’ aber nimmer Muth und Freud’ zu einem Ding, so lang ich den Sturz schleppen muß.“

Die schlanke Tucherin lachte den Erzbischof von Mainz an und versprach ihm ein Pilgrimhaus, wenn er ein Wörtle für sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_587.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)